Chaos wegen Schließung des staatlichen Rundfunks

Demonstranten vor dem Rundfunkgebäude. Bild: W. Aswestopoulos

Nutznießer sind die privaten Sender, mit Ausnahme der Chrysi Avgi fordern sämtliche Oppositionsparteien eine Rücknahme der Entscheidung, Journalisten streiken

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Mit einer überraschenden Entscheidung schloss Regierungssprecher Simos Kedikoglou am Dienstagnachmittag den kompletten staatlichen Rundfunk. Kedikoglou, dessen Posten gleichzeitig das Amt des Presseministers beinhaltet, begründete den von Premierminister Antonis Samaras geforderten Beschluss mit Misswirtschaft. Dass Kedikoglou selbst seit knapp einem Jahr als verantwortlicher Minister diese von ihm angeprangerte Misswirtschaft zu verantworten hat, scheint niemanden von der Nea Dimokratia zu stören.

Tatsächlich jedoch sträuben sich die Koalitionspartner der Nea Dimokratia, PASOK und DIMAR gegen die Schließung. Mit Ausnahme der Chrysi Avgi fordern sämtliche Oppositionsparteien eine Rücknahme der Entscheidung. Die Rechtsextremen beklagten, dass sie im staatlichen Rundfunk nicht genügend Redezeit erhalten hätten und empfanden in diesem Zusammenhang die Schließung als nicht sehr bedauerlich.

Kedikoglou hingegen begründete den Maulkorb für den staatlichen Rundfunk mit einer vorgeblich bürgernahen Entscheidung. Durch die Schließung würden, so Kedikoglou, die Bürger einen Teil ihrer Ausgaben sparen. Denn die Rundfunkgebühren werden in Hellas über die Stromrechnung eingetrieben. Kedikoglou verkündete jedoch nicht das Ende dieser Praxis, die dem Staat jährlich 300 Millionen Euro bringt. Er verwies ausdrücklich auf diese Summe und erklärte, dass der Bürger für diese Millionen nicht die entsprechende Gegenleistung erhalten würde. Damit sprach der Regierungssprecher nur die halbe Wahrheit.

Mindestens 140 Millionen Euro der Rundfunkgebühren wurden von der Regierung zweckentfremdet. Damit zahlte Finanzminister Yannis Stournaras einen Teil der Abgabevergütung für die Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energiequellen. 65 Millionen Euro flossen direkt zu den Stromerzeugern. 140 Millionen Euro insgesamt wurden nachweislich für andere Zwecke als den Rundfunk eingesetzt. Wenn dazu auch noch die Gebühren für die Übertragung sämtlicher, also auch privater Programme des Landes gezählt werden, dann wird offensichtlich, warum die ERT nicht all das leisten konnte, wofür die Bürger sie bezahlten. Die privaten Stationen des Landes zahlen, so wurde im Laufe der Nacht bei der ERT bekannt, nämlich weder Steuern noch Gebühren.

Direkter Nutznießer der plötzlichen Schließung ist der private Sender ANT1. Kostenlos wird er das Endspiel um die griechische Basketballmeisterschaft zwischen Olympiakos Piräus und Panathinaikos Athen übertragen. Die bereits von der ERT bezahlten Senderechte werden mit einem Regierungsentscheid auf ANT1 übertragen.

Nach der gegen Nachmittag bekannt gewordenen Entscheidung fanden sich im zentralen Gebäude der ERT zahlreiche Politiker sowohl der kommunistischen Partei als auch von SYRIZA, den Unabhängigen Griechen und außerparlamentarischen Parteien ein. Per ordre de mufti wurde entgegen der ursprünglichen Ankündigung, den Sendetag zu Ende zu bringen, von der Regierung bereits um 23 Uhr die Übertragung der Sendungen unterbunden.

Rundfunkangestellte versammelten sich zusammen mit Demonstranten vor Bildschirmen. Bild: W. Aswestopoulos

Die plötzlichen "technischen" Ausfälle wurden zunächst vom parteieigenen Sender 902 der kommunistischen Partei kompensiert. Später fiel auch dieser aus. Die ERT-Techniker fanden Wege über abgeschaltete analoge Sendestationen und über das Internet. Die digitalen Überträger des Landes werden derweil von der Polizei überwacht. Vorgeblich geschah dies, um Sabotageakte zu verhindern. Warum die Übertragungsstationen trotzdem ausfielen, wurde nicht bekannt. Sämtliche Journalisten des Landes traten noch am Abend in den Streik. Für den Mittwoch und Donnerstag wurde ein achtundvierzigstündiger Streik der Medien ausgerufen. Eine Verlängerung dieser Aktion wurde ausdrücklich offen gehalten.

Notprogramm der gefeuerten Angestellten. Bild: W. Aswetsopoulos

Insgesamt 30.000 Menschen versammelten sich allein in Athen beim Hauptgebäude der ERT. Noch fand die von der Polizei angekündigte gewaltsame Räumung nicht statt. Jedoch wurden die Parlamentsbüros des Senders in der Mourouzi Strasse nahe dem Syntagma Platz von MAT Einheiten geräumt. Dabei wurde ein offiziell entlassener Angestellter des Senders verhaftet. Ein ähnliches Schicksal droht all jenen, die immer noch über das Internet eine ERT-Nachrichtensendung verbreiten. Die Regierung drohte zudem, dass all jenen, die bei der "widerrechtlichen Besetzung öffentlichen Eigentums" aufgegriffen werden, keine Entschädigung für die Entlassung ausgezahlt wird.

In den Gängen des Sendegebäudes. Bild: W. Aswestopoulos

Trotz der Solidarität aus dem Ausland, so von der EBU, ist unklar, in welche Richtung sich die aktuelle Krise entwickeln wird. Von einem Rückzug der PASOK und der DIMAR aus der Regierung und anschließenden Neuwahlen bis hin zu einer Wiederholung der türkischen Proteste am Taksim-Platz scheint alles möglich. Offen bleibt jedoch auch die Option, dass die griechische Gesellschaft sich weiter spaltet. Nicht wenige Griechen goutieren die Schließung. Sie sehen in den Journalisten und Angestellten des Senders schlicht Schmarotzer.