Abmahnen im Cartier-Stil

Markenrecht trifft immer wieder auch Privatleute

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Mit dem Urheberrecht kann man auch als Inhaber einer privaten Website oder als privater Online-Auktionator kollidieren; Wettbewerbsrecht und Markenrecht setzen dagegen eigentlich geschäftliche Absichten voraus. Oft genug wird das Recht hier allerdings gebeugt. Und so wird eine teure Schmuckmarke für Leute mit wenig Geld leicht noch kostspieliger.

Ob eine Rolex echt oder gefälscht ist, darüber sind sich Käufer und Verkäufer üblicherweise im Klaren: Der Preis und der Verkaufsort ist ein klares Kriterium – am Bazar in Istanbul für 10 Euro kann es einfach keine echte Rolex sein. Im Netz ist es nicht ganz so klar: hier hat mancher schon viel Geld gezahlt, um dann doch nur eine Fälschung zu erhalten.

Falsche Markenwaren sind illegal – werden sie bei der Einfuhr entdeckt, ob im zugesandten Paket oder selbst mitgebracht im eigenen Koffer, dann ist man sie los. Wer mit der Fälschung heil durch den Zoll kommt, ist sich normalerweise auch darüber im Klaren, dass er sein falsches Schnäppchen besser in Deutschland nicht weiterverkauft. Wer allerdings bei einer Online-Auktion eine falsche Rolex angedreht bekommen hat, denkt oft nach dem ersten Ärger „na was der kann, das kann ich doch schon lange!“ und bietet die Uhr wieder zum Verkauf an, um wenigstens das Geld teilweise wieder rein zu holen. Doch dabei wird er ziemlich wahrscheinlich noch mal das Geld für eine Rolex los – eine echte versteht sich.

Es muss jedoch nicht immer Rolex sein: Auch an anderen Edelmarken kann man sich die Finger verbrennen. Besonders leicht geschieht dies mit Cartier: Hier beauftragt eine Frankfurter Anwaltskanzlei Fahnder und Testkäufer, die gegen alle vorgehen, die bei Ebay nicht etwa nur falschen Cartier-Schmuck und falsche Cartier-Uhren verkaufen wollen – das würde durchaus noch auf Verständnis stoßen – sondern überhaupt auch nur das böse C-Wort in den Mund nehmen bzw. in ihrer Auktion verwenden.

Zigaretten, die ohne Zweifel “Nicht von Cartier“ sind – einen aber mindestens soviel kosten wie Cartier-Schmuck, falls man dies als Verkäufer öffentlich sagt (Bild: W.D.Roth)

Mit den Suchfunktionen wird die Auktion dann entdeckt – ob als vermeintliche Fachbezeichnung („Cartier-Verschluss“), als optische Beschreibung („im Cartier-Stil“) oder – wie bei Premiere-Abmahnungen (Schlechte Karten bei Premiere) – wenn etwas in der Cartier-Rubrik bei Ebay steht, was nach Ansicht des Herstellers da nichts zu suchen hat. Auch die beliebten „nicht“-Auktionen („Alter verrosteter Golf – nicht Ratzinger, nicht Cartier und auch kein Ferrari“) sorgen hier für sofortigen Ärger: Zwischen 1000 und 3000 Euro möchte die Kanzlei dafür sehen. Auch von einer „Tank-Form“ darf man nicht sprechen, da „Tank“ auch eine Uhrenmarke von Cartier ist.

Im Gegensatz zum Fall Premiere und Kartenleser, bei dem die Rechtsanwälte den teuren und riskanten Gang vor Gericht eher vermieden und inzwischen auch nicht mehr für Premiere tätig sind, hat die Frankfurter Kanzlei hier keine Hemmungen: So wie bestimmte Kammern des LG Köln die juristischen Ansinnen öffentlich-rechtlicher Rundfunksender unbesehen 1:1 durchwinken, so hat die Kanzlei Fritze Paule Seelig am Frankfurter Gericht ihren „Hausrichter“, der schon bei 19 Ebay-Verkäufen oder der Benutzung des „Turbo-Listers“ (Ebay-Offline-Tool) von gewerblicher Tätigkeit ausgeht und praktisch immer zugunsten von Cartier urteilt. Die Folge: Nun sind bei einem mit 100.000 Euro angesetztem Streitwert für den unter die Abmahn-Räuber Gefallenen typisch um die 12.000 Euro fällig.

Im Visier der Abmahner sind auch Schüler

Betroffene sind sehr oft keine kommerziellen Markenpiraten oder Ebay-Powerseller, sondern Normalbürger, sogar Schüler, die aus Gefälligkeit für die Familie oder die internet-unkundige Nachbarin eine Brosche einstellen. Oder auch eine Frau, die ein Erbstück ihrer verstorbenen Mutter verkaufen möchte und dabei auch wirklich davon ausgeht, dass es sich um echten Cartier-Schmuck handelt, so wie die Verstorbene ihr immer erzählt hat.

Dass dies nicht so ist und sie nun auch noch fünfstellige Summen an Kanzlei und Gericht abstottern soll, die sie nicht hat, weil Mutti wirklich nichts weiter vererbt hat, endet dann schon einmal in der psychiatrischen Klinik. Egal, Markenrecht geht im Namen des Volkes nun einmal vor.

Der Schüler hatte wiederum das Anwaltsschreiben nur nicht ernst genommen, was ihn vor Gericht brachte. Und klar: Auch er ist für den Richter ein gewerblicher Verkäufer – dass ein Schüler überhaupt schon weiß, wie Ebay funktioniert, weist für den Richter auf ein Wunderkind hin und er rechnet den kläglichen Umsatz des Schülers sogar noch höher als bei normalen Internetnutzern. Ohne Anhörung – schließlich herrscht in Markenrechtsdingen am Landgericht ohnehin Anwaltszwang und der eigentlich Betroffene hat da nichts zu melden. Nach 15 Minuten wird schon der nächste Fall im Gerichtssaal verhandelt, von 11 solchen Verfahren an nur einem Tag berichtet ein Betroffener.

Diese „nicht“-Auktion wurde von Ebay bereits vor der Startzeit entdeckt und gelöscht. Das schützt jedoch nicht vor einer zusätzlichen, teuren Abmahnung durch eine der „nicht“ genannten Firmen.

Besonders tückisch: Die Cartier-Abmahnungen erfolgen niemals zeitnah. Vielmehr notieren die Mitarbeiter der Kanzlei sich die Ebay-Namen der ermittelten „Sünder“ und verfolgen diese weiter, auch wenn Ebay selbst die kritischen Auktionen entdeckt und löscht. Dann wird im Auftrag der Kanzlei ein anderer, nicht allzu teurer, Artikel des Verkäufers gekauft – ob Kinderhemd, DVD-Player oder Küchenmixer. So erfährt die Kanzlei die Adresse des Verkäufers. Das eigentlich für solche Zwecke gedachte Veri-Programm von Ebay nutzt sie dagegen üblicherweise nicht.

Nun herrscht trügerische Ruhe – Kinderhemd, DVD-Player oder Küchenmixer werden samt Adresse erst einmal knapp sechs Monate eingelagert. Kurz vor dem Ablauf der Verjährungsfrist von sechs Monaten geht dann die gekaufte Ware wieder zurück an den Absender – mit einer Rechnung für den Kauf und weitere, nicht bestellte anwaltliche und ermittlerische Dienstleistungen. Im Juristendeutsch spricht man von „Geschäftsführung ohne Auftrag“ oder kürzer von Abmahnung.

Das Gemeine daran, dass die Anwälte diese knapp sechs Monate abwarten ist nicht einmal, dass der DVD-Player inzwischen kaum wertvoller geworden ist, die Kanzlei als echter "Spassbieter" dem Verkäufer so auch mutwillig Unkosten für Porto und Ebay-Gebühren verursacht und dann auch noch ihr Geld zurück will. Nein, der faule Trick dabei ist, dass Auktionen bei Ebay nur 90 Tage gespeichert werden. Wer also zu Unrecht beschuldigt wurde und das Wort „Cartier“ gar nicht in seiner Auktion hatte, kann dies nun nicht mehr beweisen, denn wer druckt sich schon alte, teils nicht mal erfolgreiche Auktionen aus und hebt die Ausdrucken ein halbes Jahr auf? Ebenso ist der angeschmiert, der echten Cartier-Schmuck angeboten hatte und nur der Fälschung verdächtig ist – der Schmuck ist nach sechs Monaten längst anderweitig verkauft, selbst wenn es über Ebay nicht geklappt hat, und somit als Beweismittel nicht mehr vorzeigbar.

Einstellen in die richtigen Kategorien

Grundsatz

Ein Artikel muss in die Kategorie eingestellt werden, in die er thematisch passt. Artikel, für die es keine exakt passenden Kategorien gibt, müssen in die am ehesten entsprechenden Kategorien eingestellt werden. In eine Markenkategorie dürfen keine markenfremden Produkte eingestellt werden.

Ebay-Richtlinien

Auch wenn Ebay die Auktion löscht – wie im Fall Original Givenchy Ohrringe passend gut zu Cartier Schmuck" geschehen, was auch bereits als „Schädigung der Marke Cartier“, „Manipulation der Suchfunktion“ oder gar „unzulässige vergleichende Werbung (Rufausbeutung)“ gilt – wird nicht erklärt, was der Verkäufer nun genau falsch gemacht hat. Er hat sich dabei möglicherweise gar nichts Böses gedacht. Die Folge: Er wiederholt die Auktion – und vervielfacht damit den späteren Schaden.

Bei dem Urteil ist klar ersichtlich, dass das Urteil vollstreckbar ist und wenn man es durch eine Bankbürgschaft in der Höhe nicht abwendet, wird gepfändet. So ist es einem Abmahnopfer mittlerweile ergangen:

Die haben mein Konto dicht gemacht und abgeräumt, so dass ich nicht mehr wusste von was ich leben soll. Das Konto bleibt solange gepfändet, bis die gesamten Kosten der Herren Rechtsanwälte gezahlt sind. Natürlich macht das keine Bank mit, dann flattert eine Kontokündigung ins Haus.

Der Uhren- und Schmuckvertreter Christian Jäger aus Karpfenberg in Österreich wurde wiederum markenrechtlich abgemahnt, weil er sich bei Ebay mit dem Mitgliedsnamen „Cartier_0“ angemeldet hatte. Ebay selbst hatte absolut nichts dagegen, so Jäger zu Telepolis, solange er unter diesem Namen dort kaufte oder Uhren verkaufte, auch Nicht-Cartier-Uhren. Erst als er sein privates Solarium loswerden wollte, wurde diese Auktion mehrfach wegen „unlauteren Wettbewerbs“ annulliert, als die Gebote 350 Euro erreichten, aber zunächst nicht auf eine Markenverletzung durch das Pseudonym als Ursache hingewiesen.

Abmahnkeule schlägt über die Grenze

Die Abmahnung erreichte ihn dann erst, als er längst ein anderes Pseudonym verwendete. Da die Post aus Deutschland nach Österreich ihre Zeit braucht und Fritze Paule Seelig nur 10 Tage Frist setzt, hatte er nur noch 3 Tage Zeit. Auch eine Vertretung vor Gericht war für ihn als „Ausländer“ besonders schwierig zu realisieren, doch dank EU-Rechts kann das deutsche Marken- und Wettbewerbsrecht auf dem Wege der Amtshilfe so nun auch in Österreich vollstreckt werden. Oder spätestens beim Aufenthalt in Deutschland, der sich für einen Uhrenvertreter kaum dauerhaft vermeiden lässt. Am deutschen Abmahnunwesen soll so langfristig die ganze EU genesen.

Dass Jäger seitdem beruflich auch außerhalb Ebays keinerlei Cartier-Uhren und andere Marken dieses Hauses mehr anbietet und den Mitarbeitern des Unternehmens, mit denen er zuvor lange Jahre in Kontakt stand, beruflich und privat die Freundschaft gekündigt hat, ist die logische Folge. Für Cartier ist aber ein verärgerter Handelsvertreter weniger absolut kein Thema. Das Image der Marke ist nun einmal, dass Cartier eine teure Sache ist und die Pressesprecher des Unternehmens wurden inzwischen angewiesen, zu den Abmahnungen zu schweigen.

Mit diesem Fall fallen ab sofort wohl auch Pseudonyme in Foren, Chats und Online-Auktionen unter das Markenrecht, womit der literarische Zukunftsausblick in „Alles im Leben hat seinen Preis“ endgültig von der traurigen deutschen Realität eingeholt wurde. Ebay selbst stellte übrigens bis vor kurzem noch ausdrücklich klar, dass Formulierungen wie "Diese Uhr hat ein ähnliches Design wie Uhren von Tag Heuer" keine Markenrechtsverletzung darstellt.(Markenrecht contra Datenschutz). Inzwischen ist die allgemeine Infoseite zum Thema "Marken" bei Ebay leider ersatzlos entfernt worden, auch der Link am Ende von "Missbrauch von Markennamen" führt mittlerweile ins Leere bzw. auf eine Fehlerseite. Klar von Ebay als unzulässig gekennzeichnet sind allerdings Formulierungen wie Schweizer Uhr im Cartier-Design, Hemd im Burberry-Stil oder Jeans wie von Levi Strauss.

Auch die Pseudonymwahl wird überwacht

Ebenso abgemahnt wurde die Formulierung Warum für Fielmann, Rodenstock, Cartier... unendlich viel Geld bezahlen? Dass Markenqualität nicht unbedingt teuer sein muss, zeigen diese Brillengestelle von Seifert in einer Auktionsbeschreibung. Dabei ist vergleichende Werbung inzwischen durchaus erlaubt, doch auch hier wird wieder nur darauf abgehoben, dass das böse C-Wort für ein Brillengestell gefallen ist, das nicht von Cartier stammt.

Insgesamt wurden angeblich bereits über 12.000 Verkäufer von Cartier abgemahnt, wenn auch nicht alle über Ebay. Etwa 140 Betroffene haben sich unter www.abmahnopfer.de.vu versammelt. Dieter Strathaus, der selbst wegen „Cartier-Verschlüssen“ abgemahnt wurde und die Initiative in den Medien bekannt machte, hat sich inzwischen allerdings nach einer telefonischen Drohung, dass ihm "etwas zustoßen könne", aus dem Forum zurückgezogen und ist für niemand mehr zu sprechen. Eine von ihm zuvor am 6. August 2004 bei der Kriminalpolizei in Mülheim an der Ruhr gestellte Strafanzeige gegen die Anwaltskanzlei mit über 100 Seiten Unterlagen und dem Aktenzeichen 117010-11744/04 verschwand auf dem Weg zur Staatsanwaltschaft Frankfurt spurlos. Allerdings wird inzwischen von der Kriminalpolizei Speyer unter dem Aktenzeichen 463013/02122004/1211 gegen den Testkäufer wegen fortgesetzten Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz ermittelt.