APPD-Wahlwerbespot

Mit voller Absicht gegen den guten Geschmack

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Die vorgezogenen Bundestagswahlen verlaufen in mehrerer Hinsicht außergewöhnlich: Durch den plötzlichen Tod einer NPD-Kandidatin in Dresden steht das Endergebnis erst am 2. Oktober fest, zwei Wochen nachdem die übrigen 298 Wahlkreise ausgezählt wurden. Damit nicht genug: Auch beim Thema Wahlwerbung loten einige Parteien die Untiefen der gesetzlichen Regelungen aus – allen voran diejenigen, die in erster Linie witzig sein wollen.

So versteigerte der Titanic-Ableger Die Partei einen Werbespot, der am 14. September ausgestrahlt wird, für rund 14.000 Euro bei Ebay für Werbezwecke an einen Privatmann.

In den Werbespot vom 6. September baute „Die Partei“ bereits auffällig unauffällige Schleichwerbung für den Billigflieger Hapag-Lloyd Express ein. In einem ganz in Firmenfarben gehaltenen Studio pries „Partei“-Chef Martin Sonneborn das Projekt „Hohe Leistungs-Maximierung“ (HLX) an, welches im wesentlichen in „der Verlagerung von qualifizierten Leistungsträgern“ in verschiedene Urlaubsdestinationen bestehe. Das ZDF war zwar nicht sehr begeistert, sah jedoch keine Handhabe, um gegen die Ausstrahlung vorzugehen.

Bei der Anarchistischen Punk- und Pogo-Partei Deutschlands (APPD) dagegen weigerte sich der WDR als zuständiger ARD-Sender, den Werbespot auszustrahlen. Stattdessen zeigten ARD und ZDF am 26. August und am 1. September nur eine stark zensierte Fassung.

Wahlwerbespot der APPD zensiert

Nach Ansicht des WDR verstößt der Wahlwerbespot der Pogo-Anarchisten gegen die Menschenwürde und gefährdet „die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“. In seinem Antwortschreiben an den Westdeutschen Rundfunk hielt der APPD-Wahlkampfmanager Karl Nagel dagegen, in dem Spot werde

auf die erschütternde Tatsache hingewiesen, daß es heute immer mehr Menschen gibt, die aufgrund ihres geringen Einkommens/Sozialhilfe/Rente etc. gezwungen sind, sich teilweise von Tierfutter zu ernähren. Anschließend geht der Spot in eine apokalyptische Vision über, in der im Müll lebende Menschen sich sogar um dieses Essen prügeln. Auch die Sexualität des jeder Individualität beraubten Menschen – dargestellt durch die mit Plastiktüten verhüllten Köpfe – pervertiert dabei mehr und mehr.

Erst nachdem die APPD vor dem Oberverwaltungsgericht Münster eine einstweilige Verfügung gegen die ARD erzwang, wurde der Spot am 5. September kurz vor den Tagesthemen zum ersten Mal unzensiert gezeigt. Zur Zeit streitet die APPD mit ARD und ZDF vor Gericht um Ersatzsendezeit für die beiden zensierten Ausstrahlungen, die bisherigen Urteile fielen jedoch gegen die APPD aus. Nach Ansicht des OVG Mainz z.B. lässt der Spot „in seiner Gesamtheit (...) auch nicht ansatzweise erkennen, dass hier mit dem künstlerischen Mittel der Übertreibung gearbeitet wurde". Die APPD hat am letzten Freitag noch eine Verfassungsbeschwerde eingereicht.

Kunst oder nicht Kunst?

Fraglich ist, ob die Öffentlich-Rechtlichen und die Gerichte den Witz hinter der APPD-Werbung bloß nicht verstanden haben oder ob sie sie einfach nicht komisch fanden.

Wolfgang Wendland, der Kanzlerkandidat der APPD und als Sänger der „Kassierer“ bekannt, leitet das Werbefilmchen mit den Worten „Maden der Welt: Schaut auf dieses Land!“ ein. Daraufhin entbrennt eine Orgie von etwa 20 Punks, das Bier spritzt, ein paar Halbnackte befummeln sich und in den Ecken liegen schon die ersten Partyopfer in ihrem Erbrochenen. Der Kanzlerkandidat höchstselbst zerschlägt einen alten Rechner mit der Axt, während sich am Boden ein paar fertige Gestalten mit Hunden und Ratten um Fleischstücke balgen.

Gesellschaft am Abgrund

Wie in ihrem gesamten Wahlkampf nimmt die APPD auch bei diesem Spot Anleihen bei bekannten Horror- und Science-Fiction-Klassikern wie George A. Romeros Dawn of the dead oder Soylent Green. Entsprechende Genrekenntnisse vorausgesetzt, erschließt sich der eigentliche Gehalt des vordergründig schmuddeligen Treibens: Beide Filme zeigen eine Gesellschaft am Abgrund, die kritische Rückschlüsse auf die realen Verhältnisse ihrer Entstehungszeit nahelegt: Einmal New York im Jahr 2022 und einmal ein nicht näher bestimmtes Everytown USA.

Eine Szene aus dem APPD-Spot, in der zwei Frauen mit den Zähnen an einem blutigen Fleischstück zerren, ist nahezu bildgetreu aus Romeros Zombiefilm zitiert. Auch die Hintergrundmusik klingt wie eine Low-Fidelity-Version des Soundtracks von „Dawn of the dead“, mit dem die italienischen Progressivrocker Goblin seinerzeit bekannt wurden. Die Hommage an den Erfinder des Zombiefilms reicht jedoch noch weiter: Auch die mit Supermarkt-Tüten verhüllten Gesichter einiger Personen können durchaus als Anspielung auf die ent-individualisierte Konsumgesellschaft durchgehen – Romeros Zombieheer schleicht schließlich nicht zufällig durch eine typische Shopping-Mall in einer gesichtslosen Stadt.

Mit „Veranda 2022 – die überleben wollen”, dem Titel ihres Wahlprogramms, bezieht sich die APPD auf einen anderen Genre-Klassiker: „Soylent Green“, dessen deutscher Verleihtitel „Soylent Green – 2022 … die überleben wollen“ lautet. Nachdem das Ökosystem kollabiert ist, suchen die arbeitslosen und herumlungernden Bewohner in einem vollkommen überbevölkerten New York des Jahres 2022 verzweifelt nach Nahrung. Der von Charlton Heston gespielte Protagonist entdeckt schließlich in einer Entsorgungsanstalt für Leichen, dass Soylent Green nicht, wie vom Soylent-Konzern behauptet, aus Plankton hergestellt wird, sondern aus sehr menschlichen Zutaten. Die Grundstimmung dieses SciFi-Klassikers klingt ebenfalls in der APPD-Wahlwerbung an.

Die Frage, ob es sich bei der APPD-Wahlwerbung um eine Übertreibung mit künstlerischer Absicht handelt oder nicht, kann somit klar für die APPD entschieden werden. Dass Kunst nicht jedem gefallen muss, ist eine andere Sache. Wolfgang Wendland weiß das aus einschlägiger Erfahrung, schließlich musste seine Band „Die Kassierer“ vor einigen Jahren im Rahmen eines Indizierungsverfahrens offiziell zu Kunst erklärt werden.

Großer Medienrummel um die Kleinpartei

Egal wie der Rechtsstreit um die Ersatzsendezeit für die beiden zensierten Ausstrahlungen ausgeht, der APPD hat der Medienrummel um ihren Werbespot sicher nicht geschadet. Laut Parteiangaben wird der Spot etwa 30.000 Mal pro Tag heruntergeladen. Im Rahmen der Berichterstattung über den Skandal wurde er auch in Sendungen wie „Extra 3“ und „Polylux“ mehrfach gezeigt – mehr kann sich die Partei eigentlich gar nicht wünschen. Wählen wird sie wahrscheinlich trotzdem kaum jemand und das nicht nur, weil sie nur in Hamburg und Berlin auf dem Wahlzettel steht. Aber darauf kommt es den Pogo-Anarchisten ja auch gar nicht an. Die nächste Ausstrahlung ist am Montag, den 12.9., um 21.40 Uhr im ZDF.

Nachtrag der Redaktion: Das Bundesverfassungsgericht hat am Montag den Eilantrag der APPD abgelehnt, mit der die Pogo-Partei erreichen wollte, dass das ZDF den Wahlspot ungekürzt senden müssen. Für eine Entscheidung gebe es nicht genügend Zeit, zudem könne die APPD einen Ersatzspot beim ZDF senden. Auch beim Oberverwaltungsgericht Münster musste die APPD eine Niederlage einstecken. Das Gericht stoppte am Montag eine erneute Sendung des Wahlspots in der ARD. Es sei nicht klar, ob es sich hierbei überhaupt um eine Wahlwerbung handele.