Der Abhörskandal weitet sich aus

Die NSA durchsucht mit Hintertüren bei den Providern in den USA Telefon- und Internetkommunikation, der Kongress soll der Bush-Regierung ausdrücklich die Ausübung der Kriegsrechte in den USA untersagt haben

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Nachdem bekannt wurde, dass die Bush-Regierung Telefon- und Email-Kommunikation von Amerikanern ins oder vom Ausland abhören ließ, kam prompt der Dämpfer. Obgleich die Regierung des Kongress beschworen hatte, das Patriot-Gesetz unbegrenzt zu verlängern, weil sonst womöglich Terroranschläge nicht mehr verhindert werden könnten, entschieden die Abgeordneten vor Weihnachten, es erst einmal vor einer nächsten Diskussion nur für wenige Wochen zu verlängern. Der Abhörskandal könnte aber noch eine Stufe zulegen, da der Geheimdienst NSA allgemein Telefongespräche und Internetkommunikation von Amerikanern mit dem Ausland (oder auch im Inland?) abgehört und ausgewertet hat. Das macht auch die Umgehung des FISA-Gerichts. Heimlich musste man es auch machen, nachdem der Kongress dem US-Präsidenten die gewünschte Ausdehnung der Kriegsrechte auf die USA verweigert hatte.

Vor dem 11.9. herrschte einige Zeit große Aufregung außerhalb der USA, als die Dimensionen des Lauschprogramms Echelon (Inside Echelon) bekannt wurden, das die NSA mit anderen Geheimdiensten betrieb. Weltweit wurde hier die über Satelliten laufende Kommunikation abgehört und nach bestimmten Begriffen durchsucht. Das fand auch in befreundeten Ländern statt und offenbar zudem zum Zweck der Wirtschaftsspionage. Auch in den USA rief dies damals Unruhe hervor (Amerikanischer Kongress verlangt Aufklärung über Echelon). Nachdem sich ein EU-Ausschuss mit Echelon befasst hatte, wurde es nach dessen Abschlussbericht, durch den sich natürlich nichts änderte, zumal auch einige EU-Regierungen an dem Lauschsystem beteiligt waren oder davon profitierten (Europa-Parlament verabschiedet Echelon-Bericht), wieder ruhig um das Lauschen..

Mit dem 11.9. war das weltweite Abhören, das überdies von allen Auslandsgeheimdiensten, sofern sie die nötige Ausstattung besitzen, mehr oder weniger umfangreich betrieben wird, erst einmal sowieso kein Thema mehr. Geheimdienste wurden neben Antiterroreinheiten und Militär zum wichtigsten Instrument im Krieg gegen den Terror und dementsprechend aufgewertet, mit größeren Befugnissen ausgestattet sowie mit mehr Geld gefördert. Erst jetzt wurden die unsauberen Machenschaften der Geheimdienste, die bestenfalls in einer rechtlichen Grauzone operieren, in einer größeren Öffentlichkeit diskutiert. Verschleppungen, Ermordungen, Folter und Geheimgefängnisse wurden anhand der CIA-Aktivitäten und der Kooperation von befreundeten Regierungen und Geheimdiensten zum Thema. Plötzlich stand man wieder in einer Welt, wie sie im Kalten Krieg gang und gäbe war.

Der Kalte Krieg lebte nach Clinton in vieler Hinsicht mit der Bush-Regierung wieder auf. Ronald Reagan war für die das große Vorbild, zudem kamen viele aus der Reagan-Zeit in der Bush-Administration wieder zur Geltung (vgl. Irak-Krieg von langer Hand vorbereitet), auch wenn ihr Ruf angeschlagen war wie beim einstigen US-Botschafter an der UN, dann im Irak und jetzigen Geheimdienstchef John Negroponte und einigen in die Iran-Contra-Affäre verwickelten Personen wie John Poindexter, der für das Pentagon das Lauschsystem Total Information System aufbauen sollte (Totale Überwachung).

Der Kalte Krieg lebt etwa auch in dem von Bush für das Oberste Gericht vorgeschlagenen Richter Samuel A. Alito Jr. Fort. Dieser arbeitete auch bereits unter der Präsidentschaft Reagans und hatte 1984 ein Memorandum verfasst, nach dem der Generalstaatsanwalt Immunität genießen sollte, wenn er ohne richterliche Genehmigung das Abhören von US-Bürgern genehmigt, selbst dann, wenn dabei bewusst das Gesetz verletzt wird. Alito trat für eine "absolute Immunität" ein. Das Ansinnen wurde vom Obersten Gericht damals zurückgewiesen, Alito aber hatte in seinem Memo auch auf den 1978 eingerichteten Federal Intelligence Surveillance Court (FISA) aufmerksam gemacht, der bereits weitgehend die Rechtslage für die Abhörgenehmigungen geklärt habe.

Eben das FISA-Gericht, exklusiv für Abhörgenehmigungen zuständig, ist von der Bush-Regierung umgangen worden, um unkontrolliert die NSA lauschen zu lassen, obgleich Abhörgenehmigungen für amerikanische Bürger bei Terrorverdacht durch das Gericht und durch den Patriot-Act ohne Probleme auch nachträglich und bei völliger Geheimhaltung möglich gewesen wären. Im Weißen Haus argumentiert man einerseits, dass Genehmigungsprozeduren oft zu lange dauern, man aber schnell handeln müsse (was ein seltsames Argument für die Legetimität darstellt), und andererseits, dass Abhören ohne Gerichtsbeschluss durch den vom Kongress am 18.9.2001 gefassten Beschluss (Authorization for the Use of Military Force) gedeckt sei, der dem Präsidenten als Obersten Kriegsherrn umfassende Rechte einräumt.

Der Kongress hatte in seiner Kriegsermächtung für den US-Präsidenten eine explizite Erweiterung auf die USA verhindert

In dem Beschluss, der Präsident Bush den Einsatz von militärischen Mitteln gegen Terroristen und ihre Verbündeten als Folge der Anschläge vom 11.9. gewährte, ist von Überwachung oder Abhören nicht direkt die Rede. Nach dem Stellvertretenden Generalsstaatsanwalt William Moschella, der an den Kongress einen Brief zum Thema geschickt hatte, schließe die Erlaubnis, militärische Mittel einzusetzen, auch alle erforderlichen Geheimdienstaktivitäten ein. Dass in dem Beschluss nicht direkt das Abhören erwähnt wurde, dürfe man nicht so auslegen, als müsse die Regierung nun "auf diese seit langem anerkannte und entscheidende Befugnis verzichten, Kommunikation abzuhören, die an den Feind gerichtet ist". Das aber schließe wiederum notwendig das Abhören der Kommunikation ein, bei der sich ein Partner in den USA befindet.

Diese Argumentation wird allerdings von dem ehemaligen demokratischen Senator Daschle bestritten. Und sollten seine Behauptungen zutreffen, könnte man sich im Weißen Haus wohl nicht mehr herausreden, weil man sich dann bewusst über den Willen des Kongresses hinweggesetzt hätte. Nach Daschle, 2001 Mehrheitsführer der demokratischen Senatoren, hatte der Kongress nämlich, so die endgültige Version, explizit die Erweiterung der Kriegsbefugnisse auf die USA und damit das Abhören von US-Bürgern abgelehnt. Der Beschluss gewährt dem Präsidenten

den Einsatz jeder notwendigen und angemessenen Gewalt gegen die Nationen, Organisationen und Personen, die nach seiner Ansicht die Terroranschläge vom 11.9. geplant, beauftragt, begangen oder unterstützt haben, um künftige Akte des internationalen Terrorismus gegen die USA durch solche Nationen, Organisationen und Personen zu verhindern.

Kurz vor der Abstimmung soll die Regierung noch versucht haben, einen Zusatz einzufügen, so dass er berechtigt gewesen wäre, "jede notwendige und angemessene Gewalt in den USA und gegen die Nationen …" anzuwenden. Das hätte, so Daschle, das Kriegsrecht auch weitgehend Menschen in den USA erweitert. Der Kongress hatte die Einfügung des Zusatzes ebenso verweigert wie einen anderen Zusatz verweigert, der im Nachhinein auch deutlich werden lässt, wie selbstherrlich und unkontrolliert vom Gesetzgeber die Bush-Regierung gehandelt hat. Nach dem Kongressbeschluss steht zwar dem Präsidenten mehr oder weniger frei, wen er für die Anschläge vom 11.9. verantwortlich macht, aber er bezieht sich doch einschränkend auf die für den 11.9. verantwortlichen "Nationen, Organisationen und Personen". Die Regierung wäre gerne völlig uneingeschränkt gewesen und hatte sich den Zusatz gewünscht, dass der Präsident militärische Mittel einsetzen darf, "um alle künftigen Akte des Terrorismus oder der Aggression gegen die USA abzuwehren und präventiv zuvorzukommen". Ebenso wurde dann schließlich trotzdem agiert, aber nicht ausdrücklich getragen vom Kongress.

Weitreichende Überwachung der Telefon- und Internetkommunikation

Wie die New York Times aufgrund von Informanten aus Regierungskreisen am Freitag berichtete, ging das von der Bush-Regierung geheim und unter Umgehung des FISA-Gerichts und des Patriot-Gesetzes beauftragte Lauschprogramm der NSA weit über die bisherigen Ausnahmen hinaus. Es wurde nicht die Kommunikation von einzelnen Menschen abgehört, die in Kontakt mit Terrorverdächtigen im Ausland standen – zunächst hieß es, es seien zu jeder Zeit um die 500 Personen gewesen -, sondern die NSA hat von großen Telekommunikationsprovidern einen direkten Lauschzugang auf inländische und ausländische Kommunikation durch die Einrichtung von Hintertüren erhalten. Allerdings habe die NSA seit jeher einen guten Draht zu den amerikanischen Unternehmen, um ihren Aufgaben besser nachgehen zu können (vgl. beispielsweise Ein Netz voller Charity).

Laut der New York Times war das FISA-Gericht offenbar bereits besorgt angesichts einiger Anträge auf Lauschangriffe durch die NSA, die einen Zugang zu den Kommunikationsströmen suchte, die durch die Knoten amerikanischer Telefon- und Internetunternehmen laufen. Beim FISA-Gericht wurde anscheinend beanstandet, dass damit ein allgemeiner Zugriff auf die Kommunikation möglich wird, und forderte eine Begrenzung. Tatsächlich scheint die NSA aber das Abhören der gesamten Kommunikation im Rahmen eines umfassenden Datamining-Programms betrieben zu haben. Wie bei Echelon oder mit den dort entwickelten Mitteln wurde die Telefon- und Internetkommunikation nach bestimmten Mustern durchsucht, um Verdächtiges herauszufischen. Dabei sei es darum gegangen, wer wen anruft, wie lange die Kommunikation dauerte, zu welcher Tageszeit dies geschieht und von wo aus bzw. wohin sie gerichtet war. Dabei ging es anscheinend primär um die Verbindungsdaten, nicht um den Inhalt. Gleichwohl hätte der Kongress nicht das Durchstöbern der gesamten Kommunikation nach verdächtigen Informationen oder Mustern genehmigt. Das wusste man natürlich in der Bush-Regierung und begann daher wohl, heimlich und im rechtlosen Raum, in dem auch viele andere Aktivitäten durch juristische Scheinbegründungen angesiedelt wurden, mit einem möglichst umfassenden Lauschangriff.

Nach einem Mitarbeiter eines US-Telekommunikationsunternehmens haben die Unternehmen Kommunikationsmuster gespeichert und an die NSA weiter gegeben, ein ehemaliger NSA-Mitarbeiter sagte, die US-Regierung habe nach dem 11.9. zum besseren Abhören darauf gedrängt, dass US-Unternehmen mehr Knoten für den internationalen Telekommunikationsverkehr einrichten. Die Zunahme dieses Transitverkehrs, so berichten Geheimdienstmitarbeiter, sei ein wichtiges Anliegen der Geheimdienste gewesen. Das erweitert den Zugriff auf die internationale Kommunikation über das Abhören der über Satelliten gehenden Kommunikation hinaus.