Haben die Uranwaffen des Irak-Kriegs auch Europa kontaminiert?

Wissenschaftler glauben, einen steilen Anstieg der Uran-Konzentration in der Luft in britischen Messstellen auf die Bombardierungswelle mit DU-Munition Ende März 2003 zurückführen zu können

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Abgereichertes Uran (DU), das die Durchschlagskraft von Munition, beispielsweise für die bunkerbrechenden GBU-Bomben, erhöht, ist auch beim Einmarsch in den Irak von amerikanischen und britischen Truppen verwendet worden. Wie viel genau, ist allerdings unbekannt, aber es dürften mehrere hundert Tonnen gewesen sein, möglicherweise bis zu 2.000 Tonnen, die meist über Städten abgeworfen wurden. Abgereichertes Uran ist massenhaft vorhanden und fällt bei der Herstellung von Brennstäben für Atomkraftwerke ab. DU schädigt die Gene, verursacht Krebs und kann eine ganze Reihe anderer Gesundheitsschäden hervorrufen. Umstritten ist jedoch seit dem ersten Irak-Krieg 1991, ob und wie sehr die von DU-Munition freigesetzte Radioaktivität gesundheitsschädlich für die Menschen ist, die ihr ausgesetzt sind. Sollte der Bericht von britischen Wissenschaftlern zutreffen, dass radioaktive Partikel, die von der Lunge aufgenommen werden können, vom Irak bis nach Großbritannien gelangt sind, dann würde die Diskussion über die Risiken von DU-Munition eine ganz neue Dimension berücksichtigen müssen.

Beladen einer A-10 mit 30mm-DU-Geschossen. Die Bordkanone kann zwischen 2000 und 4000 Schuss pro Minute feuern. Bild: USAF

Das Pentagon bezeichnet – genauso wie die NATO - DU als weitgehend ungefährlich und hat sich daher auch geweigert, die bombardierten Orte im Irak zu dekontaminieren. Ehemalige US-Soldaten, die am ersten Irak-Krieg teilgenommen hatten, machten u.a. die von DU ausgehende Strahlung für das sogenannte Golfkriegssyndrom verantwortlich. Im Irak wurde sie für angeblich gestiegene Krebsrate bei Kindern und für Geburtsfehler verantwortlich gemacht. Wie gefährlich DU, das hauptsächlich aus Uran-238 besteht, tatsächlich ist, ist umstritten. Die Halbwertszeit ist aber mit 4,5 Milliarden Jahren sehr lange.

Beim Aufprall eines DU-Projektils entzündet sich der Uran-Kern. Dabei verdampft ein Teil des DU zu Aerosol, also zu feinem Staub, der vom Wind größere Strecken befördert und durch die Atmung mit aufgenommen werden kann. Der Rest verteilt sich in der unmittelbaren Umgebung, wo Menschen in Kontakt mit ihm geraten können. Uranoxidstaub gelangt ins Grundwasser, auch die Korrosion von DU-Munition gibt den Stoff ab. Eine UNEP-Untersuchung von Orten in Serbien und Montenegro, die mit DU-Munition bombardiert wurde, entdeckte noch drei Jahre nach der Bombardierung DU-Partikel in der Luft. 2004 kam eine Studie zum Ergebnis, dass sich abgereichertes Uran auch im Urin von Zivilisten und Soldaten im Irak angereichert hat (Kontaminiert!).

Der Großteil der DU-Munition, die bei Angriffen von A10-Kampfflugzeugen abgefeuert werden, dringen in den Boden ein, ohne zu verbrennen und Uranoxid-Staub freizugeben. Wissenschaftler des Institutes für Pflanzenernährung und Bodenkunde der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig haben nach langjährigen Untersuchungen herausgefunden, dass

in den Boden als Uranoxid eingebrachtes Uran durch physikochemische und biologische Vorgänge gelöst und für Pflanzen aufnehmbar wird. Nach 3 Jahren Verbleib im Boden waren bis zu 40% des zugeführten Urans in mobile Verbindungen übergegangen. Solche mobilen Uran-Verbindungen können entweder von Pflanzen aufgenommen, oder in Böden und Gewässer verlagert werden. … Die Uran-Konzentrationen der Pflanzen lagen schon in den geringsten Belastungsstufen um bis zu tausendmal höher als in den Kontrollen. Die FAL-Wissenschaftler/innen fanden aber auch, dass die Mobilisierung des Urans mit abnehmender Fruchtbarkeit des Bodens (niedrigere pH-Werte, geringere Gehalte an mineralischen Pflanzennährstoffen, vor allem Phosphor) zunimmt. Wenig fruchtbare Böden sind aber gerade typisch für Krisengebiete und die Bevölkerung ist dort auf Selbstversorgung vom eigenen Boden angewiesen.

Die A-10 in Aktion. Bild: USAF

Die WHO empfiehlt eine genaue Überprüfung des Wassers und der Lebensmittel nach Konflikten und empfiehlt eine Dekontaminierung von belasteten Orten.

Britische Wissenschaftler haben jetzt entdeckt, dass es an fünf Messstellen in der Nähe der britischen AWE (Atomic Weapons Establishment) in Aldermaston bei Reading Ende März einen Anstieg der Uranbelastung in der Atmosphäre um das Vierfache gegeben hat. Die Wissenschaftler Saoirse Morgan und Chris Busby von der University of Liverpool, Experte für Gefährdung durch Radioaktivität, Gründer von Green Audit und Berater der britischen Regierung, haben an das britische Verteidigungsministerium Anträge nach dem neuen Informationsfreiheitsgesetz gestellt, nachdem seit 1999 die Veröffentlichung der Messergebnisse eingestellt wurde. Sie hatten daraufhin zwar die Daten aus den Jahren 2000 bis 2004, mit der Ausnahme der Messergebnisse von Anfang 2003. Das war aber just die Zeit, als der Irak-Krieg mit dem Einmarsch und der massiven Bombardierung nach der Devise Shock-and-awe begann. Innerhalb von 24 Stunden wurden mit 1.500 Bomben und Raketen auch großen Mengen an DU zur Zerstörung von Gebäuden und Bunkern eingesetzt. Überdies wurden Hunderttausende von „silver bullets“, die mit DU ummantelt sind, aus den Bordkanonen der A-10-Kampfflugzeuge abgefeuert.

Erst nach weiterem Bohren rückten die Behörden die fehlenden Daten heraus. Als die Wissenschaftler die Messergebnisse von vier Stationen und der Messungen im AWE zwischen 2000 und 2004 auswerteten, stellten sie eine signifikante Erhöhung der von Uran in der Luft ausgehenden Radioaktivität Ende März 2003 fest, der auch die britische Umweltbehörde alarmiert hatte, auch wenn die Werte noch innerhalb des ungefährlichen Bereichs lagen. Durchschnittlich gibt es in dem Messbereich eine Hintergrundstrahlung von 155 Nano-Becquerel pro Kubikmeter, Ende März bis Mitte April stieg er auf 650. Einen weniger starken Peak gab es Anfang 2002, in der Zeit also, als Tora Bora von der US-Luftwaffe bombardiert wurde. Über die gesundheitliche Gefährdung machen die Wissenschaftler keine genaueren Angaben, gehen aber davon aus, dass die Aussetzung an zusätzliche Partikel durchaus gefährlich sein kann.

Für Busby und Morgan liegt ein Zusammenhang mit den Bombardierungen mit BU-Munition nahe. Sowohl die Messwerte in der Atomwaffenanlage als auch außerhalb sind während der Bombardierungsphase in die Höhe gegangen, die Messwerte der äußeren Messstationen lagen höher, was für Busby und Morgan dafür spricht, dass kein Vorkommnis in der AWE verantwortlich sein könne. Der erste Peak war am 27. März, also müssten die Aerosole mit dem Beginn der Bombardierung am 19. März sich in diesen aus dem Irak in der Atmosphäre verbreitet und mit Winden bis nach Europa transportiert worden sein. Die Wetterberichte zu dieser Zeit ließen dies als möglich erscheinen, es gelangte in dieser Zeit auch Sand von der Sahara bis nach Großbritannien, wofür ein Hoch über Europa, ein Tief über dem Atlantik und ein konstanter Wind aus südlichen Richtungen verantwortlich waren. Das zeige, so schreiben die beiden, dass „DU-Waffen sowohl die Menschen vor Ort als auch Hunderte und Tausende von Meilen entfernt kontaminieren“.

Busby und Morgan weisen darauf hin, dass die meisten Berichte wie der von der Royal Society davon ausgehen, dass SICH die radioaktiven Aerosole nur wenige Meter um die Einschlagstelle verbreiten würden. Dem widerspricht aber die UNEP-Untersuchung, die in Montenegro und Bosnien Partikel noch zwei Jahre später in der Luft nachweisen konnte. Busby selbst habe auch bei Untersuchungen von Regenwasserpfützen im Kosovo noch neun Monate nach dem Einsatz von DU-Munition abgereichertes Uran feststellen können. Busby führt die Ablehnung der Verbreitung von DU-Aerosole über weite Gebiete auf die Annahme über die Größe der Partikel zurück. Die Royal Society ging von Partikeln in der Größe von 1 bis 5 Mikron aus, Untersuchungen des US-Militärs mit feineren Filtern aus den 80er Jahren hätten jedoch gezeigt, dass fast die Hälfte der Partikel kleiner als 1 Mikron sei. Damit würden sich die Partikel eher wie Gas verhalten und könnten wie die radioaktiven Gase nach den Tschernobyl-Unfall auch über große Entfernungen transportiert werden.

Vom britischen Verteidigungsministerium wird das bestritten. Es sei unmöglich, dass sich abgereichertes Uran so weit verbreiten könne. Die Umweltbehörde erklärte, dass andere Messstationen keinen vergleichbaren Anstieg gezeigt hätten. Manche Experten führen dies auf andere Umweltquellen zurück. Brian Spatt, der das Team für einen Bericht der Royal Society über DU-Munition geleitet hatte, bezweifelt ebenfalls, dass die DU-Munition die Ursache ist. Möglicherweise aber hätte die massive Bombardierung das Uran aus dem Boden freigesetzt, gibt er zu bedenken. Der Bericht der Royal Society stufte das Gesundheitsrisiko als relativ gering ein, empfahl aber eine Dekontaminierung der betroffenen Orte und eine medizinische Untersuchung der britischen Soldaten.