Fleißig sein beim Nichtstun

Quantencomputer rechnen wie von selbst

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Kann man gleichzeitig faulenzen und arbeiten? Wenn man in der Quantenwelt lebt, schon: Forscher zeigen, dass Programme Antworten liefern können, ohne überhaupt gestartet worden zu sein.

Wenn ein Anrufer bei einer IT-Hotline sich darüber beschwert, dass das Internet mal wieder nicht funktioniert, lautet die Rückfrage oft „Haben Sie denn Ihren Webbrowser gestartet?“ Eine sinnvolle Klarstellung – jedenfalls heute noch. Sollten sich dereinst Quantencomputer unter jedem Schreibtisch befinden (eine eher unwahrscheinliche Vorstellung), müssen sich Hotliner umstellen. Denn (und das ist schon eine Weile bekannt) – Quantencomputer liefern Lösungen auch, wenn man sie noch gar nicht gefragt hat (angeschaltet und programmiert sollten sie aber schon sein).

Derartige Computer machen sich die Eigenheit zunutze, dass Quantensysteme mehrere Zustände gleichzeitig einnehmen können. In der klassischen Elektronik signalisiert jedes Bit entweder "0" oder "1". Das heißt, wenn man die Summen aus zwei klassischen Bits berechnen will, benötigt man vier Operationen: 0+1, 1+0, 1+1 und 0+0 (dass die Summanden vertauschbar sind, soll hier keine Rolle spielen – bei den meisten Funktionen kann man die Operanden nicht einfach auswechseln). Ein Qubit, ein Quantum-Bit, hat jedoch die Werte 0 und 1 gleichzeitig. Mathematische Operationen beziehen sich immer auf alle in den Qubits "enthaltenen" Werte. Statt vier Rechenschritten benötigt man also nur noch einen einzigen. Das beschert den Quantencomputern ihre unwahrscheinliche Rechenleistung. Die ist allerdings leider mit einem winzigen Problem behaftet: Beim Ablesen eines Ergebnisses zerstört man die Superposition der Quantenbits; diese werden durch den Zuschauer auf einen bestimmten Wert festgelegt. Die Kunst liegt insofern darin, spezielle Algorithmen zu entwickeln, bei denen man aus der Kenntnis einiger Ergebnisse auf die Gesamtheit schließen kann.

Wie die einzelnen Qubits ist nun auch der komplette „Computer“ vor den Regeln der Quantenwelt nicht sicher. Auch er existiert in einer Überlagerung verschiedener Zustände – in dem einen ist ihm der Befehl gegeben worden, das gegebene Problem zu lösen, im anderen hat der unbedarfte Anwender das vergessen. Aber trotzdem liefert der Quantenrechner das Ergebnis.

Hat er gerechnet oder nicht?

Dieser „counterfactual computation“ genannte Effekt wird schon seit ein paar Jahren diskutiert. Das Problem war – bisher – dass man sich einfach nicht auf dieses Verfahren verlassen kann: Die Wahrscheinlichkeit, die korrekte Lösung zu erhalten, ohne das Programm zu starten, ist niedriger als die, durch Raten zum richtigen Ergebnis zu kommen. In einem eben im Fachblatt Nature veröffentlichten Aufsatz (Vol 439, 23 February 2006, doi:10.1038/nature04523) zeigen US-Forscher um Onur Hosten von der University of Illinois in Urbana-Champaign nun, dass es möglich ist, mit ein paar Tricks diese Wahrscheinlichkeit bis auf 1 zu steigern. Zugleich belegen sie, dass man das Verfahren unter Umständen als zusätzliche Fehlerkorrektur nutzen kann – es passiert, dass Quantensysteme zufällig ihre Überlagerungszustände verlieren („Dekohärenz“).

Der „Trick“ der Wissenschaftler besteht darin, eine neue, verkettete Form des so genannten Zeno-Effekts zu benutzen. Der nach dem griechischen Philosophen Zeno von Elea benannte Effekt beschreibt das (im „richtigen“, also makroskopischen Bereich völlig unlogische) Phänomen, dass sich bestimmte Prozesse durch Zuschauen verlangsamen lassen – als ob ein Topf Wasser auf dem heißen Herd nie zum Sieden käme, wenn ihm der Koch nur lang genug zuschaute.

In der Quantenphysik ist das ein nachgewiesener Effekt. Allerdings war seine Anwendung auf das Counterfactual Computing bisher nicht von Erfolg gekrönt. Jedenfalls, bis das Team um Hosten nun einen verketteten Zeno-Effekt nutzte: es wird dabei auch der Beobachter ständig beobachtet, übertragen gesprochen. So gelang es den Forschern, einen klassischen Computern überlegenen Suchalgorithmus umzusetzen, der nicht gestartet werden muss, um Ergebnisse zu liefern.

Hat Counterfactual Computing einen Sinn? In einem einführenden Nature-Views-Artikel gibt der theoretische Physiker Jonathan Dowling die ehrliche Antwort „Nein“. Der Computer müsse nach wie vor angeschaltet und programmiert sein, man könne nicht mal Strom sparen. Der Wert des Experiments liege, so Dowling, einzig darin, unser Verständnis der Quantenmechanik zu verbessern.