Terrorabwehr in der Netzwerkgesellschaft

Schwärme, Staubsauger, Tarnkappen und das neue Krieger-Ethos

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

In einer vernetzten Welt, in der ständig Bedrohungsszenarien eines internationalen, islamistischen und amorphen Terrors an die Wand gemalt werden, rückt die Frage nach der Abwehr dieser mehr oder weniger manifesten Gefahr in den Vordergrund. Die US-Regierung hat als Antwortparole den "globalen Krieg gegen den Terror" verkündet, während das US-Militär die Doktrin der netzwerkzentrischen Kriegsführung ausgearbeitet hat. Gleichzeitig gewinnt die Aufklärung möglicher Anschläge an Bedeutung, was die Rolle der geheimen Nachrichtendienste gestärkt und zu einer Vermischung ihrer Arbeit mit der von Polizei und Militär geführt hat. Vergessen wird dabei häufig, dass für den Liberalismus auch die Abwehr staatlicher Eingriffe kennzeichnend ist. Eine Tagung in Berlin widmete sich dem Spannungsfeld unter dem Motto: "Abwehr: Modelle – Strategien – Medien".

Spätestens seit die Doppeltürme des World Trade Center in New York in sich zusammensackten, gelten "schattenhafte Netzwerke", wie es in der nationalen Sicherheitsstrategie der USA heißt, als die größten Feinde der liberalen Gesellschaft. Sie haben das Szenario der kommunistischen Unterwanderung aus dem Kalten Krieg als Bild vom Staatsfeind Nummer Eins abgelöst. In ausschwärmenden Netzwerken sehen Strategen aber auch die einzig mögliche Antwort auf die Herausforderung durch die weitgehend konturlosen, sich über die modernen Kommunikationsmedien koordinierenden Bedrohungsstrukturen. Damit ist das Dilemma verbunden, dass die Kämpfer für die äußere und innere Sicherheit selbst "am Rande" agieren und die Grenzen des Rechtsstaats hinter sich lassen.

Mit einer dreitägigen Konferenz versuchte die Junge Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften daher, aktuelle Modelle, Strategien und Modelle der Abwehr zu ergründen. Immer wieder kam dabei die Sprache auf den Spagat zu sprechen, den die Umstellung auf das Netzparadigma im Sicherheitsbereich von allen Beteiligten erfordert.

Klassische Gefüge werden vor allem im Militär radikal über den Haufen geworfen, führte der Soziologe Stefan Kaufmann aus: "Netzwerkzentrische Kriegführung verschiebt den technischen Fokus von der Waffenentwicklung zur Entwicklung von Informationsnetzwerken.“ Ziel kommunikationstechnischer Vernetzung sei es letztlich, ein gemeinsames Lagebild für sämtliche militärische Ebenen zur Verfügung zu stellen. Aufgebaut werden solle ein Global Information Grid, das von sämtlichen existierenden Aufklärungsnetzwerken des Militärs und der Geheimdienste gefüttert und allen Akteuren auf dem Feld der nationalen Sicherheit einschließlich der Soldaten Daten und Anwendungen aufgabenspezifisch zur Verfügung stellt.

Inspirationsquelle Cyberpunk

Der Anschluss ans Netz läuft den gegenwärtigen militärischen Kommunikationsweisen und Hierarchie-Ebenen der Befehlsgewalt jedoch komplett entgegen. "Die Intelligenz und die Kompetenz des Informationsmanagement verlagert sich vom Sender zum Nutzer", sagt Kaufmann. Das Kommando beschränke sich darauf, Rahmenbedingungen für erfolgreiches Operieren zu setzen. Führungskraft solle laut Erwartung der Protagonisten der Network-centric Warfare nicht an eine Person gebunden sein, sondern als "emergentes Phänomen" aus der Situation heraus entstehen.

Kein Wunder sei es daher, dass die militärischen Vordenker in hohem Maße Anleihen bei Pionieren der "Cyberpunk-Kultur" aus dem Umfeld des Magazins Wired wie Kevin Kelly genommen hätten. Ganze Passagen würden kopiert, welche die Netzkultur in biologischer Metaphorik als evolutionären Schritt deuten, mit dem aus der Koordination von verstreutem Wissen und die Organisation von "Bottom-up"-Prozessen neue Formen der Gemeinschaft entstünden.

Den einzelnen Soldaten könnten die neuen, fließenden Bedingungen militärischer Tätigkeiten aber rasch überfordern, glaubt Kaufmann. Der künftige Soldat werde geradezu als "Negativ des irregulären Netzkriegers" positioniert. Wenn dieser sich blitzschnell von einem Passanten in einen Terroristen verwandele, solle jener im Handumdrehen gemäß der "Three Blocks"-Theorie des Marine-Kommandanten Charles Krulak von Völkerverständigung auf Feindbekämpfung umstellen können. Gleichzeitig werde Vertrauen "zur zentralen Ressource der Kooperation", um überhaupt noch eine Bindung zwischen einzelnen Soldaten und Truppenteilen herzustellen.

Ob das von der US-Army in der Form eines Glaubensbekenntnisses propagierte Warrior Ethos nach dem Motto "Ich bin amerikanischer Soldat und werde niemals eine Niederlage akzeptieren" dafür ausreicht, bezweifelt Kaufmann. Für ihn bleibt offen, ob eine positive Wendung der Metapher des kriminell angehauchten Netzwerks als früherem Inbild staatlichen Schreckens und gesellschaftlichen Verfalls gelingen kann.

Tiermetaphorik und die Angst vorm Kontrollverlust

Zwiespältig bleiben die gegenwärtigen Strategien zur Terrorabwehr auch für Eva Horn, frischgebackene Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Uni Basel. Die skizzierten Netzwerke und Schwärme sind ihrer Ansicht nach "einerseits das ganz Andere des Staats, der hierarchisierten, kontrollintensiven, auf Aus- und Einschlüssen beruhenden politischen Formen, in denen wir leben". Andererseits seien sie aber gerade die Antriebsfedern unserer sozialen, ökonomischen und medialen Lebenswelten. Auch Terrornetzwerke seien aus genau dem gebaut, "was wir als soziales Band am höchsten schätzen: Vertrauen, Zuverlässigkeit, Glaube an eine gemeinsame Sache".

Bei den Beschreibungen von Netzen als Feinden, die zugleich aber die Lösung des Konflikts darstellen sollen, und von Schwärmen als "Schreckensszenarien und als Utopie einer 'vollkommenen' Intelligenz" handelt es sich laut Horn so "gleichermaßen um Verkörperungen unserer schlimmsten Ängste wie unserer kühnsten Träume". Faszinierend daran sei zugleich das Ende eines "überholten Begriffs von Kontrolle und Herrschaft – aber auch die Angst vor dem Verlust von Kontrolle und Beherrschbarkeit der Systeme, in denen wir leben".

Wie sich Geheimdienste in diese paradoxe Netzwerkwelt einfügen und welche Funktionen zwischen Aufklärung und Machtpolitik sie darin erfüllen könnten, skizzierte Hans-Georg Wieck, altersweiser und väterlich-fürsorglicher Ex-Präsident des inzwischen auch schon fünfzigjährigen Bundesnachrichtendienstes (BND), im Hauptvortrag der akademischen Veranstaltung. Undercover agierende Nachrichtendienste bilden für ihn das Rückgrat des auch für die netzwerkzentrische Kriegsführung ausschlaggebenden gigantischen Informationspools. Sie klären seiner Darstellung nach klassischerweise über Potenziale militärischer feindlicher Aktionen auf. Verstärkt würden sie aber auch die Grundlage für Entscheidungen etwa für die Beteiligungen an internationalen Krisenmissionen vorbereiten. Ihre Hauptmittel seien technische und menschliche Quellen, der Austausch mit anderen Diensten oder die Medienbeobachtung.

Folter hält Wieck dagegen nicht für ein geeignetes Mittel, um Informationen zu gewinnen. Schon die Abwehrabteilung der Reichswehr, die hauptsächlich gegen Spionage in den eigenen Reihen gerichtet gewesen sei, habe dieses Mittel verboten, um die Disziplin in der Truppe zu wahren. Trotzdem "muss man akzeptieren, dass Geheimdienste für die Unterdrückung der eigenen Bevölkerung missbraucht worden sind". Sie würden schließlich unter einer "Tarnkappe" agieren, könnten Staatsstreiche vorbereiten und Manipulationen "um den Staat herum und in ihn hinein" bewerkstelligen. Die sensible Frage der Kontrolle von Geheimdiensten durch die Zivilgesellschaft sei daher von besonderer Bedeutung.

Parlamentarische Legitimation für wenig transparente Geheimorganisationen

Hier hält der Insider die in Deutschland gefundene Form der Überwachung der Überwacher durch ein gesondertes Parlamentarisches Kontrollgremium für einen guten Ansatz. Dieses erfülle eine Doppelfunktion, da es einerseits der Regierung und andererseits über diese den Geheimdiensten auf die Finger schaue. Wieck freut an dieser Konstruktion, dass die deutschen Dienste so im Gegenzug für ihre Berichterstatterpflicht eine "Legitimation durch das Parlament" erfahren. Er sieht darin auch ein "Schutzmittel gegenüber möglicher Willkür der Regierung gegenüber den Diensten, über die diese Verfügungsgewalt hat". Der Bundestag könne sich so ein eigenes Urteil über durchgeführte Aktionen bilden, auch wenn das Kontrollgremium noch zusätzlicher Mittel für die mögliche Heranziehung externen Sachverstands bedürfe.

In dieser Hinsicht begrüßt Wieck auch die beschlossene Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung jüngster Vorfälle wie der Tätigkeiten von BND-Agenten im Krieg gegen den Irak. Gemäß seiner Verfolgung der Vorgänge hätte nämlich zumindest der Auslandsnachrichtendienst selbst keine "aktive Hilfe" aus Bagdad "über die regulären Kanäle" an die USA geleistet. Vielmehr hätten die dorthin entsandten Beamten ihre ganz normale "Manöverkritik" erstellt und die Berichte "an die Regierung gegeben". Es sei damit durchaus von parlamentarischem Interesse, den weiteren Verlauf des Informationsflusses nachzuvollziehen.

"Kritikwürdig" habe sich die Bundesregierung ferner bei der Entführung von Khaled al-Masri durch CIA-Agenten verhalten, da sie selbst die Abgeordneten über den Fall nicht in Kenntnis gesetzt habe. Zu erklären sei zudem, warum Beamte des Bundeskriminalamtes in Syrien gefolterte Personen verhörten, obwohl dabei eventuell erpresste Geständnisse generell nicht vor Gericht zu verwerten seien.

Mut vor dem Königsthron

Zu Gericht ging Wieck auch mit dem Verhalten der US-amerikanischen Kollegen im Vorfeld des Irak-Kriegs. Er nehme an, dass die CIA nicht von sich aus US-Präsident George W. Bush mitgeteilt habe, dass Saddam Hussein mit Osama bin Laden zusammengearbeitet hätte. Die Flugaufklärung habe wohl auch erbracht, dass keine Gefahr einer sich aufbauenden ABC-Waffen-Kapazität im Irak gegeben gewesen sei. Trotzdem hätte der US-Auslandsnachrichtendienst den damaligen US-Außenminister Powell mit nicht stichhaltigen Informationen im UN-Sicherheitsrat "ins Messer laufen lassen". Hier wäre laut Wieck "Mut vor Königsthron" erforderlich gewesen und der damalige Chef des Dienstes hätte mit dessen Gewicht stärker durchschlagen müssen.

Dass die Aufklärung im Fall der Anschläge am 11. September 2001 versagt hat, erklärt Wieck dagegen mit einer "Strukturschwäche" im US-amerikanischen System. In den USA fehle ein Inlandsgeheimdienst vergleichbar mit dem Bundesverfassungsschutz und eine zentrale Auswertung der Informationen aller nationalen Geheimdienste, für die hierzulande der BND sorge. Das FBI sei als reine Polizei dagegen nicht fähig gewesen, die Indikatoren für die Terrorattacken im eigenen Land zu erfassen und richtig zusammenzuführen.

Prinzipiell hält Wieck eine Früherkennung terroristischer Planungen aber auch dann für möglich, wenn dezentrale Netzwerke dahinter stecken. "Man kann immer atypisches Verhalten von Gruppierungen wahrnehmen", lautet sein Credo. Jede menschliche Organisation hinterlasse Spuren, die hierzulande etwa in dem von 40 Stellen gefütterten Terrorabwehrzentrum des Bundes in Berlin-Treptow zusammenlaufen würden. "Wenn Gruppierungen enorme Mengen von E-Mails und SMS schreiben und schicken, kann man erfahren, was in den Köpfen vorgeht."

Insgesamt ist Wieck optimistisch: "Die Zukunft gehört nicht dem Missbrauch, sondern der Kontrolle der und dem Vertrauen in die Geheimdienste.". Dass die Dienste anderer westlicher Länder deutlich mehr Befugnisse und weniger Aufsicht hätten, hält der Ex-Diplomat nicht für einen Nachteil. "Die outperformen uns ja nicht", stellte er auf Neudeutsch klar. Das "offene Geheimnis", dass die Dienste anderer Industriestaaten auch Wirtschaftsspionage betreiben, wollte er aber nicht unter den Tisch kehren. Wenn ein Informationsaggregator wie die NSA einen riesigen "Staubsauger" für alle erdenklichen Kommunikationsvorgänge betreibe, könne sie eben einmal "diese oder jene Stichworte" bei der Analyse eingeben.