Der Telefon-Agent, der aus der Kälte kommt…

…und in die Wüste geschickt wird: Risikoabwälzung auf Telefonjobber

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“Telefonmarketing“ ist mittlerweile ein Synonym für Anrufe, die beim Abendessen, der Tagesschau oder wichtigen Besprechungen stören. Doch nicht nur der oder die Angerufene darf sich als „Opfer“ bezeichnen: Als „Nebenjobs von zu Hause“ angepriesen, geraten seit den frühen 1990ern auch Telefonisten auf juristisches Glatteis und können sich hoch verschulden.

Meinen ersten Cold Call bekam ich 1990. „Guten Tag, mein Name ist Müller von der Krefelder Agentur der Sowieso-Zeitung. Sie sind ehemaliger Abonnent und wir wollten fragen, ob Sie wieder ein Abo haben möchten, wenn die ersten drei Monate umsonst sind.“ Ich verneinte und ging davon aus, dass die Agentur nicht nochmal anrufen würde. Doch ich irrte mich.

Beim zweiten Anruf war ich verwundert. Beim Dritten hab ich die Anruferin beschimpft. Beim vierten Anruf gab ich vor, gerade keine Zeit zu haben. Ich versprach der säuselnden Dame am anderen Ende einen Rückruf, für den sie mir bereitwillig Namen und Rufnummer diktierte. Mein Rückruf erfolgte Sekunden später – doch am anderen Ende meldete sich jemand anders: „Sie sind heute schon der vierte, irgendein Spinner benutzt seit Wochen meinen Namen für Reklame und ich hab den Ärger!“

Die Verbraucherzentrale mahnte die Zeitung schließlich ab; der Streitwert war fünfstellig, Anwaltsgebühren im oberen dreistelligen DM-Bereich. Doch die Angelegenheit bekam eine Eigendynamik, die ich weder erwartet noch beabsichtigt hatte. Nur eine Woche später präsentierte nämlich der Zeitungsverlag die „wirkliche“ Täterin. Mein Erstaunen wurde nur noch durch das der „Täterin“ übertroffen. Einige Monate vorher hatte sie sich gutgläubig auf eine Zeitungsanzeige gemeldet.

Nebenverdienst per Telefon von zu Hause. Absolut seriös. Kein Risiko. Freie Zeiteinteilung, gute Provision. 02151-xxxx

Annonce aus dem Jahr 1990

Sie wurde zu einer Infoveranstaltung im Gesellschaftsraum einer Krefelder Kneipe eingeladen, wo sie und rund zwei Dutzend anderer einen Leitfaden für Werbeanrufe und eine umfängliche Liste mit Telefonnummern erhielten. Durch einen professionellen Einpeitscher euphorisiert merkte niemand, dass die Listen identisch waren und ein gemeinsames Abtelefonieren derselben Rufnummern wenig Sinn hatte. Wenigstens für den Veranstalter lohnte sich der Abend: 25 Mal 150 DM Schutzgebühr für je 15 Blatt schlechte Fotokopien. Im Leitfaden fanden sich Tipps wie „Geben sie nie ihren richtigen Namen an. So schützen sie ihre Intimsphäre“.

Die Verbraucherzentrale war von der Wendung nicht begeistert, denn die „Täterin“ war absolut gutgläubig gewesen. Der Verlag wollte außerdem partout nicht erläutern, wie die betreffende Person so schnell gefunden wurde, wo mir gegenüber noch Stein und Bein geschworen wurde, dass gar keine „Krefelder Agentur“ existierte. Dennoch konstatierten die Verbraucherschützer ein Exempel an der Dame und berichteten danach in der Presse, was sich hinter so manchem Nebenverdienst für Risiken verbergen können.

Seit 1990 ist Telefonmarketing mit Cold Calls keinen Deut legaler geworden, abgenommen hat es jedoch nicht. Eher im Gegenteil (Wenn der Spammer dreimal klingelt). Anrufe, die angeblich von Meinungsforschern, Tiefkühlfirmen, Zeitungsverlagen oder Lotterieannahmestellen kommen Staatlich sanktionierter Spam, erhalten inzwischen auch Fernsprechteilnehmer ohne Telefonbucheintrag – Wählcomputer, die einfach sämtliche möglichen Zahlenkombinationen durchtesten, sind die Ursache.

Ich habe mir inzwischen angewöhnt, Belästigern direkt Angst zu machen: „Mensch, das ist ja schön, ich bin nämlich in der PR-Abteilung ihres Mitbewerbers beschäftigt und unser Justiziar zahlt mir für Ihre Rufnummer, die ich gerade rückverfolgt habe, eine Provision.“ Andere Telefonbesitzer mit mehr Zeit verwickeln unerwünschte Telefonmarketender in Gespräche, bei denen sie geschickt den Spieß umdrehen.

Annoncen, mit denen zumeist weibliche Mitarbeiter für telefongestütztes Arbeiten in allen Branchen gesucht werden, gibt es heute wie Sand am Meer. Immerhin werden Verbraucher inzwischen durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vor telefonischen Belästigungen geschützt, was den einschlägigen Branchen ein Dorn im Auge ist.

Nicht alle Callcenter tätigen „Outbound Calls“ und auch von denen, die es tun, machen nur wenige vorsätzlich Kaltakquise. Dennoch hat sich seit 1990 nicht wirklich viel geändert. Noch heute wird bei Cold Calls verschleiert, wer wirklich dahinter steckt – eine Angewohnheit, die der Berufsbezeichnung „Call Center Agent“ einen klandestinen Beigeschmack verleiht.

Wer sich gegen Belästigungen juristisch wehren will, muss also entweder die Rufnummern über die Telekom rückverfolgen lassen (was Geld kostet, selbst wenn der Belästiger im Auftrag der Telekom anruft) oder das Vertragsangebot annehmen und nach Erhalt der Bestätigung sofort widerrufen, was nach dem Fernabsatzgesetz möglich ist, sofern es sich nicht um Zeitschriftenabos handelt. Über die Provisionszahlungen ist der Anrufer schließlich auch zu ermitteln. Doch wer macht sich schon den Aufwand, solange nicht die Anrufe eines einzelnen Anbieters überhand nehmen?

Bei gewerblichen und freiberuflichen Werbeopfern ist die Rechtslage etwas anders. Wer unterstellen kann, dass ein Gewerbetreibender oder Freiberufler Interesse am Angebot hat, darf nach der verbreiteten Rechtsprechung auch Cold Calls ausführen. Das Interesse darf unterstellt werden, wenn das Angebot den Kernbereich der jeweiligen Tätigkeit berührt.

Monika D. betreibt eine Naturheilpraxis am Niederrhein. Seit ihre Praxisnummer im Telefonbuch steht, ist auch sie regelmäßig Ziel nervender Anrufe – von denen einige auch während Hausbesuchen Kosten treibend aufs Handy weitergeleitet werden. Doch hat sie Glück im Unglück: Die Gespräche waren überwiegend freundlich und die meisten Firmen sagten sofort zu, ihre Nummer mit eine Sperrvermerk zu versehen. Kürzlich jedoch meldete sich eine „Frau B. von der Firma Arcor“. Arcor sei jetzt auch in ihrem Vorwahlbereich verfügbar und sei sowieso viel besser und farblich harmonischer als die Telekom und günstiger obendrein. Interessant war, dass Frau B.s Telefonnummer aus Oberhausen im Display angezeigt wurde.

Wir riefen die Nummer am Nachmittag zurück – und es meldete sich tatsächlich eine „Frau B. von der Firma Arcor“. Diese räumte den Cold Call ein, hielt das aber für völlig normal und war sich keiner Schuld bewusst. Allein: In Oberhausen gibt es keine Dependance der Firma Arcor und sie war folglich auch gar keine Angestellte dort, sondern arbeitete in einem Callcenter, das eben nicht zum Arcor-Imperium gehört. Überhaupt war Frau B. sehr zuvorkommend. Ihre Firma wolle alles ganz offiziell machen und seriös sein, übermittle daher die Rufnummer und benutze keine falschen Namen. Wenn wir mehr wissen wollten, könne ihr Chef in einer Stunde zurückrufen.

Der zugesagte Rückruf des Geschäftsführers blieb aus. Am Abend war die Rufnummer schließlich tot. Einige Tests „vor“ und „hinter“ ihrem Telefonanschluss ergaben ein Bündel von genau drei Rufnummern, die kein Endgerät mehr hatten. Vor und hinter den Rufnummern lagen Privatanschlüsse. Das „Callcenter“ bestand offenbar aus einem simplen ISDN-Anschluss mit drei MSN und hatte wegen der beschränkten ISDN-Bandbreite vermutlich auch nur zwei Mitarbeiter. Wir befragten Jens Wagner, den Pressesprecher von Arcor zu diesem Fall. Er brauchte weniger als 36 Stunden, um den „Täter“ zu ermitteln.

Das war kein Callcenter, sondern offenbar ein Untervertriebspartner eines Direktvermarkters aus Sachsen. Über diesen Unterpartner wurden bisher keine Verträge abgeschlossen. Unsere Unternehmenssicherheit ermittelt derzeit gegen den besagten Dienstleister, der nicht befugt ist, in unserem Namen Telefonmarketing zu betreiben.

Jens Wagner, Pressesprecher von Arcor

Somit wird Frau B., die ihr Callcenter offenbar in Form einer Ich-AG vom Wohnzimmer aus betrieben hat, wohl kaum Gewinn einfahren. Auch sie hat dem originären Arcor-Vertriebspartner möglicherweise „Schutzgebühren“ gezahlt und einige Euro in Telefonhardware investiert. Doch sie kann von Glück reden: Da sie gewerblich gehandelt hat, hätten Mitbewerber sie per Abmahnung schnell bis an die Grenzen der Privatinsolvenz treiben können.

Und noch andere finanzielle Risikien sind mit unerlaubtem Telefonieren im Namen von Arcor verbunden. Wenn jemand mit Cold Calls im Revier wildert, ist der Ruf schnell ruiniert, weshalb Arcor klagen könnte. Denn auch der Telefonanbieter macht Outbound-Calls, nach Aussagen von Pressesprecher Wagner jedoch nur bei Kunden, die ihr Einverständnis in telefonische Werbung erklärt haben. Wer bei einem solchen Opt-In-Verfahren jedoch ernsthaft die eigene Rufnummer angibt ist unklar. Im vorliegenden Fall sieht Wagner es aber unproblematisch:

Bei Gewerbetreibenden ist die Rechtssprechung bezüglich Telefonmarketing etwas anders als bei Privatkunden. Es reicht ein mutmaßliches Interesse. Trotzdem nutzen wir auch in diesem Sektor nur verifizierte Adressen von Gewerbetreibenden.

Jens Wagner, Pressesprecher von Arcor

Dabei dürfen Outbound-Callcenter beim Verkauf von Telefontarifen nicht vergessen, dass ihre Dienste nur bei einer Art von Gewerbetreibenden zulässig sind: Bei Betreibern von Callcentern nämlich. Für die meisten anderen Berufe ist das Telefon zwar ein wichtiges Arbeitswerkzeug, seine Benutzung aber nicht der Geschäftszweck, und Cold Calls nach wie vor eine potentiell teure Angelegenheit.