Seid anständig, liebe Arbeitslosen

Nachdem der Arbeitslose schon lange vor Verschwendungssucht und Herumgammeln beschützt wird, wird es Zeit, sich um seine Moral und seinen Anstand zu kümmern

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Die Politik meint es gut mit Arbeitslosen und niemand versteht das. Seit die HartzIV-Gesetzgebung in Kraft getreten ist, wird genörgelt und geschimpft. Leute jammern in Diskussionsforen oder vertrödeln ihre Zeit damit, auf Berliner Plätzen herumzustehen und zu -laufen, statt sich um Fortbildung zu kümmern. Es ist also kein Wunder, dass sich schon seit langem Politiker Gedanken darüber machen, wie sie denn den Arbeitslosen am besten helfen können, wieder zu einem vollwertigen Mitglied der Gesellschaft werden zu können.

Das Problem, dass Arbeitslose zu Verschwendung tendieren, hat man glücklicherweise mit knapp bemessenen Leistungen bereits in den Griff bekommen. Der Tendenz, zum Beispiel dauernd dem Shoppingrausch anheim zu fallen, wirkte man durch die Streichung vieler Beihilfen entgegen. Viele Arbeitslose haben aber immer noch weitreichende Probleme: Sie schämen sich z.B. für ihre Arbeitslosigkeit. Hier hilft dann nur eine Offensivtherapie durch Kleidung, die die Arbeitslosigkeit sichtbar und modisch unterstreicht.

Wie glücklich eine solche Kleidung und letztendlich sogar die so kritisierten 1-Euro-Jobs machen, wird aber von den Kritikern stets übersehen, stattdessen hackt man darauf herum, dass ein kleiner, geringfügiger, eigentlich zu vernachlässigender Teil der Jobs nicht den Regelungen entspricht oder ein anderer, ebenfalls kleiner Teil der Jobs gar nicht erst überprüft werden kann, weil man nicht genau weiß, was dort eigentlich getan wird. Es ist typisch für die stets nörgelnden Deutschen, dass man hier aus 25% Regelwidrigkeit und 50% nicht bewertbaren Jobs ein Drama macht, statt die 25% in den Vordergrund zu stellen, die den Regeln entsprechen.

Doch die Hilfsoffensive ist damit noch lange nicht zu Ende. Herr Clement beispielsweise bemühte sich mit seiner Sozialschmarotzer-Debatte im letzten Jahr nämlich nicht etwa darum, Arbeitslose zu stigmatisieren, wie viele noch immer fälschlicherweise denken. In Wirklich war das Ziel, die Arbeitsuchenden auf Anfeindungen vorzubereiten, ihnen für die harte Arbeitswelt ein dickes Fell zu verschaffen. Auch hier wurde dies wenig gewürdigt sondern sogar mit Anzeigen beantwortet.

Und nun haben sich Volker Kauder und Kurt Beck dem Kreis der selbstlosen Arbeitslosenhelfer angeschlossen. Auch ihnen weht allerdings nur der Wind der Kritik entgegen. Volker Kauder beispielsweise sorgt sich darum, dass junge Menschen herumgammeln und vielleicht sogar annehmen, dass sie als Arbeitslose einfach im Bett bleiben können. Und deshalb, so Kauder, müsse jeder, der ALGII erhält, auch etwas für die Gesellschaft tun. Kauder geht hier noch einen Schritt weiter und zeigt selbst einen Altruismus, wie man ihn selten findet, denn er will nicht nur den Menschen gegen das Herumgammeln helfen, sondern ihnen auch noch beibringen, dass der Lohn für den Dienst an der Gesellschaft ja nicht monetär sein muss. Endlich wieder jemand, der die wirklichen Werte entdeckt.

Genau wie Kurt Beck, der meint: „Man muss nicht alles rausholen, was geht.“

Den Menschen sind die falschen Beispiele gegeben worden. … In der Politik, aber auch in der Beletage der Wirtschaft. Manager, deren Unternehmen bei besten Gewinnen keine Steuern mehr zahlen, sind als Männer des Jahres gepriesen worden. Oder die Millionenabfindungen für Manager, die in ihren Unternehmen Riesenverluste hinterlassen haben. Da haben sich die Leute gesagt: Bin ich blöd? Auf die paar Groschen für mich kann es ja nicht ankommen.

WELT: Haben nicht vielmehr Politik und Staat die falschen Anreize gesetzt?

Beck: Der Staat könnte natürlich jede Lücke bedenken und schließen. Aber wir regeln ja auch nicht, daß man dem anderen nicht vor die Füße spuckt. Es gibt Dinge, die macht man nicht. Wer gut verdient und keine Steuern zahlt, muß nicht auch noch Bafög für die Kinder beantragen. Wir dürfen die Verantwortung für die Gemeinschaft nicht so vor die Hunde gehen lassen. Man muß nicht alles rausholen, was geht.

Kurt Beck im Welt-Interview

Beck weist zwar ausdrücklich darauf hin, dass Manager und auch Politiker mit schlechtem Beispiel vorangegangen seien, doch er wird hier nicht aufhören. Als nächstes werden wir davon hören, dass er selbst zum Beispiel seinen Steuerberater nicht mehr benötigt, um Steuern zu sparen, sondern aus lauter Anstand eben so viel wie möglich zahlt und auch auf Rückzahlungen verzichtet. Denn man muss ja nicht alles mitnehmen, was die Gesetze ermöglichen. Und wahrscheinlich hat er gar nicht gesagt, dass man nicht alles aus der Gesellschaft rausholen muss, sondern meinte vielleicht, man müsse ja nicht alles aus den Arbeitslosen herausholen.

Und deshalb warten wir gespannt auf Kurt Becks Richtigstellungen und die neueste Charm- und Hilfsoffensive der Politik. Kann ja sein, dass man demnächst erkennt, dass zu viele ALGII-Empfänger es nicht mehr schaffen, ihre Wohnung sauber zu halten oder sich regelmäßig zu waschen, saubere Kleidung zu tragen etc. Es steht zu befürchten, dass die Idee einer großen Arbeitslosen-WG mit kleinen Zimmern, gestellter Kleidung und morgendlichem Duschen in der Großraumumkleide allerdings höchstens wieder unziemliche Assoziationen hervorrufen wird. Es wird eigentlich Zeit für eine große "Danke"-Kampagne der Arbeitslosen. Aber dazu sind sie eben noch nicht anständig genug.