Lernen in der Erdmännchenschule

Erdmännchen zeigen dem Nachwuchs geduldig, wie er mit lebender Nahrung umzugehen hat

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Erdmännchen sind gesellige Tiere, die in Kolonien leben. Alle Mitglieder beteiligen sich an den sozialen Aufgaben und der Nachwuchsbetreuung, egal, ob verwandt oder nicht. Wie Zoologen in der aktuellen Ausgabe von Science (Vol. 313 vom 14. Juli 2006) herausgefunden haben, betätigen sie sich dabei auch als geduldige Lehrer, die dem Nachwuchs beibringen, wie er auch mit hochgefährlicher Beute umzugehen hat. Ihren „Lehrplan“ richten sie dabei am Entwicklungsstand des Schützlings aus.

Das Unterrichten ermöglicht einen schnelleren und effizienteren Wissenstransfer als alle anderen Formen sozialen Lernens. Bei Tieren jedoch, wo soziales Lernen an sich weit verbreitet ist, konnte das Lehren bislang nur in einer Studie (Zum Lehren reicht auch ein kleines Hirn) belegt werden, in freier Wildbahn wurde es bislang bei keiner Art nachgewiesen. Die Zoologen Alex Thornton und Katherine McAuliffe vom Department of Zoology der Universität Cambridge haben erstmals ein solches Verhalten bei wilden Erdmännchen in der Kalahari-Wüste beobachtet.

Selbstlose Helferlein

Erdmännchen (Suricata suricatta) leben in Gruppen von 2 bis 40 Individuen in den Savannen und Halbwüsten Südafrikas. In einer kargen Umgebung also, in der der Nahrungserwerb enorme Fähigkeiten erfordert. Eine Erdmännchen-Kolonie besteht in der Regel aus einem dominanten Pärchen, das im Durchschnitt mehr als 80 Prozent des Nachwuchses zeugt. Die restlichen Mitglieder der Gruppe helfen bei der Aufzucht der Jungen, die erst im Alter von zirka 30 Tagen mit auf Nahrungssuche gehen und sich ab etwa 90 Tagen eigenständig versorgen.

Helfer mit einem 30 Tage alten Erdmännchen (Bild: Andrew Radford, Sophie Lanfear, Alex Thornton, Katherine McAuliffe)

Erdmännchen ernähren sich von Insekten und kleinen Wirbeltieren – darunter auch so mancher giftige Skorpion, der gefährlich werden kann. Nun haben Thornton und McAuliffe herausgefunden, dass die kleinen Erdmännchen in „Unterrichtseinheiten“ mit verschiedensten Arten von Beute vertraut gemacht werden. Dazu führten sie zwei Beobachtungen zusammen und testeten sie anschließend in Experimenten. Erstens: Junge Erdmännchen melden ihren Hunger mit Bittrufen an, die sich mit zunehmendem Alter im Klang verändern. Zweitens: Sehr häufig töten oder „entwaffnen“ die Helfer die Beute, bevor sie sie den Jungen vorsetzen. So entfernen sie z. B. den giftigen Stachel von Skorpionen.

Thornton und McAuliffe haben nun untersucht, ob die Helfer die Nahrung dem im Bittruf signalisierten Entwicklungsgrad anpassen. Mit Hilfe von Tonbandaufzeichnungen, die sie ihren Probanden vorspielten, fanden sie heraus, dass die Helfer den jüngeren Erdmännchen überwiegend tote bzw. „entschärfte“ Nahrung vorsetzten, während ältere Tiere häufiger lebende und intakte Beute bekamen. Jüngere Tiere wurden bei der Nahrungsaufnahme überwacht, trauten sie sich nicht ran, wurden sie so lange sanft, aber bestimmt angestupst, bis sie ihre Scheu überwanden und zugriffen. Schritt für Schritt wurden die Kleinen auf diese Weise auch an seltene und gefährliche Beute gewöhnt. Gerade beim Umgang mit lebender Beute stellte sich die Anwesenheit eines Helfers als wichtige Voraussetzung heraus: Ohne Helfer rührten die Jungtiere selbst Skorpione ohne Giftstachel nicht an.

70 Tage altes Erdmännchen frisst einen lebenden Skorpion, der ihm von einem Helfer serviert wird (Bild: Andrew Radford, Sophie Lanfear, Alex Thornton, Katherine McAuliffe)

In weiteren Versuchen, in denen die Zoologen ihre kleinen Probanden mit unterschiedlichen Beutetieren konfrontierten, erwies sich, dass diejenigen am sichersten mit lebender Beute umgehen konnten, die am häufigsten damit Kontakt gehabt hatten. Das Training der Helfer fördert und beschleunigt also den Lernprozess.

Unterweisung nach Entwicklungsstand

Für Thornton und McAuliffe stellt das Verhalten ihrer Versuchstiere ein Unterrichten dar. Dabei arbeiten sie mit einer einfachen Definition, die im Wesentlichen drei Bestandteile umfasst:

  1. Ein Individuum A verändert sein Verhalten nur in Anwesenheit eines unwissenden (engl.: naive) Beobachters
  2. A zieht keinen unmittelbaren Gewinn aus seinem Verhalten und
  3. als Ergebnis des Verhaltens von A erwirbt B ein Wissen oder Fähigkeiten schneller bzw. effizienter, als er es allein erworben hätte bzw. ohne A hätte er es nicht erworben.

Sie interpretieren das Verhalten von Helfern und ihren Schützlingen als eine Art Gelegenheitslernen (opportunity learning), bei dem erfahrene Lehrer Situationen herstellen, in denen die Jungen ihre Fähigkeiten erproben können und in denen sie sich allmählich von leicht an schwierig zu handhabende Beute herantasten können. Damit das möglich ist, passen die Helfer ihr Verhalten an die Entwicklungsstufe der Jungen an, beobachten sie bei der Nahrungsaufnahme und ermutigen sie zuzupacken.

Junges bettelt einen trächtigen Helfer um Futter an (Bild: Andrew Radford, Sophie Lanfear, Alex Thornton, Katherine McAuliffe)

Wie Thornton schreibt, gehen andere Definitionen meist davon aus, dass Unterrichten bei dem Lehrenden das Bewusstsein der Unwissenheit des Schülers voraussetzt und den willentlichen Versuch, diese zu korrigieren.

Aus einer funktionalen Perspektive betrachtet, kann Unterrichten aber auch auf einfachen Mechanismen basieren, ohne Notwendigkeit einer Absichtlichkeit und die Zuordnung von geistigen Zuständen. Indem die Helfer ihr Verhalten den unterschiedlichen Rufen der Jungen anpassen, können sie womöglich die Fähigkeiten der Jungen fördern, ohne dass komplexe kognitive Vorgänge mit im Spiel sind.

Das Beispiel der Erdmännchen wie auch der Ameisen lege die Vermutung nahe, dass das Unterrichten im Verlauf der Evolution unabhängig bei verschiedenen Arten entstanden sein könnte.

Wo Individuen wichtige Fähigkeiten oder Informationen erwerben müssen, individuelles Lernen jedoch teuer ist oder Übungssituationen fehlen, könnte die Selektion Mechanismen bevorzugen, in denen erfahrene Individuen aktiv das Lernen für ihre unerfahrenen Artgenossen vereinfachen.

Und dass bislang so wenige Nachweise für Unterricht bei Tieren gefunden wurden, könnte auch einfach daran liegen, dass man noch nicht genau genug hingesehen hat.