Im Stadion eingesperrt

Die russische Regierung hat beim Umgang mit den G8-Protesten gelernt, es kam nur zu kleineren Protesten in der Stadt

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Auf einer Insel in der Nähe von St. Petersburg treffen sich die Staats- und Regierungschefs der acht größten Industrieländer. Russland ist dabei in einer heiklen Lage. Obwohl Gastgeber ist die Teilnahme des Landes bei den Treffen der selbsternannten Mächtigen der Welt nicht unumstritten. Russland hat das Ticket in den auserlesenen Club nur als Kompensation bekommen. Schließlich ist es nach dem Ende der Sowjetunion vom Status einer Weltmacht zu einer Mittelmacht geschrumpft, die einen Großteil ihres ursprünglichen Einflussgebietes verloren hat. Damit die Reformer vor der Bevölkerung bestehen können, darf Russland bei den G8-Treffen mitspielen. Vor allem in den USA mehren sich allerdings die kritischen Stimmen.

Das hat unmittelbar mit einem der zentralen Themen des G8-Treffens zu tun, der Energiesicherheit. Während die USA und ein großer Teil Europas darunter die Öffnung der Energiemärkte und die Ausweitung der Energiearten verstehen, ist Russland vor allem bestrebt, seine Rolle als Energielieferant beizubehalten. Die hier zu Tage tretenden Interessengegensätze können auf dem Gipfel denn auch nur durch wohlklingende Kompromissformeln übertüncht, aber nicht wirklich überbrückt werden.

Die G8-Regierungschefs sowie der finnische Ministerpräsident Vanhanen und EU-Kommissionspräsident Barroso. In einer gemeinsamen Erklärung fordern die Regierungschefs von der Hamas und der Hisbollah die Freilassung der gefangenen Soldaten und das Ende der Angriffe, worauf Israel seine Angriffe auf den Libanon einstellen und die gefangenen Minister und Abgeordneten freilassen solle. Foto: g8russia.ru

Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit wird sich nicht zuletzt an dem Umgang mit der russischen WTO-Mitgliedschaft festmachen. Seit 13 Jahren verhandelt das Land darüber. Die USA gehören zu den drei Ländern, die eine Aufnahme bisher blockieren. Im Vorfeld des Gipfels drohte der Streit zu eskalieren, auch jetzt ist die US-Regierung offenbar nicht willens, einen Beitritt zu unterstützen.

Demokratiefragen nicht vorrangig

Doch ausgerechnet auf einem Gebiet, das vielen Menschenrechtlern sehr am Herzen liegt, braucht Russland auch auf dem Gipfel kaum substantielle Kritik fürchten. Es geht um die Frage von Demokratie und Menschenrechten. Die Zusammenarbeit im internationalen Kampf gegen den Terror läuft weiterhin hervorragend. Die USA werden auch alles unterlassen, was diese einzige wirklich erfolgreiche Kooperation zwischen den G8-Staaten gefährden könnte. In der Erklärung ist man sich denn auch im Kampf gegen den Terrorismus einig, die Ursachen werden aber nicht thematisiert.

Russland hat zudem einiges gelernt, was den Umgang mit den verschiedenen Oppositionskräften betrifft. Das sollte sich beim Gipfel wieder einmal zeigen. Die städtischen Behörden von Petersburg hatten für ein Meeting der russischen Sozialforumsbewegung das Kirow-Stadion kostenlos zur Verfügung gestellt. Von Anfang gab es von Seiten der Gipfelgegner Kritik an dem Ort, weil er weit von der Petersburger Innenstadt entfernt und leicht zu kontrollieren ist.

Das sollte sich am Samstag zeigen. Die Polizei ließ zwar alle Interessierten anstandslos ins Stadion, wo sich ca. 300 Angehörige verschiedener globalisierungskritischer Gruppen trafen. Als sie sich aber am Mittag zur angekündigten Demonstration gegen das G8-Treffen außerhalb des Stadions versammeln wollten, machte die Polizei die Eingänge einfach dicht und sperrte die Gipfelgegner so für einige Stunden im Stadion ein. Ein Ausbruchsversuch jüngerer G8-Gegner wurde schnell wieder abgeblasen. Stattdessen beließen es die Sozialforumsteilnehmer bei einer Protestveranstaltung im Stadion.

Auf einer Pressekonferenz im Rahmen des Sozialforums berichteten Aktivisten über die verschiedenen Repressionsmaßnahmen der letzten Tage. So seien zahlreiche Globalisierungskritiker aus verschiedenen russischen Städten an der Anreise nach Petersburg gehindert worden. Es wurde auch über willkürliche Festnahmen in den Zügen berichtet. Auch zahlreiche Kurzstrafen wurden verhängt, die dafür sorgten, dass die Aktivisten während des Gipfels nicht in Freiheit sind.

Davon sind auch zwei Bielefelder Fotographiestudenten betroffen, die eine Anti-G8-Fahrradkarawanne begleiteten und schon im Vorfeld des Gipfels zu einer 10tägigen Haftstrafe wegen angeblichen Urinierens in der Öffentlichkeit verurteilt worden sind. Am Samstag sind sie aber nach internationalen Protesten freigelassen und nach Lettland abgeschoben worden. Die vorgestellten Schikanen sind nun nicht so weit von den Maßnahmen weg, die von Gipfeln aus Schweden oder Italien in den vergangenen Jahren bekannt geworden sind. Die dortigen Regierungen sind allerdings weniger sensibel auf Ruck von außen. So dauerte es einige Wochen bis die Künstler der Wiener Volxtheaterkarawane nach ihrer Festnahme beim Gipfeltreffen in Genua wieder freigekommen sind.

Kleine Proteste in der Innenstadt werden schnell aufgelöst. Foto: indymedia.ru

Kleinere Proteste in der Innenstadt

Doch es gab trotzdem auch Proteste außerhalb des Stadions, zu der sowohl anarchistische als auch kommunistische Gipfelgegner - natürlich streng getrennt - aufgerufen haben. Die Proteste aus dem kommunistischen Spektrum wurden im belebten Zentrum von St. Petersburg von zahlreichen Schaulustigen, darunter vielen Touristen, beobachtet. Deswegen hielt sich die Polizei auch bis auf einige kleinere Rangeleien zurück. Erlaubt war lediglich eine Kundgebung. Doch die Aktivisten hatten sich in einiger Entfernung zum genehmigten Ort getroffen und sind dann gemeinsam dort hingegangen. Parolen wurden skandiert und Lieder gesungen. So kam doch noch ein Demonstrationszug auf den Gehwegen der Petersburger Innenstadt zustande. Die eher älteren Teilnehmer der kommunistisch organisierten Proteste sind bei aller Wortradikalität für die Behörden berechenbar und werden selbst dann eher toleriert, wenn sie sich einmal über Verbote hinwegsetzen. Anders wird mit Aktionen der undogmatischen Linken umgegangen.

Schon im Vorfeld des Gipfels hatten Aktivisten aus dem libertären Spektrum mit Spontanaktionen das staatlich verordnete Schweigen über den Gipfel zu durchbrechen versucht. Bei einer Anti-AKW-Aktion an einem Reiterdenkmal im Zentrum von Petersburg wurden 13 Aktivisten festgenommen. Am Sonntagvormittag wurden in der Petersburger Innenstadt weitere kleinere Proteste von G8-Gegnern sofort mit Polizeigewalt beendet. Dabei kam es zu Festnahmen, von denen auch Aktivisten aus dem Ausland betroffen sind.

Schwierigkeiten des Protests

Anfang der 90er Jahre gelang es den Globalisierungskritikern in Seattle und Prag noch, die Gipfel direkt mit dem Protest zu konfrontieren. Das Konzept der Roten Zone, also die Abriegelung ganzer Stadtteile wie in Genua, war die Antwort. In Petersburg war der auf einer Insel tagende Gipfel von vornherein nicht von den Protesten tangiert. Die staatliche Vorgehensweise zielte daher auch nicht darauf, den Gipfel vor Protestierenden zu schützen. Sie war bestrebt zu verhindern, dass in der Stadt überhaupt Protest sichtbar wird.

Daher werten es Petersburger Gipfelkritiker als Erfolg, dass es trotz des staatlichen Großaufgebots einige Proteste in der Stadt gegeben hat. Allerdings wurde an dem Wochenende auch deutlich, dass die russischen Behörden die Protestszene weitgehend unter Kontrolle hat. Nicht nur in Russland will man freilich ganze Städte von Protesten freihalten. Beim Bush-Besuch am Donnerstag war Stralsund bis auf Ausnahmen auch eine protestfreie Zone (Hering am Morgen und Spanferkel am Abend).

Das nächste G8-Treffen wird im Frühsommer 2007 zwar nicht auf einer Insel, dafür aber im schwer erreichbaren norddeutschen Seebad Heiligendamm stattfinden. Die schon andiskutierten Proteste werden in Deutschland wahrnehmbarer sein als jetzt in Petersburg. Allerdings werden die Sicherheitsexperten die Erfahrungen aus Russland genau auswerten. Denn eines hat Petersburg auch gezeigt: die G8-Partner mögen in vielen Fragen zerstritten sein, nicht aber bei der Ausbremsung und Kleinhaltung von Gipfelprotesten.