Der Oscar der Hobbyfilmer

Der Camgaroo-Award soll die Qualität von Heimvideos verbessern

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Eine Videokamera haben inzwischen viele zuhause. Mehr als die ersten Schritte des Babys oder den Strand von Mallorca mit Wellen dahinter schaffen jedoch nicht viele auf Band, bevor sie die Lust an dem neuen Spielzeug wieder verlässt. Mancher allerdings wird vom Hobbyfilmer zum halben Profi – und kann Preise gewinnen.

Gabriele Lechner führt eigentlich einen Verlag und eine Werbeagentur. Doch ebenso wie kreative Menschen vom Leser zum Schreiber oder vom Fernseher zum Webdesigner oder Blogger werden, weil sie auch etwas aktiv beitragen und nicht nur immer passiv konsumieren wollen, erging es ihr mit all diesen Dingen: als kreativer Mensch möchte man nicht nur das verzehren, was einem anderen vorsetzen, sondern selbst etwas entwickeln. Und das kann natürlich auch eines der großen Medien sein, wie Film, Radio oder Fernsehen.

Echter Bankräuberschuh aus „SOKO 2010“… (Bild: Camgaroo.de)

Podcasts verbreiten sich als "Radio des kleinen Mannes" ja immer mehr (Kurzhörspiel 2.0) und es gibt auch Videopodcasts, die jedoch oft auch nicht wesentlich interessanter sind als die Tagesschau – auch ein telegenes Gesicht, das zumindest eine interessante Mimik bringt, macht die Sache eigentlich nicht wesentlich interessanter als einen Audiopodcast, selbst wenn ab und zu einmal irgendwelche komischen Gegenstände in die Kamera gehalten werden.

Der Zuschauer ist eher entnervt, weil er nun auf ein Bild starren muss und nicht wie beim Audiopodcast auch unterwegs mit geschlossenen Augen in der U-Bahn lauschen kann. Selbst wer versucht, Internetfernsehen mit Nachrichteninhalt professionell zu betreiben, liefert oft entsetzlich langweilige bis peinliche Machwerke ab – echte Stadt-TV-Sender sind allerdings auch nur selten besser...

…“außer Tiernahrung!!!“ (Bild: Camgaroo.de)

Neben denjenigen, die sich oder einen Interviewten präsentieren wollen, gibt es natürlich auch die "Deutschlands lustigstes Home-Video"-Fraktion, die stundenlang mit dem Camcorder auf den die Hecke schneidenden Nachbarn hält und ihre Chance zum Ruhm wittert – doch der blöde Hund fällt einfach nicht von der Leiter!!! Und eben die, die statt der früheren Diaabende nun ihre Verwandtschaft mit verwackelten Aufnahmen von Oma auf Sylt traktieren, dabei auch einmal unabsichtlich etwas für "Deutschlands lustigstes Home-Video" produzieren und das dann an Verstehen Sie Spaß oder moderner You Tube senden. Und auch wenn sich bei letzterem durchaus einige lustige Dinge finden, sind das meiste doch nur Ausschnitte aus dem Fernsehen oder mit eigenen Grimassen nachgesungene Hits (Internetvideo-Boom in Deutschland?!), was mittlerweile ja auch zu laufenden Problemen mit Film- und Plattenindustrie sowie Verwertungsgesellschaften führt.

Etwas wirklich Eigenes, Vorzeigbares zu leisten, ist ohne Planung und Unterstützung aber gar nicht so einfach. Natürlich gibt es einschlägige Literatur über Filmaufnahmen und Drehbücher, doch das erschien Gabriele Lechner noch als zu dürftig. Deshalb rief sie erst eine Zeitschrift zum Thema und dann einen eigenen Videopreis der Amateurfilmer ins Leben sowie ein Maskottchen, das Camgaroo, ein Stoffkänguruh – echte Tiere vor der Kamera halten sich nicht an Drehbücher und sind dann doch wieder ein Fall für "You Tube".

Preisverleihung der Schulgruppen am Camgaroo-Award 2006 (Bild: W.D.Roth)

Die Preise von insgesamt 20.000 Euro werden von der Industrie gesponsert, aber damit das Ganze keine Kommerzveranstaltung wird, sondern wie gewünscht die Kreativität und den fairen Wettbewerb der verschiedenen Teilnehmer untereinander fördert, wird der Preis in Altersgruppen getrennt vergeben: bis 19 Jahre, 20 bis 29 Jahre, 30 bis 39 Jahre, 40 bis 49 Jahre, ab 50 Jahre, sowie noch ein Spezialpreis für Schulprojekte.

Die Ergebnisse des Jahres 2006 zeigten sich dabei als unerwartet ansehnlich und deutlich über Hobbyniveau, selbst bei den Schulprojekten, bei denen ja nicht immer die Lehrer fachlich den Schülern zur Seite stehen konnten. Der Sieger der Schulprojekte,"SOKO 2010" machte sich dabei satirische Gedanken über die konsequente Fortführung der Schleichwerbung und des Product Placements im deutschen Fernsehen: in dieser Kriminalserie aus dem Jahr 2010 wurde der Film regelmäßig gestoppt, um ganz unverblümt die darin verwendeten Produkte anzupreisen, und zwar mit all den üblichen Schikanen und Tricks der Homeshoppingkanäle: Während sich die Zuschauer amüsierten, dürfte manchen echten Fernsehmann dabei das Lachen im Hals stecken bleiben.

„Expertiv: banale Skandale ganz groß“ von Simon Breuer und Johannes Huth (nein, nicht Peter Huth!!) nimmt ebenfalls das Fernsehen aufs Korn, doch diesmal Boulevard-Skandal“nachrichten“sendungen im Stil von „Akte 06“, „Brisant“ und „Explosiv“. Ursprünglich ein Privatformat, strahlen auch öffentlich-rechtliche Sender, die ja höhere journalistische Ansprüche vorgeben, inzwischen diese Radaushows aus. Und da hätte auch die traurige Moritat des Marco M. hineingepasst, der infolge eines misslungenen Rekordversuchs nun einen Dauersteifen hat, um den ihn so mancher Neonazi beneiden dürfte…

Andere leben – Karl-Heinz muss dagegen fahren… (Bild: Camgaroo.de)

Zeichentrickfilme sind mit Computerunterstützung und Stop-Motion-Technik heute wesentlich einfacher herstellbar als früher bei Walt Disney mit ganzen Fabrikhallen voller Zeichner. Ein Beispiel ist "Ein Abenteuer in der Stadt" von Boris Jakob als moderne Version der Erzählung "Die Landmaus und die Stadtmaus". Ein weiterer sehr flotter Trickfilm in Stop-Motion-Technik ist "Bernd & sein Leben" von Stephan Müller und Ingo Schiller.

Auch etliche sozialkritische Filme über Gehörbehinderte oder Obdachlose waren dabei, eine Zukunftsvision über das Leben aus zweiter Hand namens „Two Different Kinds of Light“ von Bernhard Hartmann und die Satire "Karl-Heinz meets Lifestyle" von Kai-Florian Gebel, in welcher der Protagonist im Auto schimpfend und rackernd über die Schickimickis aufregt, insbesondere seine Frau, und seinem finalen Schicksal entgegenfährt.

Lord Howe Island – Insel am anderen Ende der Welt (Bild: Camgaroo.de)

Um das neue HDV Format zu fördern, das ähnlich HDTV mit bis zu 1440 x 720 Pixeln (statt 720 x 576 Pixeln bei PAL) aufgezeichnet wird, aber im Gegensatz zu HDTV keinerlei Kopierschutzprobleme hat, weil der Hobbyfilmer das ach so raubkopiergefährdete, hochauflösende Material ja persönlich selbst aufnimmt und somit auch die Rechte zum Kopieren besitzt, gibt es noch einen speziellen HDV-Award, in dem dann statt der poppig-dynamischen Kurzfilme typischerweise Reisedokumentationen eingeschickt wrden, die durchaus professionelle Qualitäten von Discovery Channel & Co. erreichen: vom Siegerfilm "Lord Howe Island" (Die Rückkehr der Raketenwürmer) von Peter Schurte hätte man gerne mehr als fünf Minuten gesehen, dem auch hier geltenden Zeitlimit, um die Veranstaltung nicht ausufern zu lassen.

Wer ohnehin gerne Videoaufnahmen macht und sich damit anfreunden kann, einen Film richtig mit Drehbuch unter ein bestimmtes Motto zu stellen, kann es nächstes Jahr ja einmal versuchen. Wie immer bei Wettbewerben muss man sich allerdings darüber im Klaren sein, dass man die Verwertungsrechte mit dessen Einsenden abtritt und als einzige Entlohnung der Preisgewinn winken kann. Auf diese Art ist aber auch sichergestellt, dass sich nicht heimlich Profis einschleichen – eine Befürchtung, die Teilnehmer durchaus bereits gehegt haben.