US-Blogger in Beugehaft

Blogger werden immer mehr Journalisten und Medienunternehmen gleichgestellt - und das ist nichts, worüber sie sich wirklich freuen sollten

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Es war zu befürchten, und kam nun auch so: Nach den Besitzern gewöhnlicher Websites oder auf ihren Namen registrierter E-Mail-Adressen, denen die Juristen nun seit Jahren nachsteigen, sind inzwischen auch die Hobbyschreiber dran, die ihre Online-Tagebücher mit Katzenbildern, Schulerlebnissen oder Meinungen füllen. Doch so richtig „nett“ wird es, wenn das Blog oder der Blogger der Staatsgewalt ein Dorn im Auge sind.

In Deutschland wurden durchaus schon Journalisten, Website- und Mailboxbetreiber, aber bislang noch keine Blogger polizeilich heimgesucht. Für die Zukunft ausschließen lässt sich dies natürlich nicht; wer in seinem Blog beispielsweise stolz verkündet, außerhalb des geltenden Rechts stehende bewusstseinserweiternde Substanzen zu konsumieren, braucht sich nicht zu wundern, wenn ein Rollkommando vorbeikommt, um die polizeiliche Asservatenkammer aufzufüllen. Auch andere strafrechtlich relevante Verkündungen in Blogs sind nicht zu empfehlen ("Mein Blog liest ja sowieso kein Schwein").

Momentan sind zivilrechtliche Vorgehensweisen, also Abmahnungen, einstweilige Verfügungen und Prozesse mit ruinösen Streitwerten im fünf- bis sechsstelligen Bereich das größere Problem, was durchaus auch in Haft enden kann, wenn der Betroffene die verhängten Schadensersatzsummen nicht zahlen kann oder will. Im Bereich der Urheberrechtsverletzungen will Bundesjustizministerin Zypries die möglichen Summen für eine Erstabmahnung nun auf 50 Euro deckeln lassen, doch ist fraglich, ob die Anwälte dies akzeptieren. Und es gilt nur für Urheberrecht – fühlt sich eine Person oder ein Unternehmen verunglimpft oder liegt ein noch so an den Haaren herbeigezogenes Problem im Bereich des Namens- oder Markenrechts vor, so werden auch weiter Monsterstreitwerte möglich sein, denn diese werden in diesem Fall vom Kläger bestimmt und von Gerichten nur selten in Frage gestellt, da große Firmen per sé große Schadenssummen geltend machen können. Ob die Personen oder Unternehmen hierdurch ein Image-Eigentor schießen, ist ihnen normalerweise egal, solange nur die Kasse stimmt.

Abmahnungen sind nur der Anfang…

Zudem schützt eine preiswertere Abmahnung ja nicht vor einem dennoch möglichen teuren Prozess – die Musikindustrie wird zukünftig statt Serienabmahnungen dann halt gleich Serienklagen eröffnen. Hiergegen schützt auch das BGH-Verbot rein zum Zwecke des Geldverdienens gestarteter Abmahnwellen nichts und solange auch nur ein Gericht weiterhin das Abmahnen der „Kleinen“ durch die „Großen“ akzeptiert oder sogar befürwortet, werden die Prozesse dann halt an diesem Gericht geführt. Den Juristen und Großkonzernen entgeht also ihr Geschäft schon nicht.

Begründet wird von Juristen derartiges unsymmetrisches Einschlagen der „Großen“ auf die „Kleinen“ üblicherweise gerade mit „besonderer Fairness“: „Im Internet sind alle gleich“. Also genau das, worauf einst die „Kleinen“ ihre Hoffnungen stützten, nämlich im Internet dieselben Chancen zu haben wie große Unternehmen. Klar, dass dabei hinter den Kulissen durchaus etwas hämisches Gelächter zu hören ist und der Spruch „wer mit den großen Hunden pinkeln gehen will…“ fällt. Seit dem Dotcomboom im Jahr 2000 ist Internet „Big Business“, in das man zwar seit dem darauf folgenden Dotcomcrash nicht mehr gerne investiert, doch vor dem die Angst nach wie vor sehr groß ist. „Wehret den Anfängen!“ heißt die Devise und „Erschlagt sie, solange sie noch klein sind!“. Und wenn einige Richter doch einmal unfaire Methoden stoppen, dann suchen sich die Konzerne halt ein anderes Gericht, das weiterhin bereit ist, uneingeschränkt auf ihrer Seite zu stehen und ihre Interessen zu wahren.

Dass es also gar nicht so wünschenswert ist, als Kleiner den Großen gleichgestellt zu werden, sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Doch in einem anderen Aspekt wünschen sich es die Blogger immer noch: sie möchten auch gerne als Journalisten gelten, oder sogar als „die besseren Journalisten“, weil sie mangels kommerzieller Interessen eines Arbeit- oder Auftraggebers unabhängiger sein können. Was natürlich nicht geht, denn so wie Verlage gar nicht mehr unabhängig sind, wenn bestimmte Themen Anzeigen- oder Rechtsabteilung Kummer bereiten, so ist auch der Blogger unversehens wirtschaftlich ausgesprochen von dem abhängig, der ihn mal eben verklagt. Seine „Geschäftspartner“ kann man sich halt nicht immer selbst aussuchen.

“Gleichberechtigung?“ Es geht weniger um Rechte, als um Pflichten und Gefahren!

Doch werden ab 2007 nicht nur selbsternannte Konkurrenten den Bloggern Ärger bereiten können, auch vom Staat aus werden sie mehr und mehr Journalisten gleichgestellt (Journalistisch anmutende Nachrichtenblogs), unabhängig davon, ob sie dies dann auch tatsächlich noch wollen oder inhaltlich können, außer sie schaffen es, ihr Blog anonym zu betreiben, also unerkannt zu bleiben, außerhalb Deutschlands zu hosten, keine eigene Domain zu benutzen und sicherzustellen, dass der Hoster keine Logfiles herausgibt. Damit allerdings kann man dann auch keinen Namen mehr aufbauen.

Was droht, wenn Blogger auch von Staats wegen Journalisten gleichgesetzt werden, kann man gerade am Fall von Josh Wolf erkennen. Dieser ist Blogger und Journalist. Er hat inzwischen 88 Tage in Beugehaft im Gefängnis verbracht, weil er sich weigert, seine Videoaufnahmen von einer gewalttätig gewordenen Demonstration den Ermittlungsbehörden zu übergeben. Sein Antrag auf ein neues Verfahren wurde am 16. November vom zuständigen Berufungsgericht abgelehnt. Die Haftzeit des 24-Jährigen könnte sich so über die gesamte vom Gericht festgelegte Dauer erstrecken – bis zum Juli 2007.

Wenn es so käme, wäre Josh Wolf der am längsten in Beugehaft genommene Journalist in der jüngeren US-Geschichte, so das Reporters Committee for Freedom of the Press. Bisher ist dies Vanessa Leggett aus Houston. Sie saß in den Jahren 2001 und 2002 insgesamt 168 Tage im Gefängnis, weil sie sich geweigert hatte, das komplette Material (Original und alle Kopien) über einen Mordfall den Behörden auszuhändigen, das sie für ein geplantes Buch gesammelt hatte.

Josh Wolf hatte am 8. Juli 2005 in San Franzisko bei einer Demonstration anlässlich des in Schottland stattfindenden G8-Gipfels, Videoaufnahmen gemacht. Dabei war er Demonstranten gefolgt, die mit Polizeibeamten aneinander gerieten. Ein Polizist war verletzt worden, und es gab einen Fall von Sachbeschädigung durch einen Feuerwerkskörper, der laut Ansicht der Polizei gezielt unter ein Polizeifahrzeug geworfen worden war, während die Demonstranten sagen, die Polizei habe auf dem bereits brennenden Gegenstand gestoppt.

Dürfen Behörden Material Dritter für Ermittlungen beschlagnahmen?

Im Verlauf der Ermittlungen wegen versuchter Brandstiftung wurde Wolf vorgeladen und aufgefordert, alle seine Videoaufnahmen auszuhändigen. Er lehnte ab, weil er, wie er sagte, als Journalist die Identität der Personen auf seinem Videomaterial schützen müsse, die zuvor Prügel mit Gegenprügeln beantwortet hatten und nun nur infolge seiner Filmerei in Gefahr gekommen seien.

Teile der bei der Demonstration entstandenen Videoaufnahmen hat Wolf an lokale Fernsehstationen verkauft, andere Ausschnitte auf seiner Website veröffentlicht. Auf das Angebot von Wolfs Anwalt, den Ermittlern das gesamte Band zu übergeben, wenn Wolf aus der Haft entlassen werde und nicht vor Gericht aussagen müsse, reagierte die Behörde mit der Auskunft, dass man nach wie vor darauf bestehe, dass das Band ausgehändigt werde, und dass Josh Wolf zu einer Aussage bereit sei.

Josh Wolf hat prominente Unterstützer auf seiner Seite, darunter die Society of Professional Journalists, die sich auch an den Kosten, die ihm durch das Gerichtsverfahren entstehen, beteiligen will. Eine Sprecherin der Organisation Reporters Without Borders bezeichnete die Ablehnung der Neuverhandlung durch das Berufungsgericht als "absurd und ungerecht".

Würde Josh Wolf beigeben, so wäre die Pressefreiheit in Gefahr. Wolfs Anwalt teilte der New York Times mit, sein Klient, der in einem Staatsgefängnis in Dublin, Kalifornien, eingesperrt sei, werde so lange hinter Gittern bleiben wie es nötig wäre: "Er wird nicht aufgeben“.