Was mach ich hier eigentlich?

Nach dem Schulabschluss ist vor der Arbeitslosigkeit: Noch nie gab es so viele Ausbildungsberufe und Studienfächer. Die Jugendarbeitslosigkeit ist gleichwohl auf hohem Niveau

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"Fast 50.000 Jugendliche finden keinen Ausbildungsplatz", schrieb der Tagesspiegel am 12. Oktober. "Entlassungen werden einfacher", titelte die Süddeutsche Zeitung am 10.November. Die Gewerkschaften laufen Sturm wegen prekären Beschäftigungsverhältnissen und der Generation Praktikum. Denn die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze sinkt weiter, während die Zahl der Ausbildungssuchenden steigt. Bis 2008, so schätzt der Berufsbildungsbericht, wird die Nachfrage weiter steigen: 9000 Bewerber mehr als im letzten Jahr haben schon in diesem Jahr keinen Ausbildungsplatz gefunden. Leerstelle statt Lehrstelle.

Euphorie verbreiten lässt sich dadurch kaum. Derzeit absolviere ich ein „Freiwilliges Soziales Jahr“. Damit kann ich den Zivildienst sinnvoll ersetzen, ich kann mich noch ein wenig orientieren. Aber auch ich habe schon am eigenen Leib vor meiner Hochschulreife spüren müssen, welche Spielregeln auf dem Markt gelten. Als ich vor zwei Jahren in einem namhaften Fitnessstudio arbeiten wollte, sollte ich mich ohne Lohn in so genannten Einarbeitungstagen beweisen. Arbeitskleidung konnte ich mir für diese Zeit natürlich auch kaufen - das alles ohne Gehalt. Ein Wechsel in der Führungsebene hatte dann – trotz "Versprechens" des ehemaligen Personalchefs auf einen Arbeitsplatz - eine Ablehnung ohne Angabe von Gründen zur Folge.

Das und die genannten Zahlen verunsichert nicht nur mich, es verunsichert viele Jugendliche. Selbst Ältere bemitleiden heute ihre Nachfahren oft mit Streicheleinheiten wie "in Deiner Haut möchte ich nicht stecken". Besonders dramatisch ist die Situation sicher unter ausländischen Jugendlichen und in den neuen Bundesländern: 60 Prozent aller Jugendlichen mit ausländischem Pass verlassen die Schule nur mit Haupt- oder gar keinem Abschluss, über ein Drittel bleibt ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung – bei den deutschen Jugendlichen sind es "nur" 11,3 Prozent, so die Erkenntnis des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Im Osten der Republik sieht die Situation ähnlich aus.

Gerade in Ostdeutschland hat sich die Anzahl der ausbildenden Betriebe gravierend verringert: um stolze 17 Prozent zwischen 1989 und 2005. Da bringen dann auch blühende Landschaften nichts mehr. Ein Wirtschaftswunder wird es auch in ganz Deutschland so schnell nicht wieder geben und auch das kürzliche Aufblühen der Konjunktur ist nur ein Rädchen im kleinen Getriebe, das nicht mehr richtig läuft.

Wie sieht das Modell der Zukunft aus?

Jugendarbeitslosigkeit ist spätestens seit Mitte der 90er Jahre etwas, das ins Vokabelheft jeden Schülers buchstabiert werden muss. Auch ich musste das schnell begreifen. Ich hatte dennoch immer große Pläne. Aber kann man, oder kann ich, heute noch eine Zukunft mit einem "sicheren Arbeitsplatz" planen? Können mir da die Gewerkschaften vielleicht helfen? Gibt es künftig überhaupt noch Schutz vor willkürlichen Entlassungen? Man scheint dem Problem der Jugendarbeitslosigkeit schutzlos ausgeliefert zu sein.

Ich war damals nach reiflicher Überlegung fest entschlossen, den Beruf des Lehrers anzupeilen: Das bedeutet schließlich ein geregeltes Gehalt, berufliche Sicherheit durch einen Beamtenstatus. Auch kommt man in den Genuß ständiger Weiterbildung. Doch je mehr ich recherchierte und vor allem bei "amtierenden" Lehrern nachfragte, desto stärker war mir klar, dass der Beruf des Lehrers heute keinesfalls mehr eine finanziell sichere Bank ist. Künftig werden immer mehr Lehrer im Angestelltenverhältnis arbeiten. Gerade in den neuen Bundesländern ist diese Tendenz bereits erkennbar.

Wie sieht das Modell der Zukunft aus? Und ist das überhaupt was für mich? Kann ich was dagegen tun, wenn es das nicht ist? Denn das Berufsleben bedeutet heute auch: Ständig wechselnde Trends in der Wirtschaft - ob nun im Bereich der Informatik, der Biochemie oder in sonstigen technischen Bereichen. Vor 50 Jahren hingegen war das Ausbildungsangebot noch so karg, dass man bei der "Wahl der Waffen" nicht ins Schwitzen geriet. Heute existieren hingegen über 350 Ausbildungsberufe und beim Studienangebot sieht es ähnlich aus: exakte 11.492 Studiermöglichkeiten (Studiengänge/-fächer) gibt es mittlerweile. Zugleich hat sich die Zahl der Studierenden in den letzten 30 Jahren von knapp 850 000 aus dem Jahre 1975 auf bis zu zwei Millionen Studierende im Jahr 2004 mehr als verdoppelt. Das heißt aber auch, dass man sich im Dschungel der Optionen entscheiden muss: Studiere ich, mache ich eine Berufsausbildung oder kombiniere ich gar beides in Form eines dualen Studienganges?

Ich war dennoch lange Zeit entscheidungssicher. Aber auch ich wäge nun ständig ab, was mir wohl was bringt – finanziell wie interessengeleitet. Beides soll schließlich bestens zusammenpassen. Gar nicht so einfach.

Doch auch wer sich heute entscheidet, steht dennoch vor einem weiteren Problem: Seit der Wiedervereinigung wurden noch nie so wenige Ausbildungsverträge unterzeichnet: "Im Zeitraum vom 1. Oktober 2004 bis zum 30. September 2005 wurden bundesweit insgesamt 550.180 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen und damit 22.800 Verträge oder 4 Prozent weniger als im Vorjahr", so die Erkenntnis des Berufsbildungsberichts 2006. Zugleich stecken viele Jugendliche in so genannten "Warteschleifen", den BA-Maßnahmen vor dem Beginn der beruflichen Ausbildung. Im Jahresdurchschnitt 2004 waren das 323.000. Knapp 40 Prozent aller Schulabgänger durchlaufen vor dem Einstieg in das Arbeitsleben diese Maßnahmen.

In der Schule kein Thema

Werde ich dann lieber doch studieren? In sieben Bundesländern sind Studiengebühren bereits beschlossene Sache, und rund 52 Prozent aller Studiengänge sind zudem zulassungsbeschränkt (Bachelor und Master nicht berücksichtigt), das ergab eine kürzliche Auswertung der Hochschulrektorenkonferenz aus Bonn.

Das Schönste was einem dann passieren kann, das ist natürlich einfach mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, egal wie schlecht die Zeichen stehen. Das ist selbst mir schon passiert. Ich war natürlich sehr aufgeregt und wurde stark auf meine Durchhaltefähigkeit und soziale Kompetenz getestet. Die Ansprüche scheinen jedoch höher zu sein als die Realität, allzu schwierig ist es dann gar nicht - dennoch bereichernd. Was aber passiert mit jenen, die erst gar keinen Abschluss haben oder der deutschen Sprache nicht mächtig sind? Die haben dann wohl Pech gehabt.

Doch selbst wenn man zum so genannten Assessment-Center zur näheren Auswahl eingeladen wird, ist man lange noch nicht auf der Sonnenseite der Ausbildungsrepublik: Bei der Auswahl für einen Ausbildungsplatz werden meist Schüler mit "besserem" Schulabschluss vorgezogen. In der Schule haben wir so etwas allerdings nie zum Thema gemacht. Mit einem Hauptschulabschluss kann man heute einfach keinen Blumentopf mehr gewinnen. Findet man dann weder Studien- noch Ausbildungsplatz, sitzt Wartesemester ab oder wird nach der Bewerbung abgelehnt, bleibt einem meist nur ein unbezahltes Praktikum oder man erfreut sich am Sozialstaat - es sei denn man absolviert einen (geringbezahlten) Freiwilligendienst im Bereich FSJ, FSJ-Kultur, dem freiwilligen ökologischen Jahr oder prostituiert sich in der Billigökonomie.

Ich fand eine Stelle als FSJler, viele Freunde von mir verschulden sich aber derzeit, um ein Studium beginnen zu können. Das werde ich dann wohl auch tun müssen. Bekomme ich kein BAFÖG, werde ich einen Bildungskredit aufnehmen - das machen derzeit ganze zwei Prozent. Gerade plant Bundesbildungsministerin Schavan aber die Abschaffung des BAFÖG, sie applaudiert euphorisch bei sämtlichen Alternativen – warum sollte auch der Staat dafür Sorge tragen, dass Jugendliche nicht in finanzielle Nöte und Abhängigkeiten geraten?

Soll mir das Angst jetzt machen? Lieber schnell aus der Not eine Tugend machen und nicht lange nachdenken, sich alles offen halten. Die Entscheidung, sich vollkommen zu spezialisieren oder aber durch einen Spagat zwischen mehreren Informationsangeboten "Allround-Talent" zu werden, liegt dann bei jedem selbst. Die weitreichenden Folgen einer solchen Entscheidung kann ein Jugendlicher mit seinem Erfahrungsschatz aber noch nicht abschätzen.

Am kommenden Samstag, den 25.November, werden diese und andere Themen auf dem Berliner jugendFORUM im Abgeordnetenhaus zwischen Jugendlichen und Abgeordneten diskutiert. Infos hier.