Radikal pragmatisch

Nur beim Parteisymbol wagte die grüne Basis auf dem Bundesparteitag in Köln den Aufstand

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Die Grünen hatten schon immer ein Faible für Symbolpolitik. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Parteibasis auf den 26ten Parteitag in Köln ausgerechnet bei der Präsentation eines neuen Parteilogos den Aufstand wagte. Nach Rededuellen machte die Parteispitze schließlich einen Rückzieher. So bleibt es zumindest in der näheren Zukunft beim schon mehr als 10 Jahre alten Symbol.

Das neue Logo fand keinen Gefallen

Die Parteiregie wird sich gefreut haben, dass sich der Unmut der Basis an diese Symbol-Frage abgearbeitet hat. Denn an streitbaren inhaltlichen Themen hätte es wahrlich nicht gefehlt. Schon zu Beginn wurden die unterschiedlichen Akzentsetzungen bei der künftigen Koalitionsarithmetik deutlich. Während die grüne Fraktionschefin Renate Künast nach dem CDU-Parteitag die Union demonstrativ lobte und den Konservativen eine positive Entwicklung bescheinigte, die auch ein schwarz-grünes Regierungsbündnis realer werden lässt, betonte die alte und neue Co-Parteichefin Claudia Roth, dass die Schnittmengen zwischen Union und Grünen in letzter Zeit nicht größer geworden seien.

Was in den Medien als Rolle rückwärts mit Roth als Kopf der Parteilinken interpretiert wurde, ist aber vor allem ein gutes Stück Pragmatismus. Die Grünen mussten in den letzten Monaten erfahren, dass sich in Baden-Württemberg die Hoffnungen auf eine schwarz-grüne und in Berlin auf eine rot-grüne Koalition zerschlagen hat. Wenn sich irgendwo die reale Möglichkeit einer Koalition ergäbe, würde sie, egal in welcher Farbkonstellation, an den Grünen sicher nicht scheitern. Daher haben die Delegierten aus ihren wohl hauptsächlich taktischen Differenzen keinen Grundsatzstreit gemacht. Diese Unentschiedenheit, die man auch Pragmatismus nennen kann, hatte bei allen entscheidenden politischen Fragen auf dem Parteitag Trumpf.

Kein Signal gegen Bundeswehreinsätze und Hartz IV

Zwar wurde im Vorfeld betont, dass auf dem Parteitag auch die unter rot-grün beschlossenen Bundeswehreinsätze auf den Prüfstand kommen sollen. Der Parteilinke Hans-Christian Ströbele sah die Chance, seine Partei ohne direkte Koalitionsbürde wieder mehr in der Antikriegsbewegung zu verankern. Doch sein Antrag für einen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan fand auf dem Parteitag keine Mehrheit, die den Schwerpunkt auf den zivilen Wiederaufbau legen und diesen dann auch militärisch absichern, aber keine Abzugsdiskussion will.

Mit einer solchen Position ist man sowohl nah bei Merkel wie bei Steinmeier, also offen für alle Koalitionen. Die Ströbele-Position hätte dagegen vor allem darauf abgezielt, der Linkspartei in der außerparlamentarischen Bewegung nicht das Feld zu überlassen. Allerdings hätte ein solcher Antrag auch nicht zu den Äußerungen gepasst, die führende Grüne wie Kerstin Müller bei der Diskussion um einen Einsatz am Horn von Afrika in der letzten Zeit gemacht. Da wurde ein robuster UN-Einsatz ausdrücklich mit deutscher Beteiligung angemahnt.

Eine ähnlich unentschlossene Haltung legte der Parteitag auch bei der Debatte über die Sozialpolitik an den Tag. Zwar hielten einige Delegierte mit ihrer Kritik nicht hinter dem Berg. Die Agenda 2010 sei schon falsch gewesen, als sie von den Grünen noch mitgetragen wurde, und man habe jetzt die Gelegenheit, sich von Schröders Show-Politik abzugrenzen. Doch am Ende sollen die Parteigremien weiter über die grüne Sozialpolitik entscheiden.

Zwar sind die Grünen stolz, mit dem bedingungslosen Grundeinkommen ein Thema mit angestoßen zu haben, das mittlerweile bis in Kreise des Mittelstandes und der Union auf Sympathie stößt. Doch so richtig klar positionieren will man sich auch in dieser Frage nicht. So erhoben pünktlich zum Parteitag der sozialpolitische Sprecher der Grünen Markus Kurth, Jakob Ache, Sibyll Klotz, Sebastian Renner und Klaus Seipp Einspruch und plädieren für eine Art Hartz light.

„Eine komplette Aufhebung der Überprüfung der Arbeitsbereitschaft halten wir für unangemessen, auch wenn wir die rigiden Zumutungsregelungen der Hartz-Gesetze kritisieren“, heißt es dort. Außerdem sind die Autoren überzeugt dass, „die wenigsten Menschen die Pflicht zur Teilnahme an Maßnahmen der Bundesagentur per se als entwürdigend“ empfinden. „Sie resignieren aber zu Recht über sinnlose verpflichtende Maßnahmen, auf deren Ausgestaltung sie keinen Einfluss haben.“ Mit solchen Positionen hält man sich sowohl die SPD als auch die Unon als Koalitionspartner warm.

Was tun, wenn alle öko sind?

Zum Herzstück des Parteitags wurde schließlich die Klimapolitik gekürt. In diesem Zusammenhang prägte Co-Parteichef Bütikofer das später vielzitierte Wort von der neuen Radikalität der Grünen. Doch er machte gleich deutlich, dass er keineswegs an den Weg der ehemaligen Parteivorsitzenden und heutigen Ökologischen Linken anknüpfen Jutta Ditfurth anknüpfen will. "Radikal ist: Das Richtige tun" – kalauerte er in einem Interview.

Auf dem Parteitag wurde der Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Fell dann schon von nicht wenigen des ökologischen Fundamentalismus geziehen, weil er in einen Antrag für eine Null-Emissionsstrategie, d.h. die Umstellung der Energieversorgung auf regenerative Energien innerhalb von Jahrzehnten eingetreten ist. Das wurde von der Parteitagsmehrheit als zu radikal abgelehnt.

Es ist klar, dass die Grünen durch die aktuelle Umweltdebatte in der Öffentlichkeit wieder mehr wahrgenommen werden wollen. Denn in der letzten Zeit wurden eher der ehemalige US-Vizepräsident Gore und selbst Klaus Töpfer damit identifiziert. „Was tun, wenn plötzlich alle Öko sein wollen“, fragt man schon im grünen Milieu. Die Angst, vielleicht doch schon zu den Bewegungen von gestern zu gehören, wird jedenfalls auch nach dem Parteitag nicht verstummen. Ein baldiger Regierungseintritt zumindest in einer Landesregierung wäre das beste Narkotikum gegen diese Angst vor dem Verschwinden zu einer Fußnote in der Geschichte. Der Parteitag hat alles vermieden, um die Gelegenheit zum Mitregieren zu stark mit Grundsätzen zu überfrachten. Es war deutlich, dass man alle Entscheidungen vermeiden wollte, die der Parteitag das Mitregieren erschweren könnte. Warum erst auf unbequeme Entscheidungen festlegen, wenn man sie dann doch wieder abwerfen muss? Man bleibt radikalpragmatisch, außer wenn es ums Symbol geht.