"Die deutsche Wirtschaft profitiert von der Besatzung"

Die Karlsruher Rechtsanwältin Brigitte Kiechle über wirtschaftliche Interessen Deutschlands im Irak

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Karlsruher Rechtsanwältin Brigitte Kiechle befasst sich seit Jahren mit dem Irak aus menschenrechtlicher Perspektive. Schon während des Saddam-Regimes verteidigte sie Flüchtlinge, die in Deutschland oft vergeblich Asyl suchten. In mehreren Büchern hat sie sich in den letzten Jahren kritisch mit der innenpolitischen Entwicklung des Irak beschäftigt und dabei immer gegen die in ihren Augen falsche Alternative Saddam-Regime oder US-Besatzung ausgesprochen.

Auch in ihrem jüngsten Buch Das Kriegsunternehmen Irak geht sie auf politische Aspekte ein, die in der aktuellen Diskussion über den Irak in der Regel unter den Tisch fallen. Während gemeinhin der Fokus der Berichterstattung auf die Interessen der USA und ihrer Verbündeten in der Region gerichtet ist, befasst sich Kiechle in dem Buch auch mit den aktuellen wirtschaftlichen Interessen Deutschlands im Irak.

Welchen Stellenwert hat aktuell das wirtschaftliche Engagement Deutschlands im Irak? A: Die deutsche Regierung hat in den letzten Jahren gezielt die Voraussetzungen für eine Erhöhung des wirtschaftlichen Engagements im Irak geschaffen. Eine Reihe deutscher Firmen ist wieder im Irak tätig. Der Anteil von vor 1990, als die BRD zu den wichtigsten Handelspartnern gehörte, ist aber noch längst nicht erreicht worden. Der Grund liegt vor allem in der schlechten Sicherheitslage im Land, die im Moment noch eine effektive Nutzung dieser Möglichkeiten ausschließt.

Hat die zumindest verbale Ablehnung des Irakkrieges durch die vorige Bundesregierung die USA nicht veranlasst, Deutschland beim Nachkriegsgeschäft so weit wie möglich rauszuhalten?

Brigitte Kiechle: Das war tatsächlich in den ersten Monaten nach der Besetzung ein von der deutschen Wirtschaft immer wieder beklagter Hinderungsgrund für Investitionen. Doch bei den so genannten Geberkonferenzen wurden die Länder, die nicht unmittelbar an der Invasion beteiligt waren, zur finanziellen Beteiligung aufgefordert. Danach konnten sie natürlich auch nicht mehr aus der Wirtschaft des Iraks herausgehalten werden.

Welche Rolle spielte auf irakische Seite, die Tatsache, dass deutsche Firmen bis zum Schluss gute Geschäfte mit dem Saddam-Regime gemacht haben?

Brigitte Kiechle: Das war eher ein Vorteil für die deutsche Wirtschaft. Im Irak sind viele deutsche Maschinen im Einsatz, die repariert und erneuert werden mussten. Da war natürlich die deutsche Experten und Ersatzteile gefragt.

Sind die Giftgaslieferungen aus Deutschland an das Saddam-Regime nicht zumindest für die Kurden Grund zu Zurückhaltung?

Brigitte Kiechle: Da muss man zwischen der Bevölkerung und den Ministern unterscheiden. Beim deutsch-irakischen Wirtschaftskongress Anfang 2004 verwies der stellvertretende kurdische Handelsminister auf die traditionell guten Beziehungen zur deutschen Chemieindustrie und forderte die deutsche Wirtschaft zu starkem Engagement im Irak auf. Bei Teilen der kurdischen Bevölkerung, die weiterhin Reparationen für die Opfer des Giftgaseinsatzes in Halabja fordert, stößt dieser Kurs allerdings auf Widerstand.

Kommen auch die zunehmenden Differenzen zwischen irakischen Politikern und der USA Deutschland zugute?

Brigitte Kiechle: Auf jeden Fall. Unmittelbar nach der Besetzung des Iraks wurden alle Aufträge an überteuerte US-Subunternehmen gegeben. Das hatte großen Unmut in der irakischen Bevölkerung aber auch bei Teilen der Regierung hervorgerufen. Die irakische Regierung begrüßt das Engagement der deutschen Wirtschaft, weil das ihren Handlungsspielraum gegenüber der USA erhöht. Allerdings sind die grundlegenden Weichenstellungen für den neoliberalen Umbau der irakischen Wirtschaft längst gelegt. Ich erinnere an die Bremer Erlasse, benannt nach dem damaligen US-Zivilverwalter Paul Bremer, in denen festgeschrieben wurde, dass ausländische Investoren ihre Gewinne zu 100 % aus dem Irak ausführen können. Damit wurde der Ausverkauf des Iraks beschlossen.

Bei der Diskussion um den Erlass der irakischen Schulden aus der Saddam-Ära, hat die deutsche Regierung gemeinsam mit den USA ein 3-Stufen Modell durchgesetzt. Die Entschuldung wird mit der Durchsetzung der IWF-Auflagen und der Privatisierung der Ölindustrie verbunden. Das sind die Rahmenbedingungen, unter denen auch die deutsche Wirtschaft im Irak Profite machen will.

Warum werden die deutschen Geschäfte im Irak bei der Antikriegsbewegung in Deutschland kaum thematisiert?

Brigitte Kiechle: Die Friedensbewegung hat in der Tat einen zu stark militärstrategischen Blick auf den Irak. Die neoliberale Umgestaltung des Landes spielt in der Diskussion eine zu geringe Rolle. Dabei gibt es hier viele Bezüge nach Deutschland. So wurde im Beiprogramm der Nato-Sicherheitskonferenz 2005 in München über einen veränderten Sicherheitsbegriff diskutiert, der den Schutz wirtschaftlicher Interessen ausdrücklich einschließt. Ein stärkeres wirtschaftliches Engagement bedingt auch die Absicherung durch Militärs.