Das Land der allmächtigen Polizisten

Ägypten: Folter für jene, die aufbegehren

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Wie es um eine Gesellschaft bestellt ist, kann man sehr gut daran ablesen, wie sie mit Frauen (vgl. Der Aufstieg der arabischen Frauen..) und Homosexuellen umgeht. Je weniger man es nötig hat, ihnen das Leben zu erschweren, sie auszugrenzen, zu diffamieren, als ewige Sündenböcke zu stigmatisieren, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass das Leben in einer solchen Gesellschaft nicht nur angenehmer ist, sondern prosperiert - wirtschaftlich, technisch, kulturell, intellektuell. Ein Fall aus Ägypten zeigt nun, wie die Polizei dort mit niederträchtigsten Mitteln arbeitet, um sich ihrer Macht zu versichern. Und er zeigt, wie mutig dort ansässige Journalisten und Blogger der Repression trotzen und wie viel schärfer sie Aufklärungsarbeit betreiben als die meisten ihrer Medien-Kollegen: ein Hoffnungsschimmer in einem Land, das wegen seiner Schönheit und der Freundlichkeit der Menschen jährlich Tausende von Touristen anzieht, und das hinter der Postkarten- und Reiseprospektidylle häßlichste Unterdrückungspraktiken betreibt.

Ägyptens Homosexuelle leiden unter neuen Verfolgungswellen. Das "Karussell aus Verhaftung, Folter, Verrat und weiterer Folter" führte einen Monat lang zu einer regelrechten Jagd auf sie, schrieb Negar Azimi, Redakteurin der Kulturzeitschrift Bidoun, vergangen Donnerstag in der Süddeutschen Zeitung. Und es seien nicht nur Homosexuelle, die Opfer zweier parallel laufender Kampagnen würden – der Radikalisierung des Islam und des Abstempelns des permissiven, imperialen Westens und seiner Werte -, die Angriffe würden sich auf alles richten, was "vage als 'Menschenrechte' bezeichnet wird".

Deutlich demonstriert wird das exemplarisch in einem Video, das bereits im November in einem Middle-East-Blog veröffentlicht wurde. Es zeigt einen von der Hüfte abwärts nackten, gepeinigten Mann, der auf einem Fliesenboden liegt und von Stiefeln und einem Stock in entwürdigenster Weise getreten und misshandelt wird. Die Reutersmeldung vom Montag spekuliert noch, ob das Video authentisch sei. Ein ägyptisches Blog hat aber schon letzte Woche gewußt: Stiefel und Stock gehören realen, bereits identifizierten Polizisten, der Fliesenboden findet sich in einem realen, bereits identifizierten Polizeirevier.

Dem Journalisten Wael Abdel Fattah der unabhängigen Wochenzeitung Al-Fagr, welche die Traute hatte, seinerzeit die dänischen Karikaturen zu veröffentlichen gelang es, das Opfer, einen Mikrobusfahrer, ausfindig zu machen und erstaunlicher noch, ihn trotz dessen Scham zum Reden über seine Vergewaltigung zu bringen.

Zeitungsartikel von Al-Fagr

Denn so infam alleine die Folter ist, noch infamer ist die Politik der Polizei mit diesem Video, das offensichtlich mit dem Handy eines Polizisten aufgenommen wurde: Man lässt es unter Busfahrerkollegen verbreiten, um die Entwürdigung des Mannes öffentlich zu machen, um ihn zu stigmatisieren, um zu demonstrieren, was mit jenen passiert, die aufbegehren. Das Opfer hatte sich nämlich über die Behandlung eines Cousins, der von Polizisten geschlagen wurde, beschwert – unglücklicherweise an Ort und Stelle bei den Übeltätern selbst. Folgen: sieben Tage Zelle, Schläge, Folter, Einschüchterungen.

Leider ist die Öffentlichkeit, die unabhängige Zeitungen in der vom ägyptischen Staat kontrollierten Medienlandschaft erzielen, nicht allzugroß. Und der Einfluss von Blogger-Aktivisten in der Region und in Ägypten auf die Medienhierarchie und laufende politische Diskurse nach Einschätzungen von Fachleuten vermutlich (noch?) sehr begrenzt.

Damit vergrößern sich die Chancen der unzähligen Machtfilialen im repressiven Ägypten dieser Tage, ihre unmenschlichen Praktiken weiterhin mehr oder weniger unbelästigt durchzuführen. Und die Reisebüros können weiterhin beruhigt für das Land werben, müssen sich einzig darum kümmern, den Kunden zu versichern, dass der ägyptische Staat den islamistischen Terror unter Kontrolle hat. Wie der "Kampf gegen den Terror" von ägyptischen Behörden im Alltag ausgelegt und praktiziert wird, interessiert dann schon weniger.