Gekaufter Sicherheitsrat?

Bestechung und Hilfsgelder

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Das englische Medizinjournal Lancet sorgt immer wieder für politische Skandale (vgl. Krieg kostete 650.000 Menschen im Irak das Leben). Die öffentliche Reaktion auf die enorm hoch angesetzten Zahlen von zivilen Opfern im Irak brachte der angesehenen Fachzeitschrift eine große Aufmerksamkeit außerhalb ihres normalen Leserkreises. Nun steht wieder ein Skandal an, der im Lancet veröffentlicht werden soll. Es geht um Gelder, die für Hilfeleistungen gedacht sind. Ein beträchtlicher Teil davon soll von den USA dazu verwendet werden, um Mitglieder des UN-Sicherheitsrates für politische Zwecke zu bestechen.

„Very timely“ zur Vorweihnachtszeit, in der Hilfe für die Armen und Benachteiligten der Welt großgeschrieben wird, veröffentlichte der Observer am gestrigen Sonntag skandalträchtige Ergebnisse eines Forschungsberichts, der in der nächsten Ausgabe des Lancets detaillierter vorgestellt werden soll.

Der Forschungsbericht, um den es geht, ist allerdings schon seit Sommer dieses Jahres bekannt. Schon Überschrift und Unterzeile: Wie viel ist ein Sitz im UN-Sicherheitsrat wert? Auslandshilfe und Bestechung bei den Vereinten Nationen verweisen auf die Kernaussage des Berichts der Harvard-Forscher Ilyana Kuziemo und Eric Werker: Jedesmal, so haben sie aufgrund von Daten von 1946 bis 2001 festgestellt, wenn ein Land über Rotation und Wahl einen Platz im UN-Sicherheitsrat zugewiesen bekommt, steigt die Auslandshilfe („Foreign Aid) der USA für dieses Land sprunghaft um durchschnittlich 59 Prozent an (die UN stockt ihre Zahlungen auch durchschnittlich um acht Prozent auf).

Verläßt das Land den Sicherheitsrat wieder, so gehen auch die Hilfeleistungen „beinahe sofort“ wieder auf Normallevel zurück. Hatte das Land das Glück während wichtiger, kontroverser Entscheidungen im Sicherheitsrat zu sitzen, wie z.B. während der Zeit vor Beginn des Irak-Krieges, dann fiel der Zusatzbonus noch größer aus.

Fünf von 15 Plätzen im Sicherheitsrat sind für die ständigen Mitglieder USA, Großbritannien, China, Rußland und Frankreich reserviert, die zehn anderen werden alle zwei Jahre neu besetzt. Die beiden Wirtschaftswissenschaftler fanden heraus, dass es eine Korrelation zwischen höherer finanzieller Zuwendung und Platz im Sicherheitsrat gibt und „implizit“ einen Zusammenhang zwischen Stimmabgabe und Förderung. Dieser ökonomische Effekt werde vor allem durch die UN-Unterorganisation UNICEF, die vor allem von den USA kontrolliert werde, gesteuert.

Steht ein kontroverses Thema an, so die Beobachter der Finanzkurven, so steigert sich die Prämie um bis zu 170%, was sich auf Extrazahlungen in Höhe von etwa 33 Millionen Euro summieren kann. Damit hätten Länder, die zufälligerweise während wichtiger Entscheidungen wie etwa dem Korea-Krieg, oder dem Suez-Kanal-Konflikt, dem Falkland-Konflikt oder Kosovo einen Platz im Sicherheitsrat inne hatten, ziemliches Glück, so der Forschungsbericht. Als aktuelleres Beispiel zitieren die Autoren, dass Jemen 1991 keine Zuwendungen von den USA mehr bekam, als es 1991 gegen den Sicherheitsratsbeschluß stimmte, welcher für militärische Aktionen gegen den Irak plädierte.

Daten und Statistiken, welche die Wirtschaftswissenschaftler als Grundlage für ihre Berechnungen herangezogen haben, bestätigen, was sich auch in vorangegangenen Untersuchungen schon zeigte, dass es einen „signifikanten Link zwischen Platz im Sicherheitsrat und steigenden Zuwendungen“ gibt. Beobachter der UN-Politik dürfte der „schwerwiegende Vorwurf“, der sich nach Auffassung von Ilyana Kuziemo und Eric Werker, daraus ergibt, nichts Neues sein. Derartige Manipulationen werden gewiß auch nicht nur von den USA angewandt, ob beispielsweise Deutschland bei seinem Bemühen um einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat ohne Gefälligkeiten gegen afrikanische Staaten auskommt, erscheint wenig wahrscheinlich.

Stellt sich die Frage, warum das heikle und ziemlich komplexe Thema vom Observer jetzt ein halbes Jahr nach Veröffentlichung des Berichts nochmal auf den Tisch gelegt wurde. Die Antwort dürfte einmal darin begründet sein, dass mit dem Wechsel an der UN-Spitze der Zeitpunkt günstig ist, um Reformpläne vorzustellen. Der Bericht der Harvard-Forscher mit den griffigen Thesen eignet sich hier besonders, zumal sie in ihrem Papier selbst Vorschläge machen. Für das Medizinjournal „Lancet“ war die UNICEF schon immer ein wichtiges Thema, das selbst den Herausgeber beschäftigte und von David Woodward, dem Autor des skandalträchtigen Artikels im Lancet, weiß man schon lange, das er als Anwalt der Benachteiligten für eine grundlegende Reform der Großorganisationen eintritt:

Das größte Hindernis, sowohl im Internationalen Währungsfond wie in der Weltbank wie in der UN sind jene Länder, welche die Macht haben, jede Reform zu blockieren. Sie machen diese Politik einfach.

David Woodward, New Economics Forum