"Killerspiele" und Gewaltdarstellung

Die Diskussion dreht sich vornehmlich um die Gefährlichkeit der "realistischen" visuellen Gewaltdarstellung - aber was heißt realistisch?

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"Killerspiele" stehen unter Beschuss, weil sie Gewalt fördern oder die Hemmschwelle senken sollen. Bei der Diskussion geht es vorwiegend um die realistische Gestaltung des Tötens von Menschen oder menschenähnlichen Wesen. Realistisch heißt meist, dass der Spieler bzw. sein digitaler Stellvertreter irgendeine Waffe besitzt, mit der andere virtuelle Lebewesen verletzt oder getötet werden. Dabei spritzt mitunter Blut, fallen die Körper zu Boden oder werden zerfetzt. Realistisch? Kommt darauf an, was man darunter versteht.

Screenshot aus F.E.A.R.

Realistisch ließe sich vielleicht die grafische Darstellung von virtuellen Figuren, Waffen und der Szenerie bezeichnen. Aber etwa die Benutzung der virtuellen Waffe, der Vorgang des Schießens, die Situation des „Ego-Shooters“ oder die Darstellung getroffener Opfer ist das sicherlich nicht. Anders als in der Literatur oder in Filmen sind normalerweise nicht die Angst, der Schrecken, die Schmerzen oder die Verzweiflung des dargestellten Anderen Thema, als wirkliches „beseeltes“ Gegenüber taucht er auch nicht auf. Trotz allem grafischen Realismus bleiben die virtuellen Personen (noch) animierte Spielfiguren, nicht viel anders als solche, die man auch in Brettspielen verwendet. Die Abstumpfung bzw. das Senken der Hemmschwelle zur Gewaltausübung, wovon oft die Rede ist, dürfte eigentlich nur in pathologischen Einzelfällen möglich sein – im Unterschied zu doch sehr viel realistischeren Filmen, literarischen Beschreibungen oder dem Umgang mit echten Waffen. Paintball-Spiele überschreiten hier schon eine ganz andere Grenze, auch die Möglichkeit, wie sie in Texas vorübergehend angeboten wurde, über das Internet ein Gewehr zu steuern und mit diesem ein echtes Tier zu töten.

Zudem ist das Spielgeschehen in aller Regel so inszeniert, dass der grafische Realismus ein Hintergrundeffekt ist. Schließlich müssen die Spieler mit hoher Aufmerksamkeit schnell reagieren und sind – im Gegensatz zu nicht spielenden Zuschauern – weitaus mehr vom Geschehen und den zu treffenden Entscheidungen mitgerissen als von den Bildern. Das mag mitunter einer der Gründe sein, warum Nichtspieler, darunter auch die meisten Politiker, die dargestellte Gewalt anders beurteilen als Spieler.

Die Verkürzung auf die grafisch dargestellte Gewalt verdeckt überdies andere Zusammenhänge, die zumindest auch Gewaltausübung fördern könnten. Bekanntlich ist es eine der wichtigsten „Aufgaben“ der Propaganda, mit der Stimmung für Kriege und andere Gewalt gemacht wird, den Gegner als böse, brutal, unmenschlich oder untermenschlich, als Parasiten, krank oder Krebsgeschwür darzustellen. Die Bedrohung geht einzig vom Gegner aus, man selbst verteidigt sich nur und ist ganz im Recht. Den bösen Gegner dann zu töten oder zu eliminieren, ist dann weniger schlimm oder eher schon eine gute Tat im nationalen Interesse oder für die eigene Gruppe.

In den letzten Tagen ist beispielsweise das vor kurzem auf den Markt gekommene Computerspiel Left Behind (Materieller und spiritueller Krieg gegen den Antichrist) in die Diskussion gekommen. Es stammt aus der Ecke von Endzeitchristen, die mit Büchern oder eben jetzt auch mit Spielen an ihren Visionen gutes Geld verdienen, Endzeitliches wurde zu einem profitablen Milliarden-Markt. Ob die Macher an ihre Auslegungen der biblischen Apokalypse wirklich glauben, ist unerheblich. Im Spiel wie in den Büchern geht es um die letzte Schlacht um das Recht Gottes, bei der die "Erwählten" gegen den Rest der Welt, insbesondere die Vereinten Nationen, im "letzten Kampf des Guten gegen das Böse" kämpfen. Der UN-Generalsekretär spielt in den Büchern, die angeblich auch George Bush gerne liest, den Chef der bösen Global Community Peacekeepers, gegen die Gottes Armee mit der Hilfe von Engeln antritt. Im Spiel sollen Kinder und Jugendliche an die religiöse Welt der Endzeitchristen herangeführt werden. Man missioniert also mit Computerspielen und anderen Unterhaltungsprodukten.

Screenshot aus Left Behind: Eternal Forces

Verkauft wird das Spiel nicht nur als religiöses Produkt, sondern auch als Alternative zu den grausamen Computerspielen. Es geht zwar auch hier ums Kämpfen und Töten, aber man sieht kein Blut. Zudem sinkt bei den guten Soldaten der wichtige Spiritualitäts-Level ein wenig ab, wenn sie einen Bösen getötet haben. Dann muss schnell gebetet werden, um das wieder gut zu machen und die Absolution zu erhalten. Ansonsten setzen die Guten neben Schusswaffen und Panzern auch Gebete und Gesänge ein, um die Gegner zu überzeugen. Dafür kriegt man sogar mehr Punkte als fürs Töten. Ganz friedlich scheint man den Endkampf aber nicht spielen zu können, weil die Bösen fortwährend angreifen. New York als Ort des Endkampfes wurde vermutlich auch deswegen gewählt, weil man dort gut die – natürlich "familienfreundliche" - Werbung unterbringen konnte, für die man einen Vertrag mit Double Fusion abgeschlossen hat.

Die Kritik, die seit einiger Zeit auch von Christen aufgekommen ist, wird von den Spieleherstellern zurückgewiesen und wahrscheinlich insgeheim begrüßt, verschafft sie doch dem Spiel größere Aufmerksamkeit. Die Argumentation von Troy Lyndon, dem Chef von Left Behind Games, ist allerdings ganz interessant im Kontext der Verbotsdiskussion um Killerspiele. Auch er bezeichnet sein Produkt als "strategisches Spiel", hebt hervor, dass man kein Blut und keine unnötige Gewalt darstelle und es sich nur um den "traditionellen Kampf zwischen Gut und Böse" handle. Im Laufe des Spiels müssten die Spieler bestimmten, für die Religion lehrreichen Hinweisen folgen. Und es gehe nicht um den Krieg selbst, der werde nur dann – als christlich "sauberer" Krieg - notwendig, wenn die Guten angegriffen werden.

Mit einer solchen Verklärung des notwendigen und fürs Seelenheil notwendigen Kampfes der Guten gegen die Bösen wird aber über das pure Spiel hinaus eine Ideologie aufgebaut, die das Töten im Namen Gottes rechtfertigt, auch wenn dabei kein Blut fließt. Das ist auch in anderen Spielen so, bei denen die Guten gegen die Bösen kämpfen, die man zu Recht massakrieren kann, beispielsweise auch im Rekrutierungsspiel America's Army und zahlreichen anderen Produkten. Oft werden die Feinde und Feindesländer auch anschaulich dargestellt, oft genug sind es seit Jahren Figuren, die muslimische Terroristen darstellen sollen, aber natürlich geht es auch umgekehrt, wenn die Bösen die Amerikaner, Israelis oder wer auch immer sind.

Auch hier kann man natürlich fragen, ob solche Feindprojektionen mit Tötungslegitimation irgendeine Wirkung haben. Vermutlich für viele Spieler nicht direkt, aber sie könnten zumindest auch hier Haltungen verstärken, die ja oft genug tatsächlich in den Krieg oder zu blutigen Konflikten geführt haben. Beim christlichen Endzeitspiel stehen wohl neben den Atheisten, Schwulen und anderen Nicht-Erwählten die Muslime als derzeitige Hauptgegner unter Verdacht, zu den Heerscharen des Antichrist zu gehören. Zumindest ist nicht unverständlich, wenn muslimische Gruppen wie die Muslim Association of Britain nach einem Bericht der britischen Times das Spiel als bedrohlich ansehen und auch gleich nach einem Verbot oder zumindest nach einem Boykott rufen: "Dieses Spiel ist unverantwortlich und äußerst rassistisch. Es dämonisiert jede Religion, die nicht christlich ist … Spiele wie diese sind Gift für junge Menschen."

Befördern auch solche saubere Tötungsspiele eine "Verherrlichung oder Verharmlosung" von Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen? Trifft dies nur zu, wenn auch Blut spritzt? Ist es gar verharmlosender, wenn die virtuell Getöteten einfach verschwinden und so die begangene Gewalt unkenntlich gemacht wird? Es wäre jedenfalls Zeit, die Debatte um Killerspiele und die Folgen von dargestellter Gewalt ein wenig differenzierter anzugehen, als dies in aller Regel auf der politischen Bühne gemacht wird.