Spex wird geschreddert

Die Übersiedlung des Musikmagazins von Köln nach Berlin markiert das Ende einer Ära

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Das Musikmagazin "Spex" war schon immer mehr als eine Musikzeitschrift. Denn seit seinem Bestehen widmete sich das Blatt aus Köln Bereichen der Populärkultur mit einer Verve und Akribie, die weit über das übliche Niveau der deutschen Musikpresse hinausgeht. Die Kündigung der kompletten Redaktion, die sich geweigert hatte, nach Berlin zu ziehen und der Einstellung des ehemaligen Prinz-Autoren, Alert-Herausgebers, Springer-Journalisten und taz-Schreibers Max Dax markiert aber vermutlich nicht nur eine Zäsur in der Spex-Geschichte, sondern deren Ende.

Der Herausgeber Alex Lacher begründet den Umzug mit dem Wegfallen der Tabakwerbung und den damit verbundenen Verlusten, welche drei Verlagsstandorte (Berlin, Köln, München) zu kostspielig machen würden. Verschwiegen wird dabei aber das Angebot der Kölner Redaktion, das Blatt in Köln ohne Verlagsräume weiterzuführen.

Es ist also durchaus vorstellbar, dass nicht rein betriebswirtschaftliche Erwägungen bei den Umzugsplänen eine Rolle spielen, sondern eine generelle Änderung der redaktionellen Ausrichtung beabsichtigt ist. So mußte Lacher, der in seinem Piranha-Verlag Periodika wie die Berliner Elektro-Postille “Groove“ herausbringt und das “Burger King-Magazin“ beaufsichtigt, zugeben, dass zum ersten Mal seit dem sechsundzwanzigjährigen Bestehen der Spex der neue Chefredakteur nicht aus den Reihen der bestehenden Redaktion gewählt wurde.

Es geht vermutlich also nicht nur um eine Umstellung der Erscheinungsweise von einem auf zwei Monate und der inhaltlichen Umorientierung weg von einem großen Serviceteil mit zahlreichen, aber kurzen Plattenbesprechungen hin zu mehrseitigen Berichten, sondern zu einem Kappen des Spex-Konzepts überhaupt, wie die Ausführungen des neuen Chefredakteurs in einer Mischung aus SPD-Parteiprogramm- und Jetzt-Magazin-Deutsch befürchten lassen:

Der völlige Neuanfang ist ganz und gar unabhängig von meiner Person notwendig geworden, angeblich aus ganz profanen Gründen: dem am 1. 1. 2007 in Kraft tretenden Tabakwerbeverbot. Eine absurde Situation, die dazu führte, dass der mittelständische Piranha-Verlag gezwungen war, den Standort Köln wegen zu hoher Overhead-Kosten zu opfern - um das Erscheinen von SPEX in der Zukunft zu sichern. Der Redaktion war das wohl schwer vermittelbar. Ein Neuanfang bedeutet daher: eine neue Redaktion, eine neue Stadt und ein glasklares Bekenntnis zu der Tradition, die die SPEX in den letzten 26 Jahren geprägt hat: politischer Mut, ein klares Auftreten in Wort, Bild und Gestaltung, ein Bekenntnis zu einer politischen und kulturellen Avantgarde in Musik, moderner Kunst, Fashion, Fotografie, Kino und Literatur (...). Die großen kulturellen und politischen Leitthemen werden in der SPEX wieder stattfinden. Episch. Deep. Leidenschaftlich.

Ausführliche Artikel und brillante Analysen

Gegründet wurde das legendäre Musikmagazin 1980 in Köln von Gerald Hündgen, Clara Drechsler und Peter Bömmels. Anfänglich hatte das Blatt aber mit der Konkurrenz der Hamburger Musikzeitschrift “Sounds“ zu kämpfen und wirkte im Vergleich noch etwas altbacken.

Die Gegnerschaft zu Positionen der unter Diedrich Diederichsen zu Hochform auflaufenden New Wave-Postille wurde jedoch nach deren Konkurs und der Übernahme zahlreicher Sounds-Schreiber wie dem ehemaligen Chefredakteur, Kid P. (Andreas Bananski) und Olaf Dante Marx aufgegeben. Unter der Ägide des ersten Chefredakteurs Gerald Hündgen wurde das Blatt jene Zeitschriftenlegende, von deren Ruhm es bis zuletzt zehrte.

Spex war damals mit ihrer konsequenten Umsetzung aus Pop und marxismusnaher Analyse die erste deutsche Musikzeitschrift, die aus dem übermächtigen Schatten der englischen Musikpresse wie “New Musical Express“ und “The Face“ treten konnte. Sie konnte aber auch mit dem Humor der unterhaltsamsten Musikzeitschrift aller Zeiten, der seinerzeit von dem Noch-Nicht-Pet-Shop-Boy Neil Tennant geleiteten “Smash Hits“ mithalten und war somit die perfekte Synthese aus Vergnügen und Erkenntnis, deren Stil oft kopiert aber nie erreicht wurde.

Die heutige Übersetzerin Clara Drechsler hatte z. B. zu dieser Zeit Julie Burchill den Rang der geistreichsten Pop-Schreiberin der Welt abgelaufen, Diedrich Diederichsen brillierte mit Glossen gegen Tim Renner und der ansonsten für seinen schwerfälligen Stil bekannte Schriftsteller Rainald Goetz veröffentlichte seine besten Arbeiten (u.a. den Essay “Männer, Fahrten, Abenteuer“). Wenn man diese Artikel in Buchform wiederveröffentlichen würde, hätte man in Deutschland erstmalig eine Popliteratur, deren Bezeichnung man nicht als Beleidigung nehmen müßte.

Geschrieben wurde z.B. über die Kunst eines Werner Büttner, Martin Kippenberger und Albert Oehlen, über politische Themen wie den Streik der englischen Bergarbeiter, die Helden der englischen Pop-Szene wie Paul Weller, Kevin Rowland, Spandau Ballet, Special AKA und Elvis Costello, amerikanische Punkbands, deutschen New Wave, und vor allen auch - den deutschen Hitparaden um mehr als zehn Jahre voraus - über schwarze Musik. Hip Hops-Stars wie Grandmaster Flash schmückten die Titel und Soulsänger wie Curtis Mayfield wurden in ausführlichen Artikeln und brillanten Analysen, denen sowohl die Liebe zur Musik, die Gabe zum Denken als auch die Lust zu formulieren anzumerken war, dem deutschen Publikum zum ersten Mal adäquat vorgestellt.

Charme wie Schwäche des Blattes war, sich auf bestimmte Tendenzen in der Populärkultur über längere Zeiträume zu konzentrieren und dabei andere Entwicklungen dementsprechend zu vernachlässigen: Im Zuge einer inhaltlich vollkommen richtigen kritischen Auseinandersetzung mit Friedensbewegten, Hippies und anderen linksliberalen Subkulturen wurde z. B. die englische Gitarrenpopband The Smiths zum Hausfeind erkoren, eine Wahl, die im Nachhinein im Vergleich zum Wohlwollen, das man den Toten Hosen entgegenbrachte, etwas kurios wirkt.

Fatal wurde diese Festlegungsstrategie nach der Ablösung von Gerald Hündgen als Chefredakteur durch Diedrich Diederichsen. Jahrelang wurde hier durch die Fokussierung auf amerikanischen Indierockpunk à la SST, House und Hip Hop deutlich unterrepräsentiert. Dafür wurde der Diederichsen-Nachfolger Hans Nieswandt Jahre später einer der bekanntesten deutschen House-DJ´s und beschenkte das Publikum über seine "Whirlpool-Productions" mit den charmantesten Dance-Hits.

Akademische Trends

Nach den rassistischen Übergriffen in Hoyerserda und dem Brandanschlag von Mölln huldigte man im Zuge einer steigenden Politisierung dermaßen der “political correctness“, dass Bernd Begemann wegen seiner “Deutsche Hymne ohne Refrain“ mitsamt seiner hinreißenden LP “Rezession Baby“ in die reaktionäre Ecke gestellt wurde, während man den quietistischen Rockpoeten Jochen Diestelmayr mit seiner Band “Blumfeld“ in den Pop-Olymp auffahren ließ.

Ebenfalls wurde der Techno-Musik in einem dekonstruktivistischen Übereifer exakt jene revolutionäre Qualität unterstellt, die Jahre zuvor bereits Punk angedichtet wurde. Auch mußte der DJ Michael Reinboth für ein paar ungeschickte Formulierungen im Booklet zu und einer Deutschlandfahne auf dem Hip Hop-Sampler “Krauts With Attitude“ in der Spex öffentliche Abbitte leisten.

Im Laufe dieser Entwicklung wurden nicht mehr nur popkulturelle, sondern mehr und mehr akademische Trends von der Zeitung aufgegriffen. Der Dekonstruktivismus und Poststrukturalismus hielt Einzug, und Spex bekam erst zu diesem Zeitpunkt jenen schwerfälligen pseudoakademischen Zungenschlag für den das Organ bis heute bekannt ist. Damals wurden aufgrund der deduktiven Wahrnehmung popkultureller Vorgänge, wie z.B. Girlism, technische und gesellschaftliche Entwicklungen verschlafen, die bis in die Gegenwart prägend sind.

Nach einem kurzen Intermezzo von Olaf Karnik als Chefredakteur wurde der Leser unter der Führung des späteren FAZ-Redakteurs Dietmar Dath mit einer eher erfreulichen Version des anything goes bekannt gemacht: Hier gab es von Black Metal, über Lenin und Börsen-Artikel bis zur String-Theorie (vgl. Auf der Suche nach den Dimensionen des Raums) Allerlei zu lesen.

Konsumameisen-Mainstream

Doch musste zum Jahr 2000 das Blatt Insolvenz anmelden und wurde dem Piranha-Verlag des geschäftstüchtigen, aber in Sachen Musik für kein glückliches Händchen bekannten Alex Lacher einverleibt. Damit wurde bei teilweiser Beibehaltung des akademischen Duktus eine schleichende Verjetztmagazinisierung eingeleitet, die sich mitunter in besonders unkritischer Berichterstattung (grotesker Höhepunkt der Artikel zur Blumfeld-CD “Verbotene Früchte“) und langen Modestrecken äußerte.

So weit so unerfreulich, aber mit dem aktuellen Rauswurf der kompletten Spex-Redaktion und der Rekrutierung von Max Dax, deutet nichts auf eine Besserung der Lage hin. Ganz im Gegenteil: In einem (obendrein teilweise von Mark Terkessidis abgekupferten) nach rechts gedrehten Artikel, den Dax zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen der Spex in der Welt am Sonntag schrieb, ordnete er das Blatt der Poschardt-Linie (vgl. Von der FDP zum Dialerkönig) unter und erklärte es zum Vorläufer des aktuellen popfeuilletonistischen Konsumameisen-Mainstream.

Vom ersten Chefredakteur Gerald Hündgen bis zu Max Dax ist es eben ein weiter Weg: In etwa die Strecke von Aristoteles zu Norbert Bolz. So ist es alles andere als unwahrscheinlich, dass, sobald die Spex mit all ihren musikalischen und theoretischen Schätzen, die sie einer ganzen Generation vermittelte, marktwirtschaftlich korrekt verdaut ist, wenig übrig bleiben wird.