Frankreich rund um die Uhr und den Erdball

Chiracs "CNN à la Francaise" ist Anfang Dezember in die mediale Arena der internationalen Newssender gestiegen

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Europa vom Atlantik bis zum Ural (Eigenwerbung), Afrika, der Nahe und der Mittlere Osten, Washington und New York, letztere weil Sitz internationaler Organisationen, bekommen ab sofort mit France 24 eine französische Version des Weltgeschehens frei Haus zugestellt. Als Alternative zum „amerikanischen CNN-Blick“, der doch die Tendenz dazu habe, die Welt in Gut und Böse einzuteilen, wie der Informationsdirektor Gérard Saint-Paul, es formuliert. Der französische Blick hingegen fasse die Dinge in ihrer ganzen Bandbreite auf und sei voller Respekt und Toleranz. Allerdings verstehe sich „France 24“ keinesfalls als die „Stimme Frankreichs“, sprich die Stimme des Präsidenten. Offenbar wird der frischgebackene Informationssender noch einige Mühe haben, unter Beweis zu stellen, dass man die Order nicht direkt vom Elysee-Palast empfängt.

Bereits seit Beginn der 90er Jahre, seit dem ersten Golfkrieg, um genau zu sein, gärt die Idee eines internationalen Nachrichtensenders in den Köpfen der französischen Außenpolitiker. Und da vor allem im Kopf des Präsidenten, der nicht müde wird, die „gewichtige“ Rolle Frankreichs in der internationalen Staatengemeinschaft zu unterstreichen. Der Umstand, dass die CNN-Kameras damals quasi die einzigen waren, welche die Bilder zum Krieg liefern konnten, scheint von der Grande Nation als regelrechtes mediales Trauma erlebt worden zu sein. Als dann die amerikanisch-französischen Dissonanzen vor und während des zweiten Golfkrieges unüberhörbar wurden, schien es eine ausgemachte Sache zu sein: Frankreich bedurfte dringendst eines medialen Vektors, um der dominierenden angelsächsischen Weltauffassung Paroli bieten zu können. Ende 2005, Chirac soll fast 20 Jahre lang darauf gewartet haben, begann der werdende Sender endlich Gestalt anzunehmen (CNN à la française). Ein Name ward gefunden, der übrigens mittlerweile wegen Rechtsstreitigkeiten geändert werden musste, und ein Budget geschnürt.

„France 24“ soll, wie es das Außenministerium sagt, in den Augen der Welt als „Herausforderer“ von CNN International, BBC World und Al Jazeera (Frischer Wind im Fernsehen) verstanden werden. Das mediale Golfkriegstrauma sitzt den Franzosen offenbar noch tief in den Knochen: Wie es der Zufall so will, war der erste Beitrag der ersten Nachrichten des frischgebackenen „France 24“ dem Baker-Bericht gewidmet, in dem die US-Politik im Irak kritisiert wird. Kurz darauf folgte ein Interview des französischen Präsidenten, der in seiner Eigenschaft als „Pate“ des neuen Senders mit Glückwünschen nicht haderte. Wer allerdings „France 24“ zu unterstellen gedenke, nichts anderes als ein „Präsidenten-TV“ zu sein, wie manche schon unken, dem kommt Chirac tunlichst zuvor: Falls nämlich ob der journalistischen Unabhängigkeit des Nachrichtensenders nur der geringsten Zweifel bestünde, so wäre dies der vorprogrammierte Misserfolg, da dessen Glaubwürdigkeit damit untergraben wäre. Natürlich gelte es den „französischen Blick“ auf die Weltgeschehnisse zur Geltung zu bringen, aber „unabhängig von jeglichen Rücksichten, wie immer diese auch gestaltet sein mögen“. Jedenfalls ging Chiracs langgehegter Wunsch gerade noch rechtzeitig vor der Pensionierung, eine Wiederkandidatur scheint unwahrscheinlich, in Erfüllung.

250 Millionen potentielle Zuseher

"France 24" ist zunächst auf zwei Kanälen verfügbar. Der eine in französischer Sprache, der andere auf Englisch. Für den Sommer 2007 ist eine arabische Version vorgesehen. Später soll auch eine spanische Ausgabe folgen. 250 Millionen Personen in vorerst 90 Ländern sollen per Satellit, Kabel oder ADSL mit einer „französischen Sensibilität“ informiert werden. Geht es nach den Wunschvorstellungen des Außenministeriums, so wird das Sendegebiet innerhalb der kommenden drei Jahre auf Asien, den pazifischen Raum, Nord- und Südamerika erweitert.

All dies soll mit dem relativ „mickrigen“ Budget von etwa 80 Millionen Euro bewältigt werden. Für 2007 hat der französische Staat 86 Millionen jährlich in Aussicht gestellt. Zum Vergleich: BBC World sollen jährlich 230 Millionen Euro, CNN und Al Jazeera rund 200 Millionen Dollar zur Verfügung stehen. Wobei BBC World freilich öffentlich-rechtlicher Natur ist, wenn auch selbstfinanziert durch Werbung und den Verkauf von Programmen, und CNN ausschließlich privat finanziert wird. Al Jazeera wird vom Emir des Katar subventioniert.

„France 24“ stellt in dieser zwischen privat und öffentlich-rechtlich geteilten Fernsehlandschaft eine Art Hybrid dar, ein französisches Experiment sozusagen: Der neue Nachrichtensender wird zu gleichen Teilen vom öffentlichen TV-Anbieter France Télévision und dem privaten Marktführer TF1 gehalten. Eine Konstruktion, die wohl einigen Sprengstoff in sich bergen dürfte. Die ersten Reibungspunkte zwischen den verschiedenen Unternehmenskulturen sind bereits zu Tage getreten. Die Gewerkschaften von „France Télévision“ drohen damit, die Bilder „ihrer“ Reporter dem Nachrichtenkanal nicht zur Verfügung zu stellen, falls diese nicht tunlichst vor einer Ausstrahlung durch „France 24“ informiert werden. Doch des vorhersehbaren Ärgers nicht genug: Da „France 24“ zum größten Teil vom Staat, also dem Steuerzahler finanziert wird, kann es eingefleischten Anhängern des öffentlich-rechtlichen Systems schon ein wenig seltsam anmuten, dass damit auch das private und äußerst gewinnbringende „TF1“ am Subventionskuchen mitnaschen kann. Oben drauf muss der französische Fernsehzuschauer, will er die von ihm bezahlten internationalen Infos überhaut zu Gesicht bekommen, nochmals in die Tasche greifen, um seinen Kabel- oder Satellitenanschluss zu bezahlen. „TF1“ hatte sich gegen eine terristische Ausstrahlung gestemmt, um den eigenen nationalem Nachrichtensender LCI die Konkurrenz zu ersparen.

170 Journalisten 28 verschiedener Nationalitäten, wie der Sender stolz auf die multikulturelle Zusammensetzung seiner Redaktion verweist, sorgen rund um die Uhr für die halbstündige Nachrichtenversorgung und bieten zudem Magazine zu den Themen Kultur, „französische Lebensart“, Sport und Reportagen an. Sie sollen vor allem die Zielgruppe der internationalen „Opinionleaders“ im Visier haben, die von ihrem Businesshotel aus am Laufenden bleiben wollen. Der Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung CNN scheint hier unübersehbar.

Von präsidentschaftlichen Schimären und dem Internet

„France 24“ erblickte das Licht der Weltöffentlichkeit und umgekehrt im Netz. Ebendort ging am 6.Dezember dank Streaming die allererste Nachrichtenausgabe des Infokanals made in France über die mediale Bühne. Erst tags darauf war „France 24“ per Satellit und Kabel verfügbar. Dieser gestaffelte Sendestart war direkt an die „neuen Meinungsführer“, die Blogger, adressiert, die laut dem Direktor für neue Medien Stanislas Leridon im Netz eine „wahrhafte Relaisfunktion“ innehätten. Sie stellten eine „neue Form von Journalismus“ dar. Zur Eröffnungsparty waren namhafte internationale Blogger nach Paris zu einer Sendertour eingeladen worden.

„France 24“ will seinen Internetauftritt als verlängerten Arm der TV-Ausstrahlung begriffen wissen und gar die „Grenzen zwischen Broadcasting und Internet aufheben“. 30 Personen wurden für die Abteilung „neue Medien“ engagiert, 15 davon als „Internetkoordinatoren“. Drei Web TV-Sites, auf französisch versteht sich, englisch und arabisch, bieten als „Weltpremiere“ einen Video-on-demand-Dienst an, mit dem komplementäre Informationen und Reportagen des Senders abgerufen werden können. Die Site will „interaktiv und personalisierbar“ sein, die User sind dazu aufgerufen, sich u.a. per Webcam am „internationalen Austausch“ zu beteiligen. Es gehe darum „mit Debatten, Investigationen und Reportern vor Ort über die Info hinauszugehen“, wie Leridon die Internetambitionen des Senders euphorisch umschreibt. Zudem solle ein „weltweites Netzwerk von Blogger-Korrespondenten“ aufgebaut werden.

Ein Le-Monde-Kommentator zeigt sich da weit weniger euphorisch und sieht „France 24“ als Spielzeug für den 74-jährigen Chirac, der sich verhalte, „wie ein Teenager, der sich auf das neueste iPod stürzt“. Der Nachrichtensender stehe in der Gefahr, nichts weiter als eine „präsidentschaftliche Schimäre“ zu sein, die sich als „Staatsfernsehen“ entpuppen könnte. Auch die Beteiligung des privaten TF1 ist nicht unbedingt Garant für die journalistische Unabhängigkeit des Infokanals, wird doch dessen Hauptaktionär, der Bauunternehmer Martin Bouygues, als dem Präsidenten nahestehend angesehen. Einfach wird es für das neugeborene „France 24“ jedenfalls nicht sein, flügge zu werden. Der Grad der Unabhängigkeit von Einflüssen aller Art wird sich wohl anhand der Berichterstattung zu den französischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2007 ablesen lassen können. Die erste Feuerprobe für „France 24“?