Auf der Suche nach dem neuen Feind alte Fehler machen

Irak: Für die USA ist Muktada as-Sadr der neue alte Sündenbock

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Die Entscheidung des US-Präsidenten darüber, wie es im Irak weitergehen soll, wird Mitte Januar erwartet. Bis dahin wägt er auf seiner texanischen Ranch mit seinen Sicherheitsberatern noch alle Optionen ab. Während damit bei einigen angeblich die Erwartungen steigen, dass der Krieg im Irak vielleicht doch noch zu gewinnen sei, bestätigt die Dezemberstatistik jene, die nicht mehr daran glauben, dass das Chaos im Irak von den USA mit militärischen oder auch bestimmten politischen Mitteln zum Besseren zu wenden wäre.

Ihr besonderes Augenmerk richten diese Kritiker auf eine Strategie, die sich als Trend der letzten Wochen aus der Irak-Berichterstattung in amerikanischen Publikationen herauslesen ließ: die Stilisierung des Schiitenführers Muktada as-Sadr zum Sündenbock für das irakische Schlamassel und die Entfernung des "irakischen Mafia-Dons aus einflussreichen Zonen als neuer Königsweg zum endlich friedlicheren Irak. Dass die militärischen Kräfte vornehmlich für den Einsatz in Bagdad aufgestockt werden soll, wird in diesem Zusammenhang als Teil des Kampfes gegen Muktada gesehen, weil Sadr-City seit einiger Zeit stärker ins Visier genommen wurde.

Der Gedanke hinter dieser „Strategie“: Der Führer der Sadristen ist zum einen verantwortlich für brutale Vergeltungsaktionen von Todesschwadronen, die den Bürgerkrieg anheizen. Zum anderen ist Muqtada ein ausgesprochener Gegner der amerikanischen Militärpräsenz (im Gegensatz zu seinem politischen Rivalen, SCIRI-Chef Al-Hakim) und er hat großen Einfluss auf Regierungschef al-Maliki, der die politische Fraktion der Sadristen zum Regieren braucht; al-Maliki könnte ohne Muktada entschiedener gegen die Milizen, vornehmlich die sadristische al-Mahdi-Miliz vorgehen.

Der Haken daran: Die amerikanische Militärführung hat schon zweimal versucht, die Macht von Muktada und seiner Miliz militärisch zu beenden – ohne Erfolg (vgl. Showdown im "Tal des Friedens"). Zwar gilt Muktada as-Sadrs Herrschaft über die unterschiedlichen, zum Teil autonom agierenden Verbände seiner Miliz als umstritten, aber er ist entgegen der amerikanischen Bemühungen unaufhaltsam zu einer wichtigen politischen Größe im Irak angewachsen, und seine Miliz verfügt trotz früherer Verbotsversuche noch immer über reichlich Waffen und Muktada im Falle eines Angriffs über genug Loyalität.

Auch die Erfolgsaussichten für einen dritten Versuch stehen schlecht, nicht nur militärisch, da sich die große graue Eminenz unter den Schiitenführern Ayatollah Sistani vor wenigen Tagen eindeutig für den Verbleib Muktadas in der Regierung erklärte.

Sistani reagierte auf einen Vorschlag, der in politischen Zirkeln im Irak die Runde machte. Nach diesem Vorschlag, der von den USA ins Spiel gebracht worden sein soll, sollte Premier Maliki eine neue Koalition ohne die Sadristen-Fraktion bilden, eine „Regierung aus moderaten Kräften“, bestehend aus SCIRI, der sunnitischen Iraqi Islamic Party und den beiden kurdischen Parteien KDP und PUK.

Damit, so befürchten kritische Beobachter würden Kräfte erneut unangefochten an wichtige Positionen gelangen, die schon zu Anfang des Krieges von den USA gefördert wurden. Deren Ziel es wäre, sich ein möglichst großes Stück aus dem irakischen Kuchen herauszuschneiden, regionale Macht zu zementieren, unter Absehung von nationalen Interessen im Irak: die Kurden ihre autonomes Kurdistan, SCIRI ein möglichst autonomes Schiastan im Süden - einzig welchen Vorteil die sunnitische IIP daraus zöge, wird nicht recht ersichtlich.

Klar ist dagegen, welche Gegenströmung beim politisch-militärischen Kampf gegen die Sadristen unterbewertet wird: diejenige der national gesinnten Iraker, die sich gegen jegliche Partikularinteressen und Teilungspläne von außen wehren. Damit käme ihnen im Fall eines Angriffs ein größeres Mobilisierungspotenzial von Sympathisanten zu. Nicht zu vergessen ist hier, dass Muktada sich immer wieder von den „iranischen Exilanten“, sprich den Führer von SCIRI und den Badr-Brigaden, deutlich abgegrenzt hat und dagegen immer wieder den irakischen Patriotismus ins Spiel gebracht hat, seine große Anhängerschaft hat er auch diesem Esenntial seiner Politik zu verdanken, seiner dezidierten Absage an politischen Modellen, die einen losen Föderalismus vertreten.

Was in schlecht unterrichteten Kreisen in Washington gerne propagiert wird, die Gleichsetzung von schiitischen Interessen mit iranischen, gilt vielleicht und in bestimmten Punkten stark relativiert für Teile der SCIRI, für die Sadristen gilt es nicht. Sie haben ihre eigene arabische, irakische Agenda.

Eine Gefahr hätten die US-Strategen bei ihrem Kampf gegen Muqtada zwar derzeit nicht mehr zu befürchten: den Zusammenschluss von Sadristen mit sunnitischen Widerständlern. Denn trotz anfänglicher Sympathie wie beim ersten Angriff auf Falludscha, als Muktata den Sunniten politisch und materiell beistand, haben sich hier, durch das brutale Vorgehen von sadristischen Todesschwadronen gegen frühere Baathisten und entsprechende Vergeltungsmaßnahmen der anderen Seite, Gräben aufgetan, die wahrscheinlich erst in vielen Jahren wieder überbrückt werden können.

Aber die Sadristen haben dennoch Mobilisierungspotenziale über ihre Gruppierungen hinaus und militärische Möglichkeiten, die von den Amerikanern bedacht werden müssten: Sie kontrollieren wichtige regionale Stellen im Süden des Landes, u.a. auch jene, die mit der Ölversorgung, die mit Basra verbunden ist, zu tun haben. Sollten sie politisch und militärisch wieder in den Untergrund abgedrängt werden, wäre es möglich, dass sie versuchten, Drohungen, die sie schon früher verlauten ließen, nämlich den Stopp von Öllieferungen aus Basra, wahrzumachen.