Wer länger zur Schule geht, lebt länger

Der "Education-Effect"

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„Quelle vie de luxe!“, was für ein Luxusleben er führe, beschied man einem Bekannten kürzlich in Frankreich, ganz ohne Neid und ironischen Unterton, voller Bewunderung für seine Lebenskunst, sein „savoir vivre“. Andreas studiert Romanistik im 14. Semester, erforscht die barocke Liebeslyrik Portugals und läßt sich den Luxus mittlerweile 500 Euro im Semester kosten. Sein Lebensstil gilt hierzulande gegenwärtig allerdings nicht viel, wie er sagt. Ständig würde er von „selbsternannten Staatsministern für Finanzen und Wirtschaft“ darauf hingewiesen, dass er ein Schädling sei, ein Abzocker, ein Tunichtgut, der der Gemeinschaft nichts zur Verfügung stelle, gleichzeitig aber von deren Leistungen schamlos profitiere. Gut möglich, dass dem gewitzten Mann, dem es an Gegenargumenten ebensowenig mangelt wie an persönlicher Zufriedenheit, durch Forschungen von Gesundheitsökonomen noch eine neue Bestätigung erwächst. In den USA haben Health Economists nämlich eine „überraschende Einsicht“ gewonnen: Die Dauer der Ausbildung - „Education“ - hat einen überaus starken Einfluss auf die Dauer des Lebens. Wer länger zur Schule geht, lebt länger.

Zu diesem Schluss kommen mehrere Forschungsarbeiten, die sich mit Faktoren beschäftigen, welche eine längere Lebensdauer begünstigen. Die New York Times hat verschiedene Gesundheitsökonomen zum „Geheimnis der langen Lebensspanne“ befragt. Dabei hat sich herausgestellt, dass die schulische Ausbildung andere Faktoren wie etwa Reichtum, Rasse, Einkommen oder Krankenversicherung „verblassen läßt“.

Zwar, so zitiert die NYTimes z.B. James Smith, Gesundheitsökonom beim Think Tank RAND Corporation, gelte für die USA, dass Reiche durchschnittlich länger leben als Arme, Weiße länger als Schwarze und Langlebigkeit schichtenspezifisch in der Bevölkerung wie in anderen Ländern auch ungleichmäßig verteilt sei. Aber es gebe eben jenen „sozialen Faktor“, der in jedem Land, wo derartige Untersuchungen angestellt werden, konsistent mit einer längeren Lebensdauer verbunden sei und das sei schulische Ausbildung. Was den größten Unterschied in der Lebensdauer ausmachen könnte, so Smith, sei, junge Leute länger auf der Schulbank zu halten:

Ein paar zusätzliche Schuljahre sind mit ein paar zusätzlichen Lebensjahren verbunden und mit einer deutlich verbesserten Gesundheit Jahrzehnte später, im Alter.

Die Korrelation zwischen Ausbildung und Gesundheit wurde schon vor Jahrzehnten von Ökonomen festgestellt, doch gab es auch Gegenargumente. So die Annahme, die Statistiken, die jenen Untersuchungen zugrunde lagen, hätten nicht beachtet, dass kranke Kinder gar nicht zur Schule gegangen sind oder die Schule abbgebrochen hätten und deswegen nur gesunde Kinder in den entsprechenden Zahlenreihen auftauchen würden: Kinder von reicheren Eltern, die besser ernährt und medizinisch besser versorgt wurden. Was dann eher das andere Argument stützen würde: Dass Wohlstand für ein längeres Leben sorgt.

Das Argument wurde aber mit einer aufwändigen Untersuchung der Wirtschaftswissenschaftlerin Adriana Lleras-Muney widerlegt. Sie verglich Daten zur Lebensdauer der Bevölkerung von verschiedenen amerikanischen Bundesstaaten, welche die Schulpflicht im letzten Jahrhundert verlängerten, mit den entsprechenden Daten vor und nach dem Inkrafttreten des neuen Schulgesetzes. Heraus kam, dass sich die Lebenserwartung im Alter von 35 Jahren um durchschnittlich anderthalb Jahre erhöhte, „einfach dadurch dass die Schulpflicht um ein Jahr verlängert wurde“. Schwedische, dänische und englische Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Schulpflicht und Gesundheit sollen dieses Ergebnis bestätigt haben.

Den „Education-Effekt“ erklären sich die Wissenschaftler mit der Befähigung zur Vorausicht und der Fähigkeit, Belohnungen aufschieben zu können: Als Gruppe würden schlechter ausgebildete Personen weniger dazu fähig sein, für die Zukunft zu planen und Gratifikationen für ihre Handlungen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Der für die Gesundheit schlechteste aller Sinnsprüche sei entsprechend jener bekannte Spruch, der besage, dass man nur für den Moment, für das Heute lebe.

Für rauchende Langzeit-Schüler bzw. -Studenten haben die Gesundheitsökonomen allerdings keine guten Nachrichten. Den schädlichen Effekt, den Zigaretten auf die Lebenserwartung haben, können zusätzliche Lehr-und Studienjahre nicht kompensieren. Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit von Rauchern, dass sie früher sterben, mindestens zweimal so hoch wie bei Nichtrauchern.