OECD schaltet sich in britischen Korruptionsskandal ein

Die britische Regierung will im Korruptionsfall der Rüstungsfirma BAE lieber nicht genau Bescheid wissen

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„Ich übernehme dafür die volle Verantwortung“, sagte Tony Blair, nachdem am 14. Dezember 2006 die britische Regierung das Amt für Korruptionsbekämpfung, das Serious Fraud Office (SFO), anwies, die Ermittlungen in einem Korruptionsfall einzustellen. Drei Jahre lang hatte das SFO versucht herauszufinden, ob der britische Rüstungskonzern British Aerospace (BAE), einer der weltweit größten Waffenproduzenten, saudiarabische Beamte bestochen hat, um den Zuschlag für die Lieferung von Kampfflugzeugen zu erhalten. Bei dem Auftrag ging es um rund 60 Milliarden Euro, angeblich stünden über 10.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Dabei waren die Ermittler so erfolgreich, dass kaum noch etwas einem Strafverfahren entgegen stand, aber BAE begann offenbar, Druck auf die Regierung auszuüben. Den Ausschlag gaben aber nicht die Lobbyisten, sondern die saudische Königsfamilie, die sogar drohte, das Land werde die diplomatischen Beziehungen mit Großbritannien beenden, wenn weiter ermittelt würde.

Angeblich hat BAE den extravaganten Lebensstil von Mitgliedern des saudischen Königshauses finanziert. Mit Geschenken wie Luxusurlaube, Prostituierte und sogar ein vergoldeter Rolls Royce habe sich der britische Konzern die königliche Familie geneigt gemacht. Das so genannte Al Yamamah-Geschäft betrifft den größten Waffenhandel in der Geschichte des Konzerns. BAE verkauft unter anderem Tornados an Saudi-Arabien. Zwei BAE-Angestellte stehen im Verdacht, die Bestechung organisiert zu haben; beide bestreiten die Vorwürfe. Entsprechende Gerüchte gibt es bereits seit 1986. Im September 2006 wurde bekannt, dass die Ermittler versuchten, Informationen über Schweizer Bankkonten der Saudis zu erhalten. Im November drohten die Saudis, den Vertrag über die Lieferung von 72 Eurofighter Marke Typhoon zu stornieren. Im Dezember erklärte schließlich Lord Goldsmith, der oberste Staatsanwalt, das Verfahren für beendet.

Regierungspolitiker wie Tony Blair begründeten diese Entscheidung, es seien nicht nur zahlreiche Arbeitsplätze in Großbritannien gefährdet, sondern auch ein wichtiger Verbündeter im „Kampf gegen den Terror“ stünde auf dem Spiel. Das Königreich habe unter anderem gedroht, die Zusammenarbeit mit dem britischen Geheimdienst gegen Al-Qaida und den politischen Islam insgesamt zu beenden.

Die Öffentlichkeit war empört. Die Bürgerrechtsvereinigung Campaign Against Arms Trade (CAAT) zeigte sogar die Regierung an, weil die Entscheidung internationalen Anti-Korruptionsabkommen widerspräche, beispielsweise der OECD-Konvention gegen Bestechung ausländischer Regierungsbeamter. In deren Artikel 5 heißt es ausdrücklich, in solchen Fällen dürften die Verfahren „nicht von Überlegungen über das nationale ökonomische Interesse“ oder „die möglichen Auswirkungen auf die Beziehungen zu den beteiligten anderen Staaten, natürlichen oder juristischen Personen beeinflusst werden“. Eben das hatte Premierminister Blair ausdrücklich getan, obwohl Großbritannien diese Konvention ratifiziert hat. Nicht nur das: Für CAAT ist der Vorgang auch ein beispielloser Eingriff in die Gewaltenteilung, weil schließlich die Regierung ausdrücklich in die Arbeit der Strafverfolger eingegriffen habe.

Dennoch versandete das Thema über den Jahreswechsel, aber nun hat die Rechtsauffassung von CAAT prominente und wesentlich einflussreichere Unterstützer gefunden. Mark Pieth, Präsident der OECD-Arbeitsgruppe gegen Korruption, fordert, den Fall weiterzuverfolgen. Für Großbritannien, das sich in dem Gremium gerne als Vorreiter für finanzielle Transparenz präsentiert, ist das mehr als nur peinlich. Die Arbeitsgruppe der OECD hat eine Erklärung verlangt, warum die Sache nicht weiterverfolgt wird. Auf einer Sitzung in Paris zwischen dem 16. und 18. Januar erwarte man eine Erklärung – „und sie ist hoffentlich gut“, so Pieth. Auch ein Sprecher der Organisation Transparency Internationa (TI) befürwortete gegenüber Telepolis die Wiederaufnahme der Ermittlungen.

Dabei ist nicht einmal ganz klar, wer eigentlich für die Einstellung des Verfahrens die Verantwortung trägt. Mark Pieth: „Blair sagte ja lediglich, er habe eine Empfehlung ausgesprochen.“ Auch Staatsanwalt Lord Goldsmith sagte der Presse im Dezember, das Serious Fraud Office habe die Entscheidung von sich aus getroffen – eine Behauptung, der dessen Direktor Robert Wardle öffentlich, wenn auch reichlich rätselhaft, widersprach. Der Fall sei nicht wegen fehlender Indizien eingestellt worden, sondern wegen „Schilderungen sowohl gegenüber dem Attorney General (i.e. Goldsmith, MB) und dem Direktor des SFO über die Gefahr für die nationale und internationale Sicherheit“. Ein formales Verfahren zur „Reevaluation Großbritanniens“ durch die OECD würde Licht ins Dunkle bringen, sagte Pieth gegenüber Telepolis. Dann hätte die Arbeitsgruppe „Zugang zu den Akten der Staatanwaltschaften und der Polizei“.