Geothermie-Experten auch vom zweiten Beben überrascht

Die Befürworter der Geothermie wollen "nüchternen Blick auf die Physik" statt Panikmache - das wollen auch die Befürworter der Atomkraft

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Am letzten Samstag bebte die Erde wieder in Kleinbasel. Nach einem wohl durch ein Geothermie-Projekt verursachtes/ausgelöstes (siehe unten für diese Unterscheidung) Beben der Stärke 3,4 vier Wochen zuvor (Menschengemachtes Erdbeben bei Basel) betrug das neue Beben am 6.1.2007 lediglich 3,1. Überraschend war wohl weniger die Stärke (3,1 ist kaum spürbar), sondern das späte Eintreffen des Bebens, denn die Injektion des Wassers in die Erde war bereits wenige Tage nach dem ersten Beben gestoppt worden. Der Wasserdruck hatte sich tags darauf wieder normalisiert. Kommt die Erde unter Basel nun zur Ruhe?

Der Blick auf Kleinbasel über den Rhein von der Basler Innenstadt aus. Auf beiden Seiten des Rheins ist Basel ein sehenswürdiges Kleinod - weniger Einwohner als Freiburg, aber mit mehr historischer Bausubstanz. Das Geothermie-Projekt befindet sich am Stadtrand rechts im Bild; der Hügel im Hintergrund ist bereits deutscher Boden. Seit dem Erdbeben vor rund 650 Jahren ist die Stadt nie zerstört worden. Da sind die Badner nur neidisch, wenn sie sagen, das Beste an Basel ist dieser Blick nach Deutschland. Foto: Craig Morris

Letzten Freitag legte die Geopower AG, die das Projekt verantwortet, den Behörden den Bericht vor, der die Lage klären soll. Doch bereits am nächsten Morgen machte das zweite Beben den Bericht wohl revidierungsbedürftig. Erst nach Überprüfung durch die Regierung und deren Experten wird der Inhalt bekannt gegeben. Ende Januar will die Basler Regierung entscheiden, ob das Projekt weitergeführt oder eingestellt wird.

Das zweite Beben vom Wochenende ereignete sich 5 Kilometer unter der bereits 5 Kilometer abgeteuften Bohrstelle, also in einer Tiefe von rund 10 Kilometern. Indessen tobt der Streit weiter, ob die Geothermie das Beben hervorrief oder nicht. Für viele Bewohner der Region ist es ein klarer Fall, doch die Befürworter der Geothermie mahnen zur Vorsicht vor voreiligen Schlüssen.

So z.B. die deutsche Geothermische Vereinigung (GV), die bereits beim ersten Beben der Meinung war, das leichte Beben habe den unterirdischen Druck vermindert und somit ein noch größeres Beben unwahrscheinlicher gemacht. Auf Nachfrage von Telepolis, ob es nach dem zweiten Beben bei dieser Darstellung bleibt, wies die GV weist darauf hin, dass kleine Erdbeben auch andernorts künstlich verursacht werden, um größere Beben zu verhindern:

In Basel sind nun glücklicherweise nach dem Erdstoß vom 8.12.2006 weitere aufgetreten, zuletzt am 6.1.2007. Mit jedem dieser Kleinbeben, die ja zu keinerlei Schäden führen, wird der aktiven spannungsgeladen Kluft im Untergrund Energie entzogen, die dann für ein größeres natürliches Beben nicht mehr zur Verfügung steht. Je mehr dieser kleinen Erdstöße nun noch auftreten, umso mehr wird das Risiko eines wirklichen Schadenbebens gemindert. Also: Je mehr Nachbeben, umso besser für Basel.

Die taz blies ins gleiche Horn:

Das Beben wurde durch die Arbeiten nur ausgelöst. Verursacher sind und bleiben tektonische Spannungen, die sich im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten aufgebaut haben. Hätten die Arbeiten der Geothermiker nicht für eine Entspannung im Untergrund gesorgt, dann hätten sich die Kräfte im Urgestein weiter aufbauen können - und eines Tages womöglich ein weitaus größeres Erdbeben hervorgerufen.

Außerdem weist die GV darauf hin, dass das Beben der (geschätzten) Stärke 6,5, das die Stadt im 14 Jahrhundert zerstörte, 27.000 mal mehr Energie freisetzte.

Bohrturm des Geothermie-Projekts. Foto: GeoPower

Nicht alle Experten sehen das genauso. So sagte Stephan Riepe, Energiesprecher der Grünen im rund 65 km entfernten Freiburg (wo das Beben gar nicht zu spüren war):

Die Freiburger Grünen wollen, dass die Geothermie in Zukunft eine entscheidende Rolle zur Energieversorgung beiträgt. Das darf nicht durch Ignorieren der vorhandener Probleme oder mangelnde Information der Bevölkerung gefährdet werden. Die Freiburger Grünen erwarten, dass transparent und belastbar geklärt wird, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Bebens ist. Auch muss ausgeschlossen werden können, dass es zu stärkeren Beben kommen kann.

Die nüchterne Lekture der "Physiker"

Bisher hat es ja geheißen, von der Geothermie drohe keine Gefahr, etwaige Erschütterungen wären nicht spürbar. So meinte 2003 das Technikfolgenabschätzungsbüro des Bundestages (TAB), die Gefahr eines durch die Geothermie hervorgerufenen Erdbebens sei gering. (Reinhard Grünwald, Mitautor des TAB-Berichts, wollte die Ereignisse in Basel auf Anfrage jedoch nicht kommentieren, weil das TAB keine Stellungnahmen zu aktuellen Ereignissen abgibt).

Der Schaden ist verschwindend gering (zwei verschreckte Kühe sind offenbar entlaufen und eine Wanduhr heruntergefallen), aber die Menschen sind beunruhigt - zu Recht, denn niemand hat sie über diese Gefahr informiert. Die Experten reagieren zum Teil mit Herablassung. So stellte die GV nach dem ersten Beben neben einem informativen PDF zur induzierten Seismizität (weltweit ruft man kleine Beben hervor, um größere zu verhindern) auch die Stellungnahme eines Geologen ins Netz, der versichert:

Das medienwirksame Spiel mit der Angst hat aus der Perspektive der Seismologen mit der Realität wenig zu tun.

Im Klartext: Die Experten reagieren zum Teil empfindlich, weil sie sich verschätzt haben, als sie die Bevölkerung nicht über die Gefahr eines spürbaren Erdbebens informierten - man wollte die Leute ja nicht unnötig erschrecken. Wenn die Medien nun darüber berichten, sei dies nur Panikmache. Als einer, der fast jede Nacht rund 15 Meter Luftlinie von einer Eisenbahnstrecke entfernt schläft und sich nicht beklagen kann, fand ich deshalb folgenden Vergleich vom GV-Experten erhellend:

Menschen, die in der Nähe von Eisenbahngleisen wohnen, erleben vergleichbare Erschütterungen im Minutentakt, ohne hierdurch beunruhigt zu werden.

Die Atomenergiebefürworter sagen ja auch, dass man mehr Radioaktivität vom Verzehr einer Banane als von einem Endlager abbekommen würde (Den Teufel mit Beelzebub austreiben). Möchten Sie also lieber eine Banane essen oder neben einem Endlager wohnen? Aber dann treibt es der GV-Experte noch weiter, indem er den Satz sagt, der jedem Atomenergie-Befürworter einmal über die Lippe gehen muss:

An dieser Stelle hilft ein nüchterner Blick auf die Physik.

An dieser Stelle, wirft der Geisteswissenschaftler ein, hilft die Lektüre von Dürrenmatts "Die Physiker". Die Menschen kennen sich nicht aus und müssen den Experten trauen, aber wenn diese falsch liegen, haben die Menschen ein Recht darauf, besorgt und skeptisch zu sein. Die GV mag nun argumentieren, diese "kleinen Beben" hätten ein größeres verhindert, wissen tut sie es nicht.

Zugegeben: Man kann auch nicht beweisen, dass die GV falsch liegt, aber den Klimawandel kann man auch nicht beweisen (Nach Dresden die Sintflut?). Bedienen sich nun die Befürworter der erneuerbaren Energie der gleichen Rhetorik wie die Klimawandelkritiker in den USA und die Atomlobby überall, wenn was schief geht?

Der erste Schritt nach Basel müsste sein: Zugeben, dass man sich geirrt hat - die Gefahr wurde nicht richtig eingeschätzt. Die am Projekt Beteiligten haben dies schon getan. Schließlich garantiert niemand, dass kein Beben der Stärke 5 im Februar eintritt. Der zweite Schritt erfolgt dann, wenn die Experten sich über die Ursache einig sind - hoffentlich Ende Januar. Wie wird die weitere Gefahr eingeschätzt? Das müssen die Experten uns dann in einer Sprache erklären, die alle verstehen - ohne Zerknirschtheit (was den Experten sowieso nicht einfallen würde), aber auch ohne Herablassung. Die "nüchterne Physik" interessiert dabei nicht die Bohne. Entscheiden muss die Gesellschaft, ob sie das Restrisiko eingehen will. Wie bei allen Energieentscheidungen, ist dies eine politische.

Zunächst sieht es aber so aus, als wäre nichts Schlimmes passiert. Vermutlich wurde sogar ein größeres Beben verhindert. Wir wollen es hoffen, nicht nur weil die Geothermie eine vielversprechende Energiequelle ist, sondern weil die meisten von uns die Lage in Basel selbst nicht einschätzen können. So schrieb eine Nachrichtenseite, als die Freiburger und Basler Erdbebendienste zwei unterschiedliche Messungen für das Beben am 6.1.07 veröffentlichten: "Weiß Gott, wie die verschiedenen Messungen zustande kommen. Wir können da nichts nachprüfen."