Multi-dimensionale Bedrohung

USA-Iran: Militärschlag vor April?

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Aufbau einer militärischen Drohkulisse, markige Worte, Geheimdienstenthüllungen, aber keine deutlichen Beweise, die der Öffentlichkeit vorgelegt werden können, Tag für Tag wiederholte Anschuldigungen und diplomatische Exkursionen zu Verbündeten: der kalte Krieg zwischen den USA und Iran wird gegenwärtig täglich durch neue „hot news“ aufgeheizt: Eine raffinierte neue Kommunikationsstrategie des Weißen Hauses, die vom selbst angerichteten Desaster im Irak ablenken soll? Oder doch die Vorbereitung zu militärischen Aktionen?

Gestern sprach der neue amerikanische Verteidigungsminister Gates vor Reportern im NATO-Hauptquartier in Brüssel aus, was als gängiges geostrategisches Fazit des Irak-Schlamassels in Kommentaren und Expertenrunden schon seit längerer Zeit herumgereicht wird: Iran sei der festen Auffassung, dass die Kräfte der Amerikaner im Irak gebunden seien, weswegen sie jetzt Oberwasser hätten, eine Position, aus der heraus sie auf die USA auf vielerlei Art Druck ausüben könnten.

Das könnte man zwar auch andersrum sehen, dass Druck zur Zeit nämlich eher von Vertretern der USA gemacht wird, aber wenn man die Lesart von Robert Gates annimmt, ist es durchaus logisch, der aufstrebenden, selbstbewußten Regionalmacht zu demonstrieren, dass die Supermacht noch einiges in petto hält: So führt der neue Verteidigungsminister Irans „Wahrnehmung der Verwundbarkeit der USA“ als eine Begründung an, weshalb man sich im Pentagon letzte Woche dafür entschieden habe, einen zweite Flugzeugträger-Kampfeinheit und ein Patriot-Raketenabwehrbattalion in die Golf-Region zu schicken. Einer deutschen Nachrichtenquelle zufolge werden diese Maßnahmen mit zusätzlichen sechzehn F-16-Flugzeugen, die auf der Militärbasis in Incirlik, Türkei, stationiert wurden, flankiert.

Auf der Basis dieser miltärischen Mobilisierung, die auch als Einschüchterungsgeste verstanden werden kann, nährt sich die bislang brisanteste Spekulation, die gestern bekannt wurde: Nach Informationen des Chefredakteurs der Arab Times, der seine Quellen natürlich nicht preisgibt, soll Washington vor kommenden April einen Militärschlag gegen Iran lancieren, vom persischen Golf aus, Patriot-Raketen sollen die ölproduziernden Länder in der Region dabei schützen.

Nach Angaben der anonymen, freilich aber „verlässlichen“ Quelle sollen Vizepräsident Dick Cheney, Verteidigungsminister Robert Gates und Außenministerin Condoleezza Rice den Plan in „allen Einzelheiten“ mit dem amerikanischen Präsidenten besprochen haben. Veröffentlicht wurde das Gerücht aus Kuweit-City u.a. in der Online-Ausgabe der pakistanischen Zeitung Daily Times und auf der kanadischen Webseite Global Research.

Behält man die Worte des US-Verteidigungsministers Gates im Sinn dürfte das Gerücht der amerikanischen Regierung nicht unwillkommen sein, spricht es doch für das militärische Potential der USA und die Ernsthaftigkeit der Drohgebärden, die sich hinter den Anschuldigungen verbergen, wonach Iran der große Destabilisierungsfaktor im Irak ist. Als prononciertester Verfechter dieser markigen Linie tut sich wieder einmal Vize-Präsident Cheney hervor:

Ich bin davon überzeugt, dass es ziemlich bekannt ist, dass Iran in unruhigen Gewässern fischt („troubled waters“), wenn Sie so wollen, im Irak nämlich. Die Bedrohung, die Iran darstellt, ist multi-dimensional und ist tatsächlich, für jeden in der Region von Belang.

So viele rethorische Einschübe - „ich bin überzeugt“, „wenn Sie so wollen“, „tatsächlich (in fact)“ - verlangen nach Beweisen. Doch so sehr man von ihnen spricht, so sind es doch nur Indizien und Rückschlüsse, die auf massive iranische Einmischung im Irak hinweisen, die der Öffentlichkeit bislang vorgestellt werden. Im Zusammenhang mit den vorgebrachten Anklagen, die Iran eine regionalen Bedrohung unterstellen, das Land der militärische Unterstützung schiitischer Militanter, die auf iranischen Boden ausgebildet und ausgerüstet werden, um US-Soldaten und verbündete irakische Sicherheitskräfte zu töten, zeihen, ist die Beweislage noch dürftig.

Darüber täuschen auch wiederholt zitierte Aussagen von amerikanischen oder englischen Soldaten nicht hinweg. Einige Skepsis regt sich dabei auch angesichts der Gefangennahme von iranischen Staatsangehörigen, die genau mit diesen Vorwürfen begründet wurde.

Schon zu Weihnachten waren vier iranische Staatsangehörige, darunter zwei Diplomaten, von US-Truppen im Irak verhaftet worden, am Tag nach der Rede von Präsident Bush weitere fünf (vgl. Nadelstiche mit blindem Auge), dazu sollen Computer und Aufzeichnungen im iranischen Konsulat beschlagnahmt worden sein: Wenn die Verdachtsmomente gegen diese Personen begründet waren, müssten die USA nicht großes Interesse daran haben, deutliche Beweise für deren „destabilisierendes Wirken“ im Irak auch der Öffentlichkeit vorzulegen?

Auch in der neuesten Enthüllung aus irakischem Geheimdienstmaterial ist die Rede von allerhand Beweisen, die allerdings nur angedeutet werden. Ans Licht der Öffentlichkeit bringt sie heute der britische Telegraph. Nach dessen Informationen bereiten iranische Geheimdienste bereiten eine völlige Dominanz des irakischen Südens vor, sobald die britischen Truppen abgezogen sind; die Sicherheitskräfte und die politischen Parteien in Basra sollen „unterwandert“ werden. Iran spekuliert nach diesen Informationen auf große Ausbeute durch die Ölfelder im Süden; man will westliche Konzerne davon abhalten, in Basra Fuß zu fassen.

Der Schlüsselmoment werde kommen, wenn die Zuständigkeit für Basra an die irakische Regierung übergeben wird und lokale Politiker übernehmen, heißt es: Zu diesem Zeitpunkt würde ein Showdown zwischen der irakischen Armee und Milizen, die von Iran unterstützt werden, befürchtet. Wie aber dieser Showdown zwischen Sicherheitskräften, die ja angeblich von schiitischen Milizen unterwandert sind, und rivalisierenden schiitischen Milizen, den Badr-Brigaden und der sadristischen Al-Mahdi-Miliz, die angeblich beide von Iran unterstützt werden, dann aussehen wird, wird sich zeigen. Feststeht, dass die Gleichung Irak kompliziert bleibt. Und Iran wohl nicht die einzige fremde Macht im Irak ist, die multi-dimensional Druck ausüben kann.