Lernen mit Opus Dei

Mitglieder der umstrittenen "Seelsorgeeinrichtung" wollen in Potsdam ein Jungengymnasium gründen

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Als die Verfilmung von Dan Browns Bestseller „Sakrileg“ im Mai 2006 in die deutschen Kinos kam, sah sich der Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky veranlasst, nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass „die Vermischung von Fiktion und von Fakten“ insofern brisant sei, als sie den Leser oder Zuschauer zwinge, „selber zwischen Phantasie und Sachverhalten“ zu unterscheiden. Ein solches Differenzierungsvermögen setze allerdings ein „Mindestmaß an Wissen voraus“, das in diesem Fall weder hinsichtlich der biblischen Bezugspunkte noch mit Blick auf die Organisation „Opus Dei“ angenommen werden könne.

Wer „Sakrileg“ liest oder sich den Film anschaut, sollte wissen, wer die Maria Magdalena der Bibel war, um sie nicht zu verwechseln mit der Romanfigur, die Dan Brown in künstlerischer Phantasie erfunden hat. Der Leser sollte sich ebenso informieren über das „Opus Dei“; darüber, was diese geistliche Gemeinschaft zum Beispiel in Berlin tut. Er müsste es auch tun. Das zumindest wäre fair.

Georg Kardinal Sterzinsky

Kein Raum für Indiskretionen

Ob es dieser Nahaufnahme bedarf, um Browns wilde, mit Mord und Mystik gewürzten Verschwörungstheorien zum überwiegenden Teil für reine Fiktion zu halten, sei einmal dahingestellt. Entscheidender ist die Frage, wie und wo sich der vielzitierte „Normalbürger“ über die Prälatur vom Heiligen Kreuz und Opus Dei – so der vollständige Name – möglichst objektiv informieren kann. Die Organisation, die 1928 von dem mittlerweile heilig gesprochenen Priester Josefmaria Escrivá in Madrid gegründet und 1982 durch Papst Johannes Paul II. als „Personalprälatur“ institutionalisiert wurde, pflegt nicht gerade eine transparente Öffentlichkeitsarbeit. Sie selbst sieht das freilich anders und führt die vielen offenen Fragen auf das Desinteresse eben dieser Öffentlichkeit oder gezielte Fehlinformationen zurück.

Benedikt XVI. empfängt den derzeitigen Opus Dei-Prälaten Bischof Javier Echevarría im April 2006. Bild: Opus Dei

Ohne Not gibt es allerdings keine Auskünfte über die Beteiligung am faschistischen Franco-Regime, dessen Kabinett zeitweise zur Hälfte aus Opus Dei-Mitgliedern bestanden haben soll. Gleiches gilt für die mutmaßliche Unterstützung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet. Kaum jemand erfährt Genaueres über den vermeintlich sektenartigen Zuschnitt des Gesamtunternehmens, die Unterwanderung von Universitäten, Schulen und Medienanstalten, den märchenhaften Reichtum der um wohlhabende und einflussreiche Mitglieder bemühten Organisation oder die Gerüchte über strenge Askeseübungen bis hin zur regelmäßigen Selbstgeißelung. Hartnäckig hält sich die oft kolportierte Geschichte einer Weiterführung des von der katholischen Kirche 1966 offiziell abgeschafften „Index Librorum Prohibitorum“. In das Verzeichnis missliebiger Bücher wurden einst Werke von Honoré de Balzac, René Descartes, Alexandre Dumas (Vater und Sohn), Heinrich Heine, Immanuel Kant oder Voltaire aufgenommen.

Zu all diesen und vielen anderen Fragen nimmt das „Werk Gottes“, das sich selbst bescheiden als „Seelsorgeeinrichtung der katholischen Kirche“ bezeichnet, strikt ablehnend, gar nicht oder nur bedingt Stellung. So folgen die weltweit rund 85.000 Mitglieder, die sich aus ehelosen, oft mit Führungsfunktionen betrauten „Numerariern“ und der zahlenmäßig deutlich überlegenen Laiengruppe der „Supernumerarier“ zusammensetzen, noch immer einer Anweisung ihres Gründervaters.

Wenn du nicht schweigen lernst, so ist jedes Wort ein Schritt, der dich der Ausgangstür der apostolischen Unternehmung, in der du arbeitest, näherbringt. (...) Es gibt viele Leute, auch heilige, die deinen Weg nicht begreifen. - Mühe dich nicht damit ab, ihn ihnen begreiflich zu machen. Du verlierst nur Zeit und gibst Raum für Indiskretionen.

Josefmaria Escrivá

Unter diesen Umständen verwundert es kaum, dass es zunächst der Elterninitiative Freie Schulen Brandenburg e.V. vorbehalten war, die Öffentlichkeit über ein Projekt zu informieren, welches das Prädikat „brisant“ möglicherweise eher verdient als ein erfolgreicher, aber schnell wieder vergessener Thriller aus dem Hause Brown. Nach Auskunft von Christoph Rüssel, Vorsitzender der Elterninitiative und bekennendes Opus Dei-Mitglied, ist zum Beginn des neuen Schuljahrs die Gründung eines zweizügigen Jungengymnasiums für 300 Schüler geplant, das in der Potsdamer Ruinenberg-Kaserne im Bornstedter Feld eingerichtet werden soll. Die Personalprälatur hat die Meldung mittlerweile bestätigt und damit wenigstens zum halboffiziellen Vorhaben erklärt.

Seit Mitte der 90er Jahre wird im Bornstedter Feld an einer zivilen Umfunktionierung des ehemaligen Militärgeländes gearbeitet. Bis spätestens 2015 soll ein neuer Stadtteil für etwa 15.000 Einwohner mit rund 7.000 Wohnungen in Eigenheimen oder Mehrfamilienhäusern entstanden sein. In dieser bevorzugten Lage will sich nun also das bundesweit erste Jungengymnasium des Schulträgers Fördergemeinschaft für Schulen in freier Trägerschaft, in dem Mitglieder des Opus Dei mit anderen zusammenwirken, um die Ausbildung des männlichen Nachwuchses bemühen. Vor vier Jahren hatte es bereits eine Voranfrage gegeben, doch damals stoppte das brandenburgische Bildungsministerium den Vorstoß mit dem Hinweis auf das Gebot der Koedukation von Mädchen und Jungen, das eine entsprechende Genehmigung praktisch unmöglich mache.

Mit christlichen Werten gegen das Qualitäts- und Sinnvakuum

Rechtlich steht diese Einschätzung auf tönernen Füßen, denn das im Jahr 2006 novellierte Schulgesetz, in dem der Satz „Schülerinnen und Schüler sollen in der Regel gemeinsam erzogen und unterrichtet werden“ gegen die Formulierung „Schülerinnen und Schüler werden gemeinsam erzogen und unterrichtet“ ausgetauscht wurde, verlangt zwar ausdrücklich eine Gleichwertigkeit, aber offenbar keine Gleichartigkeit des Unterrichts. Zudem bezieht sich der zitierte Passus nur auf die öffentlichen Schulen, während den Schulen in freier Trägerschaft durch Paragraph 117 weitgehende Befugnisse eingeräumt werden.

Schulen in freier Trägerschaft wirken neben Schulen in öffentlicher Trägerschaft daran mit, die Vielfalt der Bildungsgänge zu gewährleisten. Den freien Trägern obliegt die Schulgestaltung. Dabei entscheiden sie insbesondere über die Inhalte, die Methoden, die Organisation von Unterricht und Erziehung und die pädagogische, religiöse oder weltanschauliche Ausrichtung, soweit durch dieses Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes nichts anderes bestimmt ist.

Brandenburgisches Schulgesetz

Auf Nachfrage von Telepolis weist Christoph Rüssel darauf hin, dass keineswegs geplant sei, den gesamten Lehrkörper mit Opus Dei-Mitgliedern zu besetzen. Man wolle sich vielmehr strikt an den Lehrplänen des Landes Brandenburg und des Erzbistums Berlin orientieren und überdies evangelischen Religionsunterricht anbieten, der dann auch von evangelischen Theologen erteilt werde.

Dass die Schul-Realität nichts mit der negativen Presse zu tun habe, könne jeder Kritiker am Beispiel des Mädchengymnasiums in Jülich überprüfen. Hier seien Anhänger von Opus Dei seit geraumer Zeit Mitglieder des Trägervereins. Das Ziel dieser Aktivitäten besteht laut Rüssel vorwiegend darin, das „Qualitäts- und Sinnvakuum“ im deutschen Schulsystem durch christlich fundierte Wertvorstellungen zu füllen. Die Trennung der Geschlechter begründet er mit unterschiedlichen Entwicklungsschritten, die eine besondere Förderung der Jungen notwendig machten.

In einem bestimmten Alter sind die Mädchen in ihrer Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten, während die Jungen sich oft als Spätzünder erweisen. Dem trägt unser Konzept, zu dem es auch ernstzunehmende wissenschaftliche Studien gibt, Rechnung. Wir halten die Forderung des brandenburgischen Bildungsministeriums nach einem koedukativen Unterricht für nicht verfassungsgemäß – abgesehen davon, dass es über 100 getrennte Mädchen – und Jungenschulen in Deutschland gibt.

Christoph Rüssel

Sollte sich das Ministerium, dessen Entscheidung für März erwartet wird, dieser Sicht der Dinge nicht anschließen, will die Elterninitiative juristische Schritte einleiten und zunächst eine einstweilige Verfügung beantragen. Die Sozialdemokraten haben vor Ort derweil ein anderes Mittel ersonnen, um die Pläne der Elterninitiative zu durchkreuzen. Sie wollen in der Stadtverordnetenversammlung einen Antrag durchsetzen, welcher der Bauholding „Pro Potsdam“ en Verkauf des Geländes verbieten soll. Allerdings scheint auch diese Initiative nicht dazu angetan zu sein, die Schulgründer dauerhaft aufzuhalten. „Sollte uns der Kauf dieses Objektes tatsächlich verboten werden, dann suchen wir eben ein anderes“, sagt Christoph Rüssel.

HL. Josefmaria Escriva de Balaguer (1972). Bild : Opus Dei

„Gehorchen – sicherer Weg“

Dass Opus Dei im deutschen Schulsystem keine Revolution anzetteln, sondern sich so buchstabengetreu wie eben nötig an die tangierten Gesetzesbestimmungen halten wird, duldet kaum einen Zweifel. Selbiges gilt freilich auch für die ultrakonservative, strikt autoritäre Grundausrichtung der Organisation, die durch den wortgewaltigen Einsatz ihrer Anhänger und Sympathisanten – man denke etwa an den früheren Direktor des vatikanischen Presseamtes, Joaquín Navarro-Valls, oder an den Kölner Erzbischof Kardinal Meisner, der Opus Dei-Mitglied Stephan Georg Schmidt gerade zum neuen Pressesprecher und Chefredakteur der Kölner Kirchenzeitung ernannt hat - ebenso belegt ist wie durch die Schriften ihres Gründers.

Wer die von Opus Dei verlinkte Internetseite aufblättert, kann das Welt- und Menschenbild des Josefmaria Escrivá genauer studieren und leicht selbst beurteilen, inwieweit die Vorstellungen des Mannes, den Papst Johannes Paul II. als „Heiligen des Alltäglichen“ verehrte, mit den Grundsätzen einer modernen Pädagogik übereinstimmen. Die Eingabe des Suchbegriffs „Gehorsam“ fördert jedenfalls gleich 20 Fundstellen in Escrivas Schrift „Die Spur des Sämanns“ und weitere 12 in „Im Feuer der Schmiede“ zutage. „Christus begegnen“ beschäftigt sich fünfmal mit der Thematik, „Freunde Gottes“ immerhin dreimal, und in den „Gesprächen mit Msgr. Escrivá de Balaguer“ geht es ebenfalls dreimal um die angemessene Subordination. Einsamer Spitzenreiter ist hier allerdings Escrivás Hauptwerk „Der Weg“, das 1934 unter dem Titel „Consideraciones Espirituales“ erschien und bis heute in 4.500.000 Exemplaren und 43 Sprachen verbreitet worden sein soll. Darin heißt es unter anderem:

Wer bist du, daß du über die Entscheidungen deines Vorgesetzten urteilst? - Siehst du nicht, daß ihm mehr Gesichtspunkte für sein Urteil zur Verfügung stehen als dir, mehr Erfahrung, bessere, einsichtigere und vorurteilslosere Ratgeber, vor allem aber mehr Gnade, spezielle Gnade, Standesgnade, welche Licht und mächtigen Beistand Gottes bedeutet? (...)
Gehorchen..., sicherer Weg. Den Vorgesetzten mit rückhaltlosem Vertrauen gehorchen..., Weg der Heiligkeit. Gehorchen in deinem Apostolat..., der einzige Weg; denn in einem Werk Gottes muß dies der Geist sein: daß man gehorcht oder geht. (...)
Gehorcht, wie ein Werkzeug in der Hand des Künstlers gehorcht, das nicht danach fragt, warum es dies oder jenes tut. Seid überzeugt, daß man euch nie etwas auftragen wird, das nicht gut ist und nicht zur Ehre Gottes gereicht.

Josefmaria Escrivá

Glaubensfeuer statt Diskussionen

Die Reihe der Beispiele lässt sich fortsetzen. Körperfeindlichkeit, Elitebewusstsein und Missionseifer wechseln mit radikalen Machtansprüchen, die immer wieder blinde Unterwerfung fordern. Einfache Lösungen für komplexe Probleme - eine Auswahl:

Wenn du dich nicht abtötest, wirst du nie ein Mensch des Gebetes. (...)
Wenn du begriffen hast, daß der Leib dein Feind und Feind der Verherrlichung Gottes ist, weil er deine Heiligung bedroht, warum faßt Du ihn dann so weich an? (...)
Dutzendmensch werden? Du ... zum großen Haufen gehören, der du zur Führung geboren bist?! Bei uns haben Laue keinen Platz. (...)
Die Welt hallt noch wider von dem göttlichen Ruf: „Feuer auf die Erde zu werfen, bin ich gekommen, und wie wünschte ich, daß es schon brenne.“ - Und du siehst doch: fast überall ist es erloschen... Willst Du dich nicht aufmachen, den Brand überall auszubreiten? (...)
Mit welchem infamen Scharfsinn argumentiert Satan gegen unseren katholischen Glauben! Aber sagen wir uns stets, ohne uns auf Diskussionen einzulassen: Ich bin ein Sohn der Kirche.

Josefmaria Escrivá´

Dass diese Ideen im Kreis von Opus Dei keineswegs veraltet sind, beweist der amtierende Prälat Bischof Javier Echevarría, den die Mitglieder der Einfachheit halber „Vater“ nennen, nahezu jeden Monat, wenn er in seinen „Hirtenbriefen“ ausführlich aus den Schriften des Vorgängers zitiert. So auch im Dezember 2006, als er eine in der Wortwahl durchaus bemerkenswerte Weihnachtsbotschaft verbreiten ließ:

Laßt uns zusammen mit Maria und Josef nach Bethlehem gehen. Die beiden werden uns zeigen, wie wir Jesus liebevoll und feinfühlig behandeln, wie wir ihm folgen und uns in ihn verlieben können. Eine Frucht dieses innigen Kontaktes wird der Wunsch sein, dem der heilige Josefmaria vor fünfundsiebzig Jahren Ausdruck verlieh: „Ich möchte, daß meine Anwesenheit die Welt in einem Umkreis von vielen Kilometern in Brand steckt, in eine unauslöschliche Feuersbrunst. Ich will mich als der deine wissen. Und dann kann das Kreuz kommen: ich werde nie wieder Angst vor der Sühne haben … Leiden und lieben. Lieben und leiden. Welch ein unübertrefflicher Weg! Leiden, lieben und glauben: Glaube und Liebe. Mit dem Glauben eines Petrus. Mit der Liebe eines Johannes. Mit dem Eifer eines Paulus.

Javier Echevarría

Als der „Corriere della sera“ im Oktober 2002 wissen wollte, welche Lebensregel Escrivás der jetzige Prälat bewahren wollte, wenn er nur eine einzige wählen dürfte, antwortete er folgerichtig, dass er sich diese Frage nie gestellt habe, „weil ich alle zutreffend und gültig finde.“

Gehorchen, leiden, schweigen und mit dem eigenen Glauben die Welt anzünden - all das mag (wenn die Brandstiftung denn symbolisch interpretiert werden soll!) noch zu den tolerierbaren, weil selbstgewählten und persönlichen Beschäftigungen einer religiösen Gemeinschaft gezählt werden. Ob der Staat gut daran tut, Kinder in diesem Geist erziehen zu lassen, ohne gleichzeitig darauf zu achten, dass sie gegenteilige Meinungen, kontroverse Diskussionen, Widerspruch und Toleranz kennen lernen und sich eigenständig zu selbstbestimmten, mündigen Staatsbürgern entwickeln, steht auf einem anderen Blatt.

Nach Lage der Dinge ist davon auszugehen, dass die Initiatoren des Schulprojekts klug genug sind, die reine Lehre des Josefmaria Escrivá nicht unverblümt in den Mittelpunkt ihrer pädagogischen Bemühungen zu stellen. Wenn sie jedoch mit der erklärten Absicht auftreten, ein vermeintliches Sinnvakuum zu füllen, muss sich das zuständige Ministerium sehr angelegentlich mit der Frage beschäftigen, wie und womit das geschehen soll.