Das Kaninchen der Quantenmechanik

US-Forscher betätigen sich als Varieté-Zauberer: Sie lassen Licht verschwinden und wieder auftauchen

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Der Trick ist so beliebt wie bekannt: Der Zauberkünstler setzt sein Kaninchen in Hut Nummer Eins. Ein paar magische Formeln später ist die Kopfbedeckung leer - stolz zeigt der Zauberer dem Publikum seinen Zylinder von allen Seiten. Nur um kurz darauf den niedlichen Nager aus seiner Jackentasche zu ziehen. Wie er dort hingekommen ist, bleibt das Geheimnis des Magiers.

Zumindest dies ist in der Wissenschaft zum Glück meist anders. Auch wenn es vorkommt, dass Forscher sich als Zauberkünstler betätigen, berichten sie doch anschließend ausführlich in ihren Fachmagazinen davon. So auch Naomi Ginsberg, Sean Garner und Lene Vestergaard Hau: den Physikern der Harvard University ist es gelungen, den Kaninchentrick auf die Quantenwelt zu übertragen - wobei sie die Pelztierchen durch Lichtimpulse ersetzten.

Das klingt genauso unmöglich wie die Teleportation eines Lebewesens: Ginsberg & Co. beschreiben in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Nature, wie es ihnen gelungen ist, einen Lichtimpuls zunächst anzuhalten und auszulöschen, um ihn an anderer Stelle wieder auferstehen zu lassen. Solche Tricks funktionieren nur in der Quantenwelt richtig gut, die ja eh von Absonderlichkeiten wimmelt - man denke nur an den Quantencomputer, der losrechnet, ohne dass man ihn einschalten müsste (vgl. Fleißig sein beim Nichtstun).

Als Hut fungiert hier ein Bose-Einstein-Kondensat in Form einer Wolke ultrakalter Natrium-Atome, die rund 50 Mikrometer groß ist. In einem BEC werden alle enthaltenen Atome ununterscheidbar, weil sie denselben quantenmechanischen Zustand einnehmen. Statt über Ort und Impuls einzelner Teilchen beschreibt man das Kondensat durch eine einzige Wellenfunktion.

Quantenmechanischer Zaubertrick: Das Licht wird in einer Wolke aus Bose-Einstein-Kondensat ausgelöscht - und erscheint in einer anderen, räumlich getrennten Wolke neu (Bild: S. R. Garner)

Die Harvard-Forscher nutzen eine schon vor einigen Jahren entwickelte Technik, Bose-Einstein-Kondendaten einen Laserimpuls aufzuprägen. Die Energie der Photonen, die im Laserimpuls enthaltene Information, wird dabei in oszillierenden Spin-Dipolen gespeichert. Mit einem zweiten Impuls könnte man diese Informationen nun wieder abrufen - aber das Kaninchen aus demselben Hut zu ziehen, riefe auch im Varieté noch kein Aufsehen hervor. Das Team um Ginsberg hat das Wiedersehen deshalb in eine zweite Wolke aus Natriumatomen verlegt, die sich Zehntel Millimeter von der ersten Wolke entfernt befindet.

Das ist in den Quantenwelt eine geradezu riesige Entfernung. Die spin-angeregte Komponente der ersten Gaswolke lässt sich dank der längeren Lebensdauer von Spin-Informationen nämlich räumlich von der Komponente im Grundzustand trennen. Durch den Impuls der aufgenommenen Photonen wandert die angeregte Komponente mit einer Geschwindigkeit von 200 Metern pro Stunde aus der BEC-Wolke heraus - und wenn man ihr im Abstand von zwei Zehntel Millimeter nun einfach eine zweite Wolke in den Weg stellt, wird sie von dieser aufgenommen.

Das Diagramm zeigt den Zeitablauf des Licht-Tricks (Bild: N. S. Ginsberg, S. R. Garner, L. V. Hau)

Eh voila: Auch aus dieser Atomzusammenballung lässt sich der ursprüngliche Lichtimpuls wieder abrufen. Das Experiment demonstriert zunächst die aus der Makrowelt unbekannte Eigenschaft der Ununterscheidbarkeit: Man kann nicht nur in der einen Wolke die Atome nicht differenzieren - das gilt auch für alle anderen Atome, ob nun in einer Zehntel Millimeter entfernten Wolke oder in einem ähnlichen Kondensat auf dem Mond. Die Erkenntnis der Harvard-Forscher ist aber auch deshalb spannend, weil sich die Botschafter-Atome besser manipulieren lassen als Licht. „Unsere Arbeit könnte ein fehlendes Glied bei der Steuerung optischer Informationen zur Verfügung stellen“, beschreibt Forscherin Hau die Perspektiven ihrer Arbeit in einer Harvard-Pressemitteilung:

Während die Atome zwischen den zwei Bose-Einstein-Kondensaten wandern, können wir sie womöglich für Minuten einfangen und bearbeiten, wie immer wir das wollen. Diese neuartige Form der Quantensteuerung ließe sich womöglich auch in der künftigen Quanteninformationsverarbeitung und der Quantenkryptographie einsetzen.