Der "Übersetzerstreit" ums liebe Geld

Der Streit zwischen Literaturübersetzern und Verlagen wird auch in der FAZ und der SZ ausgetragen, die sich hinter die Verlage stellen

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Wird der Übersetzer überhaupt wahrgenommen, so ein irischer Übersetzer im Verbandsnewsletter des irischen Übersetzerverbands ITIA vom Januar 2005, dann nur, um ihn zu kritisieren - geringes Honorar, kein Copyright, keine Anerkennung, keine künstlerische Freiheit, sondern höchstens der kurze Kommentar eines einsprachigen Journalisten dahingehend, dass die Übersetzung sich flüssig liest - und dann die bissige Kritik von besserwisserischen "Experten".

Royalties are rare, the publisher tries to keep the copyright, no one appreciates the work that goes into your translation and you don’t even get any artistic licence. When the translation appears the best you can hope for is that a newspaper reviewer who knows nothing of the source language but likes the book will say in passing that the translation reads well. Academics and translation students who do know the source language will line up to take pot shots at your efforts.

Eine Übertreibung? Wie nehmen Sie denn Übersetzer wahr? Haben Sie schon einen Übersetzer toll gefunden und weitere Bücher von ihm lesen wollen? Deutsche Übersetzer haben bei amazon.de schon durchgesetzt, dass sie mit angegeben werden. So können Sie etwa nach der Preisträgerin Anke Burger suchen, was bei amazon.com nicht einmal bei Umberto Ecos angesehenem Übersetzer gelingt: der arme William Weaver steht nirgendwo auf der Seite.

Und wie stellen Sie sich einen Übersetzer vor? Laut der Übersetzungsagentur 24translate ist der typische Übersetzer eine "Zicke", die von zu Hause aus arbeitet und "wie [ein] Künstler… um jedes Wort kämpft". Nicht gerade schmeichelhaft befand der Übersetzerverband ADÜ Nord die Beschreibung und beschwerte sich umgehend wegen der empfundenen Verunglimpfung.

Auch in anderen Ländern fühlen sich die Übersetzer gering geschätzt. So beschrieb der brasilianische Übersetzer Danilo Nogueira in einem Online-Forum das typische Gespräch mit Fremden:

What do you do?
I am a translator.
Oh really? How nice, but I meant what you do FOR A LIVING.
You mean WORK? I don't work. I make so much money from my translations that I do not need to work.

Dabei kann sich Noguiera als technischer Übersetzer glücklich schätzen, denn die verdienen rund doppelt so viel wie Literaturübersetzer. Bekommt man mickrige 22 Euro pro Normseite für einen Roman, kann man froh sein; die Verlage suchen Berufsanfänger, die sich mit 16 oder weniger zufrieden geben. Man ist also versucht, mindestens eine Seite pro Stunde hinzukriegen. Das jährliche Nettoeinkommen eines freiberuflichen Literaturübersetzers wird auf 9.000 - 20.000 Euro geschätzt. Eine Studie warnte vor Altersarmut bei den Literaturübersetzern.

Übersetzt man sehr sorgfältig, tut man dies auf eigene Rechnung. Barbara Henninges hat in "Und ihre Augen schauten Gott" eine geniale Lösung für ein typisches Übersetzerproblem gefunden: Wie soll man die Sprache eines schwarzen US-Bürgers rüberbringen? Alle Dialekte des Deutschen scheiden aus (man stelle sich einen Schwarzen in Florida vor, der bayerisch oder sächsisch daherkommt), und so musste Henninges einen "neutralen" Dialekt erfinden. Sie schrieb sogar einen Glossar für ihre Leser.

Für eine solche Kunstsprache in seinem "Clockwork Orange" wird der Autor Anthony Burgess gelobt, aber bei Übersetzern wird eine solche Meisterleistung eher als künstliche Verunstaltung des Originals gerügt. Neben der Erfindung eines neutralen Dialekts schaffte es Henninges außerdem, den ganzen Roman fehlerfrei zu übersetzen; ich weiß das, weil ich in einem früheren Leben als Akademiker die Übersetzung Zeile für Zeile mit dem Original verglichen habe. Und doch liest man in beiden Kommentaren bei amazon.de dazu, dass die Übersetzung schlecht ist. Ob diese Leser sich lieber eine Übersetzung in reines Hochdeutsch gewünscht hätten?

Dann klingen aber alle plötzlich gebildet. Die Leser sind aber mit gelungenen Experimenten wie dem erfundenen Dialekt Henninges nicht zufrieden. Der deutsche Buchmarkt hat dafür sowieso keinen Pfennig über, und so kam Henninges auf einen von ihr geschätzten Stundenlohn von weniger als 10 Euro für ihre Meisterleistug. Weniger geht auch, wie Kathrin Passig in der taz meinte:

Zwei Euro die Stunde, wenn mans versteuert -
Wer da recherchiert, der ist doch bescheuert.
Ab heute heißt Steuerbord rechts, Backbord links,
Und das ganze andere Zeug einfach: Dings.

Verlage gegen Freiberufler

Am 1. Juli 2002 trat ein neues Urhebervertragsrecht in Kraft, um diesen Missstand zu beseitigen. Zu Begründung hieß es:

Die literarischen Übersetzer [leisten] einen unverzichtbaren Beitrag zur Verbreitung fremdsprachiger Literatur. Ihre in der Branche überwiegend praktizierte Honorierung steht jedoch in keinem angemessenen Verhältnis zu den von ihnen erbrachten Leistungen.

Leider regelte das Gesetz nichts, sondern bat lediglich die Verlage und die Übersetzer an den Verhandlungstisch. Seitdem wird gezankt. Die Verlage begannen dann bei Berufseinsteigern nicht nur auf den Preis pro Normseite zu drücken, sondern diese neu zu definieren: Eine Normseite bestand aus 30 Zeilen mit jeweils 60 Anschlägen. Jedoch ist eine Seite (bis auf Bücher wie "Finnegan's Wake") nie voll geschrieben. Dividiert man also die Länge des ganzen Textes durch 1800 Anschläge, kürzt man die Seitenzahl - und das Honorar - um 10-30%.

2007 erreicht der Streit sogar die Seiten der FAZ und der Süddeutschen Zeitung. Besonders im Artikel Ein Haus für Rechthaber in der SZ werden die Übersetzer dafür verantwortlich gemacht, dass immer weniger Bücher übersetzt werden. (Der Artikel ist leider nur für Abonnenten online zugänglich; wer also wissen will, warum die Übersetzer zu viel Geld verlangen, muss zahlen.)

Burkhard Kroeber, der unter anderem Umberto Eco ins Deutsche übersetzt (Eco gehört zu den Autoren, die das Feedback ihrer Übersetzer schätzen: "As an author, I have learned a great deal from sharing the work of my translators") hat bei perlentaucher.de schon auf die SZ reagiert. Bei der FAZ findet man weitere Kommentare zum Streit, unter anderem von Übersetzern im Leserforum.

Kaum einer bestreitet, dass die Literaturübersetzer zu wenig verdienen; auch die SZ spricht von "studentischen Lebensformen in fortgeschrittenem Alter". Der Verband deutschsprachiger Übersetzer hat einen Honorarrechner ins Internet gestellt, damit sich jeder ein Bild von der Lage machen kann.

Die Verlage behaupten, die Bücher würden teuerer, wenn die Übersetzer mehr bekämen. Allerdings gehen viele Belletristik-Titel für weniger als 20 Euro über den Ladentisch. Wenn die Übersetzer 2% vom Nettoerlös bekommen, dann kosten solche Bücher keine 40 Cent mehr, weil auch 7% MWSt im Ladenpreis stecken. Ein Buch für 10 Euro würde dann keine 20 Cent mehr kosten.

Würden Sie weniger übersetzte Bücher wegen 2% Aufschlag für den Übersetzer kaufen? Die SZ spricht jedenfalls von fast 30% weniger übersetzten Titel im Jahre 2006, weil die Verlage nicht planen können, solange die Übersetzer noch verhandeln wollen. Bekämen die Übersetzer mehr, so die SZ, dann könnten sich die Verlage noch weniger Übersetzungen leisten. Die Übersetzer würden sich ins eigene Fleisch schneiden. Aber würde man wirklich weniger übersetzte Bücher kaufen, wenn diese 2% mehr kosten?

Anstatt ständig die Übersetzer für schlechte Texte und schlechte Margen schuldig zu machen, sollten wir einsehen, wie viel wir von Übersetzungen haben. Selbst eine Sprachschule wirbt damit, dass man lieber Sprachkurse belegen sollte, statt sich mit schlechten Übersetzungen abzugeben: "Nun stellen Sie sich vor, wie viel Sie vielleicht verpassen, wenn Sie sich auf einen Übersetzer verlassen müssen". Schon mal William Faulkner oder "Der Medikus" im Original versucht? Man verpasst erst recht viel, wenn man sich auf keine guten Übersetzer verlassen kann, denn wer lernt eine zweite Sprache so gut, dass er deren Belletristik wie ein Muttersprachler verstehen kann? Höchstens ein Übersetzer. Wer keiner werden kann, muss wissen, ob er sich einen leisten möchte.

Als technischer Übersetzer und Konsument von literarischen Übersetzungen ins Deutsche betrachtet Craig Morris den Streit zwischen Verlagen und Literaturübersetzern zwar mit Interesse, aber ohne Eigeninteresse.