Macht und Raum auf der Sicherheitskonferenz

Ein soziologischer Nachtrag über die räumlichen Ein- und Ausschließungsprinzipien der privaten "Teltschik-Festspiele" in München

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wer in Zeiten der Digitalisierung von Welt glaubt, der Ort und mit ihm der Raum schrumpfe zu einer irrelevanten, untergeordneten Kategorie, der irrt. Zu besichtigen und zu erleben war dies bei der 43. Konferenz für Sicherheitspolitik vergangenes Wochenende in der weißblauen Landeshauptstadt München. Diese alljährliche Versammlung von Regierungschefs, Ministern, Generälen und Rüstungslobbyisten im Nobelhotel Bayerischer Hof inmitten des Stadtzentrums gab erneut ein anschauliches Beispiel, wie Macht den Raum braucht, um zu wesen.

Das alljährliche Spektakel dieser „Teltschik-Festspiele“ - so benannt nach dem privaten Organisator des Auftriebes, Horst Teltschik, vormals Vize-Kanzleramtschef unter Kohl und später unter anderem Deutschlandchef des Luft- und Rüstungskonzerns Boeing – funktioniert macht- und raummäßig nach dem Prinzipien der Ausschließung und der Einschließung. Ersteres entfaltet sich so, dass quasi auf naturwüchsige Weise rund um das Tagungshotel Bayerischer Hof zunächst eine Sicherheitszone wächst. Das Kreisverwaltungsreferat (zuständig für das Wachstum) genehmigt dabei lediglich die von der Polizei beantragten Sicherheitsmaßnahmen, die dann als "Allgemeinverfügung" im Amtsblatt veröffentlicht werden: „In der Zeit vom 09.02.2007, 06.00 Uhr, bis einschließlich 11.02.2007, 15.00 Uhr, wird im Umgriff des Hotels Bayerischer Hof, Promenadeplatz, ein Sicherheitsbereich eingerichtet.“ Die Münchner Polizei begründet dies mit „Staatsmännern“ (keine „Staatsgäste“, weil alles privat!), die es zu schützen gebe („sehr personalintensiv“), und tätig wird sie („wir stehen in regelmäßigem Kontakt“) auf Veranlassung des Privatmannes Horst Teltschik.

Auch auf der Website macht Horst Teltschik, der Diktaturen für ihren Umgang mit der Meinungsfreiheit schätzt, jedem klar, wer die wichtigste Person der Sicherheitskonferenz ist

Weil die Festspiele also so privat sind (obwohl sie von der Bundesregierung mit 323.000 Euro an Steuergeldern und mit unbekannten Kosten der das Hausrecht ausübenden Bundeswehr getragen werden) kann Herr Teltschik einladen, wenn er will. Oder eben nicht will, wie zum Beispiel den parteilosen Europaabgeordneten und Konferenzkritiker Tobias Pflüger („aus Kapazitätsgründen ist eine Einladung nicht möglich“). Gleiches gilt für die Presse, so mancher Journalist scheitert aus „Kapazitätsgründen“ an der Akkreditierung. Wer aber doch „eingeladen“ wird, sieht sich mit feinen Abstufungen der Nähe zu den Mächtigen konfrontiert.

Der erste spatiale Verteidigungsring der Sicherheitskonferenz dient der Ausschließung des normalen Volkes durch polizeibewehrte Absperrgitter in einer weiträumigen Zone um das Nobelhotel. Wer diese passieren durfte, gelangte zunächst über Sicherheitsschleusen in den Vorhof der Macht, das Foyer des Hotels Bayerischer Hof. Drei derartige Schleusen standen bereit, wobei die dritte sinnigerweise mit einem Schild: „Waffenträger“ versehen war – was soll man sich von einer Sicherheitskonferenz auch anderes erwarten. Eine Balustrade umringt dieses Foyer, und wer diese betreten will, erfährt: Es gibt zwei Klassen von Journalisten. Die eine darf hinauf – zum Beispiel der alte TV-Haudegen Dieter Kronzucker –, die andere nicht. Damit nicht genug – der Normaljournalist (also der journalistische Plebs) darf grad mal zwischen Foyer und Klo hin und herpendeln, die Reden kann er sich über Monitore in zwei Presserräumen ansehen.

Am Eingang zum Vorhof. Bild: Stumberger

In den Konferenzsälen der Konferenz aber, dort wo die Sonne der Mächtigen über Teltschik erstrahlt, gibt es eine dritte Kategorie von Journalisten. Was soll sie angesichts der Bedeutungsschwere der Veranstaltung anderes sein als – das Exzellenzcluster der deutschen Publizistik, mit Leistungsträgern aus den Redaktionsstuben der „Süddeutschen“ oder der „Zeit“. Diese weitere Klasse, zu der gerade mal vier oder fünf Auserwählte zählen, sozusagen das „Premiumsegment“ der Journalisten, dürfen so nahe an das Zentrum der Macht, dass sie sogar Fragen stellen können, auch launige Fragen - und dann sind sie einen Moment so, wie die Geschöpfe rings umher, all die Außenminister und Innenminister und Verteidigungsminister- und vielleicht sogar mehr. Eben sehr wichtige, kritisch und launisch fragende, über den Dingen stehende – Journalisten.

Im Zentrum. Bild: Pentagon

Man spürt, mit jedem Schritt, der einem vorbei an den verkabelten jungen drahtigen Männern im sprintbereiten Alter um die 30 Jahre bringt und mit dem man sich dem Zentrum nähert, ergreift einen gleichsam ein Prozess der Erhöhung und die eigene Bedeutung wächst mit jedem Meter an rotem Läufer. Die Konferenz ist ein gigantisches Fest der gegenseitigen Wichtigkeits-Beteuerung, freilich räumlich unterteilt, wie die Jahresringe der Bäume legen sich die spatial untergliederten Bedeutungszonen um die Akteure, in deren Zentrum trunken von den Auren der Mächtigen „der Horst“, wie der neue US-Verteidigungsminister Robert Gates in seiner Rede Teltschik zu nennen pflegte, sitzt oder steht. „Der Horst“ sagt dann – mit Blick auf die Gegendemonstrationen - in diesem Zustand schon mal so Sachen, wie dass es eben die „Tragik“ der Demokratie sei, dass bei uns „jeder seine Meinung öffentlich vertreten darf“, in Diktaturen würde so etwas halt nicht passieren (in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk).

An den Gegendemonstranten, die mit der „Nato-Kriegskonferenz“, wie sie die Teltschik-Festspiele nennen, nichts am Hut haben und die Sicherheitskonferenz als eine Veranstaltung von Militaristen und Kriegstreibern kritisieren, an ihnen wird das Macht-Raum-Prinzip der Einschließung praktiziert. Dient das Sperrgitter rund um das Hotel Bayerischer Hof der Ausschließung zum Beispiel von „aus Kapazitätsgründen“ Unwichtigen, dient das gleiche Sperrgitter rund um die Menge der Demonstranten der Einzäunung. Und weil man nicht die ganze Demo-Strecke wie die Nürnberger-Autobahn bei Freimann einmauern kann, übernehmen die Funktion der Einschließung während des Vollzugs des Protestes flexible Polizeitruppen in Grün oder Schwarz, die gerne ein sogenanntes wanderndes Spalier bilden oder sich gelegentlich im Kesseln üben.

Ausschließen und Einschließen, das sind die zwei räumlichen Arten der Machtausübung. Nähe und Distanz, Kontrolle von Zugang und Weggang, 400 Body-Guards und 4000 Polizisten – das Leben ist konkret. Und die Pendellinie zwischen Foyer und Klo für die Normaljournalisten, die Akkreditierungsformulare mit unscharfem Passfoto, die Sperrgitter, die Funk-Stöpsel in den Ohren der CIA-Agenten, das Mineralwasser für vier Euro, die Schusswaffen in den Holstern der „Waffenträger“ und die Fußschritte, die einen näher an die Mächtigen bringen – sie sind die räumlich-materiellen Bedingungen, die sich um die virtuelle Berichterstattung zum Beispiel der Fernsehübertragung ranken wie der Efeu um den Laubbaum und stellen doch deren unmittelbare Voraussetzung dar.