Kein Erfolg für die Bürgerrechtsbewegung

Sönke Hilbrans, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Datenschutz, über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur heimlichen Online-Überwachung

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Der Berliner Rechtsanwalt Sönke Hilbrans ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Datenschutz e.V..

"Staatliches Hacken nicht erlaubt", kommentierten viele Medien den Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH), der für die heimliche Internetüberwachung gegenwärtig keine Rechtsgrundlage sieht. Ist das Urteil ein Erfolg der intensiven Bemühungen von Bürgerrechtsorganisationen, die sich in der letzten Zeit gegen die verstärkte Internetüberwachung richteten?

Sönke Hilbrans: Nein, als Erfolg der Bürgerrechtsbewegung ist eine solche Entscheidung nicht angelegt. Es lohnt sich, sich den konkreten Fall vor Augen zu führen, über den die Richter zu entscheiden hatten. Es ging um einen Antrag der Bundesanwaltschaft (BAW), die von einen Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof die Erlaubnis zum Einsatz eines Computerprogramms beantragte, mit dem heimlich Daten vom Computer des Betroffenen kopiert und an die Polizei weitergeleitet werden sollte. Dazu sollte dem Betroffenen ein Programm „zugespielt“ werden. Dieses „Zuspielen“ und die Übertragung der kopierten Daten sollte, ohne dass dies genau gesagt wird, wohl per Internet erfolgen. Der Ermittlungsrichter hatte das abgelehnt und jetzt hat der BGH auch die Beschwerde der BAW zurückgewiesen. In der Begründung kommen gewichtige rechtsstaatliche Skrupel zum Ausdruck, und die sind auch bei Berufsrichtern natürlich sehr zu begrüßen. Der Rechtsstaat wurde durch die Entscheidung zweifellos gestärkt, doch von einem Sieg für die Bürgerrechtsbewegung würde ich nicht sprechen. Denn da gibt es noch viel weitergehende Erwartungen als die professionelle und nüchterne Anwendung des Rechts durch die Richter.

Das Land NRW hat in seinem Verfassungsschutzgesetz die heimliche Onlinedurchsuchung bereits im letzten Herbst legalisiert. Ist dieses Gesetz durch das Urteil betroffen?

Sönke Hilbrans: Dieses Gesetz betrifft das Verfassungsschutzamt eines Bundeslandes und ist weiterhin in Kraft. Insofern gibt es keine unmittelbaren Auswirkungen durch den Richterspruch. Es sind allerdings mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz in NRW anhängig. Mit dem Beschluss des BGH gibt es jetzt eine Rechtsmeinung, die man beim Bundesverfassungsgericht interessiert zur Kenntnis nehmen dürfte. Die Fachdebatte in der Justiz ist eröffnet.

Viele Politiker, allen voran Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, interpretieren das Urteil in erster Linie als Aufforderung, jetzt so schnell wie möglich die gesetzliche Grundlage für die heimliche Internetüberwachung zu schaffen. Kann man die Entscheidung so lesen?

Sönke Hilbrans: Der Senat deutet immerhin an, dass er eine Online-Durchsuchung nicht für einen trivialen Eingriff hält. Und das ist auch richtig, weil sie heimlich ist, weil sie den Zugriff auf Kommunikationsinhalte ebenso erlaubt wie den Zugriff auf Daten, die nie für Dritte bestimmt gewesen sind. Das Vertrauen der Betroffenen in die Unverletzlichkeit ihrer Privatsphäre wird in einem Bereich in Frage gestellt, in dem sich die Betroffenen gerade nicht – wie im Telefon- oder Mailverkehr - der Hilfe von Providern bedienen oder sich sonst bewusst dem Risiko aussetzen, beobachtet zu werden. Der Gesetzgeber kann also bei seinem Versuch, die Maßnahme verfassungsgemäß zu regeln, durchaus erneut scheitern, wenn es ihm nur darum gehen sollte, jetzt schnell die fehlende Rechtsgrundlage für die heimliche online- Durchsuchung zu schaffen.

Ein erneuter Gang vor das Bundesverfassungsgericht ist also wahrscheinlich?

Sönke Hilbrans: Es bleibt dem Gesetzgeber unbenommen, ein Gesetz zu erarbeiten, das über jeden verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben ist. Das ist ihm in letzter Zeit selten gelungen. So ist es gut möglich, dass ein solches Gesetz sich der verfassungsgerichtlichen Prüfung stellen muss.

Braucht die Gesellschaft aus Ihrer Sicht ein solches gesetzliches Instrumentarium überhaupt?

Sönke Hilbrans: Nein. Wir erleben schon ohne einen sprunghaften Anstieg von heimlichen Ermittlungstätigkeiten bei einem gleichzeitigen Sinken der Kriminalitätsrate, auch bei schwerwiegenden und Gewaltdelikten.

Aber was ist mit der Bekämpfung des militanten Islamismus, die von den Befürwortern der Maßnahme immer wieder heran gezogen wird?

Sönke Hilbrans: Die terroristische Bedrohung islamistischer Prägung hat sich für Deutschland zwar nicht als völlig irreal erwiesen. Doch sie ist bei weitem nicht so schwerwiegend, dass sie nicht mit den klassischen Ansätzen der Strafverfolgung systematisch verfolgt werden könnte. Es wäre sinnvoller, auf eine attraktiv erscheinende neue Ermittlungsmethode wie die heimliche Online-Durchsuchung zu verzichten, anstatt eine neue Eingriffsmethode zu legalisieren, die wegen ihres vielseitigen Charakters schnell von einem Ausnahmeinstrument zu einer Standardmaßnahme werden würde.