Die Satirezeitung und der Bart des Propheten

In Paris wurde eine Klage von Muslimen gegen die Zeitung Charlie Hebdo verhandelt, der Rassismus vorgeworfen wird, weil sie dänische Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte

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Bis wohin reichen aufklärerische Absicht und Antiklerikalismus? Und ab wann beginnt der Rassismus, wenn eine Religion kritisiert wird, die hierzulande durch eine gesellschaftliche Minderheit und vor allem durch Einwanderer praktiziert wird? Lassen sich diese unterschiedlichen Motive, die sich jeweils in Kritik oder Feindseligkeit niederschlagen können, sauber auseinanderhalten? Und wenn ja, wie und anhand welcher Kriterien? Können sich die Anhänger und Vertreter der betreffenden Religionsgruppe gegen Kritik, Satire, gegen Schmähungen und Anfeindungen gleichermaßen zur Wehr setzen? Kommt ihnen dabei die strafrechtliche Ahndung von Rassismus, Diskriminierung und Hetze zugute? Oder geht es letztlich nur darum, sich des Rassismusvorwurfs als Vorwand zu bedienen, um die Meinungsfreiheit zu beschränken und um einen juristisch längst abgeschafften Tatbestand der Blasphemie oder "Gotteslästerung" durch die Hintertür wieder einzuführen?

Auf diese Fragen hatte vergangene Woche eine Strafrechtskammer im Pariser Justizpalast zu antworten. Ihr Urteil steht noch aus, es wird am 15. März bekannt gegeben werden. Die Debatten vor Gericht, die Forderungen der Staatsanwaltschaft und die Haltung der Presse, die in den letzten Tagen breit über das Thema berichtet hat, lassen aber schon jetzt eine eindeutige Tendenz erkennen.

Titel der Sonderausgabe von Charlie Hebdo zum Karikaturen-Kongress

Die dänischen Karikaturen: "Ein Jahr danach"

Genau ein Jahr war es am vorigen Donnerstag her, dass die französische Satirezeitung Charlie Hebdo in ihrer Ausgabe vom 8. Februar 2006 die Mohammed-Karikaturen der dänischen Tageszeitung Jyllands Posten nachgedruckt hatte. Der Prozess gegen die Wochenzeitung, die jeden Mittwoch in einer Auflage von 70.000 Exemplaren erscheint, fand also pünktlich zum Jahrestag statt. Angeklagt waren die presserechtlich Verantwortlichen der einstmals linksradikalen und heute eher linksliberalen Zeitung, weil sie die Zeichnungen aus Jyllands Posten dokumentiert und um ein eigenes Titelblatt ergänzt hatten. Ihre Publikation erfolgte auf dem Höhepunkt der damaligen internationalen Polemik rund um die umstrittenen Karikaturen.

Ein kurzer Rückblick: Binnen weniger Tage nach Ausbruch der Krise wurden damals die dänische und die schwedische Botschaft in Beirut in Brand gesteckt, die diplomatischen Vertretungen Dänemarks in den Hauptstädten Syriens und des Iran von aufgebrachten Demonstranten attackiert. Da es in Teheran ebenso wenig Demonstrationsfreiheit gibt wie in Damaskus, war davon auszugehen, dass die Ereignisse von den örtlichen Regimes oder von Fraktionen darin manipuliert wurden. Ein Boykott von dänischen Produkten wurde in Ländern des Nahen Osten ausgerufen, worauf die Firma Nestlé mit einer Anzeigenkampagne reagierte, in der sie erklärte: "Unsere Produkte sind nicht dänisch." Die Zeichner, von denen die zwölf Karikaturen stammten, erhielten Morddrohungen und mussten sich versteckt halten.

Wie sich alsbald herausstellte, war die Aufregung um die Karikaturen in Teilen der islamisch geprägten Gesellschaften umso gröber, als in den Ländern des Nahen und des Mittleren Osten viele falsche Informationen über den Inhalt der Karikaturen zirkulierten. Eine Gruppe von in Dänemark lebenden Imamen, die zum Jahreswechsel 2005/06 mehrere arabische Staaten bereiste, hatte dort den tatsächlich veröffentlichten Karikaturen noch andere Dokumente untergemischt. Eines davon ist ein Bild, das angeblich ein Schwein dabei zeigt, wie es den Propheten Mohammed besteigt. Dies war jedoch eine Fälschung, und das Foto stammte in Wirklichkeit von einem örtlichen Wettbewerb, der alljährlich in einem französischen Dorf stattfindet und bei dem es um Schweineimitation geht.

Die Flammen, die in der ersten Februarhälfte des vergangenen Jahres aufloderten, hatten sich bald wieder gelegt. Es erwies sich auch, dass nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der muslimischen Bevölkerungen in der Welt an den gewalttätigen Vorfällen teilgenommen hatte, da die Teilnehmerzahl an diesen Demonstrationen über einige Zehntausend insgesamt nicht hinausging. Aber auch innerhalb der wichtigsten westlichen Länder fanden zur selben Zeit Proteste und Auseinandersetzungen um die "Karikaturen-Affäre" statt. In Deutschland und Frankreich kam es zu gewaltlosen Demonstrationen, an denen ein paar tausend muslimischen Einwohner teilnahmen. Dagegen zeigten die Proteste in London, wo islamistische Extremisten im Westen lange Jahre ihr internationales Zentrum hatten, zeitweise ein weniger friedliches Gesicht.

In diesem Kontext klagten mehrere muslimische Vereinigungen in Frankreich gegen die Satirezeitung Charlie Hebdo, die eine riesige Wirkung mit ihrer Sondernummer zu den Karikaturen erzielt hatte. Statt den üblichen 70.000 Exemplaren wöchentlich hatte die Redaktion während der auf 14 Tage ausgeweiteten Verkaufsperiode rund 450.000 Exemplare verkauft. Zahlreiche Neugierige hatten die Sonderausgabe erworben, um sich selbst ein Bild vom Gegenstand der Polemik zu machen. Neben dem Satireblatt mit linker und antiklerikaler Tradition haben in Frankreich auch die eher rechtsbürgerliche Tageszeitung France Soir sowie das konservativ-liberale Wochenmagazin L'Express die Karikaturen veröffentlicht.

Was wird Charlie Hebdo vorgeworfen?

Was aber werfen die Kläger der Satirezeitung konkret vor? Die Maximalposition, die von manchen Zürnenden im arabischen Raum erhoben wurde und den dänischen Zeichnern vorwirft, "den Propheten" überhaupt gezeichnet zu haben, konnte jedenfalls nicht zur Grundlage einer Strafanzeige auf dem Boden der Französischen Republik erhoben werden. Denn das Mindeste, was sich sagen lässt, ist, dass ein religiös begründetes Bilderverbot nicht Bestandteil der Gesetze dieser Republik ist. Abgesehen davon, dass auch die allermeisten Gläubigen anerkennen, dass ein solches Verbot der Abbildung Gottes und seiner Propheten - wenn überhaupt - dann höchstens für Muslime, aber jedenfalls nicht für Nichtmuslime geltend gemacht werden kann.

Umstritten ist ferner aber auch, ob ein solches Bilderverbot überhaupt verbindlich gilt. Im Prinzip gilt laut dem Koran ebenso wie nach dem Alten Testament: "Du sollst Dir kein Bild von Deinem Gott machen!" Das ist eine Regel, die ursprünglich vor allem intendierte, mit dem polytheistischen "Götzendienst" der vorausgehenden Periode zu brechen. Viele Glaubenslehrer dehnen dieses Verbot einer bildlichen Darstellung auch auf die verschiedenen Propheten aus, die der Islam anerkennt, die freilich (anders als Jesus in der christlichen Lehre) durchweg als Menschen und nicht als "göttlicher Natur" gelten. In der islamischen Geschichte gibt es jedoch faktisch auch längere Perioden, aus denen künstlerisch gestaltete Abbildungen des Propheten Mohammed überliefert sind.

Nimmt man an, dass ein solches Abbildungsverbot gilt, dann aber auf keinen Fall für Nichtmuslime, und es könnte auch nicht von einem französischen Gericht verlangt werden, es durchzusetzen. Ausdrücklich hat dies auch die als Klägerin gegen 'Charlie Hebdo' auftretende Pariser Zentralmoschee ausdrücklich in ihrer Anklageschrift anerkannt.

Die Klage der verschiedenen Vereinigungen, die gerichtlich gegen die Wochenzeitung vorgingen, stützt sich jedoch auf einen anderen Vorwurf. Beschuldigt wird die Zeitung, mittels des Abdrucks der Karikaturen "eine Gruppe von Menschen", sprich die Muslime, "aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religion stigmatisiert" und dadurch diffamiert zu haben. Ein solches Diffamierungsdelikt durch Presseartikel oder -illustrationen sehen die Artikel 23 und 32 des Pressegesetzes ("Gesetz vom 29. Juli 1881 über die Pressefreiheit") vor, die zuletzt im Jahr 2004 abgeändert worden sind. Demnach droht für die Diffamierung einer Personengruppe aufgrund ihrer "Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe, Nation, Rasse oder Religion" eine Strafe von bis zu einem Jahr Haft und/oder 45.000 Euro Geldbuße.

Diese Bestimmungen resultieren aus dem Antirassismusgesetz, das im Juli 1972 eingeführt worden ist. Im Juli 1990 wurde es verschärft, infolge des Skandals, den die Schändung des jüdischen Friedhofs in Carpentras ausgelöst hatte. Damals wurden die Strafmaße für rassistische und/oder antisemitische Hetze verschärft und ferner die Strafbarkeit der Leugnung des Holocaust eingeführt.

Begründung für die Strafverfolgung

Gegenstand der Klage mehrerer muslimischer Vereinigungen ist also im Prinzip nicht die "Beleidigung" des Propheten der islamischen Religion, sondern der Vorwurf, die heute lebenden muslimischen Gläubigen als Gruppe stigmatisiert zu haben. Festgemacht wird dies an drei Zeichnungen, denn nicht alle zwölf Karikaturen sind Gegenstand der Strafanzeige, die nun jüngst zum Prozess geführt hat.

Konkret angeklagt wurde erstens die Karikatur von Kurt Westergaard aus Jyllands Posten, die mit Abstand die umstrittenste von allen ist. Auf ihr sieht man den Propheten Mohammed, der einen Turban in Form einer Bombe mitsamt brennender Zündschnur auf dem Kopf trägt. Zum Zweiten betrifft die Klage eine weitere der zwölf dänischen Karikaturen, die eine Szene zeigt, in der mehrere versengt aussehende Gestalten in den Himmel hochsteigen und auf einen Propheten Mohammed hochsehen, der sie auf einer Wolke stehend erwartet. Dieser aber ruft den scheinbaren "Märtyrern", bei denen es sich nach Vorstellung des Betrachters wohl um Teilnehmer an Selbstmordattentaten handelt dürfte, entgegen: "Hört auf, uns ist der Vorrat an Jungfrauen ausgegangen!" Eine klare Anspielung auf die 72 Jungfrauen, die angeblich den Märtyrer im Paradies erwarten sollen.

Drittens klagten die muslimischen Vereinigungen aber auch gegen das Titelblatt der Ausgabe von Charlie Hebdo vom 8. Februar 2006, auf dem Zeichnung des hauseigenen Karikaturisten "Cabu" abgebildet ist. Auf ihr sieht man einen vollbärtigen und Turban tragenden Mohammed, der sich dieses Mal aber beide Hände vor die Augen hält und stöhnt: "Es ist hart, von Deppen geliebt zu werden!" (Il est dur d'être aimé par des cons) Links darüber steht ein Titel, der sinngemäß lautet: "Mohammed wachsen die Islamisten über den Kopf."

In diesen drei Karikaturen sehen die klagenden Vereinigungen nicht nur eine negative Darstellung des islamischen Propheten, sondern alle heute lebenden muslimischen Gläubigen angegriffen. In den ersten beiden Fällen - so ihre Argumentation - werde eine direkte Verbindungslinie zwischen dem Islam als solchem einerseits und den extremistischen oder terroristischen Strömungen des politischen Islamismus im 20. oder 21. Jahrhundert andererseits gezogen. Damit aber, so die Idee der Kläger, werde suggeriert, alle Muslime könnten als potenzielle Terroristen oder "Terroranfällige" betrachtet werden. Das Gros der einfachen Gläubigen werde mit den extremen Ausdrucksformungen einer bestimmten politischen Strömung in einen Topf geworfen. Kurz: Es handele sich um "ein Amalgam".

Im dritten Falle sei es die Aussage "Es ist hart, von Deppen geliebt zu werden", welche die Menschen moslemischen Glaubens herabwürdige. Allerdings übersieht die Anklage im dritten Punkt offenbar die klar auf "die Fundamentalisten" bezogene Überschrift neben der Karikatur. Die Verteidigung würde es auch nicht versäumen, ihr dies entgegen zu halten. Aber bleiben wir vorläufig noch bei Argumentation der klagenden Parteien.

Klage gegen Rassismus... oder Blasphemie?

Bis hierher blieben die Kläger also auf dem Boden einer Diskussion über die Wirkungen, welche die Publikation der Karikaturen eventuell auf die Gruppe der ("einfachen") Muslime haben könnte. Bis zu diesem Punkt trifft ihre Kritik also nicht die Behandlung der Religion als solcher, sondern die möglichen Auswirkungen der "Karikaturen-Affäre" auf das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und unterschiedlicher Glaubensrichtung.

Das bedeutet aber nicht, dass die Vorwürfe, die viel eher auf die Religionskritik als solche abzielen, aus der Argumentation der Kläger abwesend wären. Vielmehr mischen sich beide Motivationen faktisch in dem, was sie vortrugen.

Die wohl reaktionärste unter den klagenden muslimischen Vereinigungen, die in Saudi-Arabien ansässige "Islamische Weltliga" - die mit einem Büro in Frankreich vertreten ist, über welches ihr die Klagefähigkeit zuerkannt wurde - schlug in ihrer Prozessführung auch ganz klar Töne an, durch welche sie faktisch die Kritik am oder die Beschmutzung des "Heiligen" zu inkriminieren versuchte. Ihr Anwalt Salah Djemai versuchte anlässlich der Befragung des Hauptangeklagten Philippe Val, Chefredakteur und presserechtlich Verantwortlicher bei Charlie Hebdo, diesen zu einer Aussage darüber zu veranlassen, warum er "einen der Pfeiler des Islam, den ersten und wichtigsten Pfeiler der Religion" attackiere. Damit meinte er das muslimische Glaubensbekenntnis (Schahada), dessen Verse auf dem Bomben-Turban in der Karikatur von Kurt Westergaard abgebildet sind. Daraufhin hatte Philippe Val jedoch leichtes Spiel zu antworten, dass er sich vor einem Gericht der Republik und nicht vor einem Kirchengericht befinde - und dass er als Nicht-Anhänger der islamischen Religion nicht an den absoluten Respekt eines Gegenstands, "der für die Gläubigen und allein für die Gläubigen heilig ist", gebunden sei.

An diesem Punkt hatte die von Salah Djemai vertretene Klägerpartei von vornherein keine Chance, mit ihrer Argumentation durchzukommen. Denn "Gotteslästerung" oder Blasphemie ist nach heutigem französischem Recht nicht mehr von Strafe bedroht. Ihre Strafbarkeit wurde bereits unter der Französischen Revolution in den Jahren 1789 ff. abgeschafft - allerdings in den Jahren der Restauration ab 1815 wieder eingeführt, doch kaum zwanzig Jahre später erneut abgeschafft.

Neuer Aufschwung für Forderung nach Blasphemie-Paragraphen?

In jüngster Zeit hat es allerdings kurzzeitig Bestrebungen auf der politischen Rechten in Frankreich gegeben, eine Strafbarkeit der Blasphemie wieder einzuführen. Am 28. Februar 2006 hinterlegte ein konservativer Parlamentarier aus Südfrankreich, Jean-Marc Roubaud, in der Pariser Nationalversammlung einen Gesetzesvorschlag, der darauf abzielt, "alle Äußerungen und Handlungen, die jedwede Religion beleidigen, zu verbieten". Dabei kann Roubaud durchaus nicht als Wortführer des Antirassismus und des Respekts beispielsweise muslimischer ehemaliger Kolonialuntertanen gelten. Beispielsweise gehörte er zu den letzten, geradezu fanatischen Verteidigern des "Gesetzes vom 23. Februar 2005". Dieser Gesetzestext wollte Lehrer und Wissenschaftler in Frankreich darauf verpflichten, "die positive Rolle der Kolonisierung in Übersee und insbesondere in Nordafrika" in Unterricht, Forschung und Lehre zu betonen; der entsprechende Passus ist jedoch inzwischen gestrichen und das Gesetz entschärft worden, nachdem es zu internationalen Protesten gekommen war.

Roubaud begründete seinen Vorstoß zur Strafbarkeit von Blasphemie mit folgenden Worten:

Die jüngste Polemik um die Karikaturen wirft das Problem der Meinungs- und Pressefreiheit auf, die mit der Religions- und Gedankenfreiheit abzuwägen ist (...). Die Freiheit der Meinungsäußerung gibt nicht das Recht dazu, die religiösen Gefühle irgendeiner Gruppe oder irgendeines Staates (sic !) mit Füßen zu treten, zu desinformieren oder zu verleumden.

Sieht man von der Kuriosität ab, dass der Abgeordnete einem Staat als solchem religiöse Gefühle zugestehen möchte, handelt es sich um nichts anders als ein Plädoyer für die Wiedereinführung eines Gotteslästerungsparagraphen. Die Wochenzeitung Le Canard enchaîné vom 15. März 2006 berichtete über ihn unter der Überschrift "Ein Taliban in der Nationalversammlung".

Der Abgeordnete, der als dem Innenminister und konservativen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy nahe stehend gilt, hatte mit seinem Vorstoß bislang keine Chance. Auch das aktuell durch die konservative UMP dominierte Parlament wollte von solchen Plänen in großer Mehrheit nichts wissen, obwohl der UMP-Präsidentschaftsbewerber Sarkozy wiederholt Vorstöße unternommen hat, um das französische Prinzip der strikten Trennung von Kirche und Staat in Frage zu stellen.

Aber auffällig ist, dass der Rektor der Pariser Zentralmoschee, Dalil Boubakeur, den erwähnten Abgeordneten Roubaud in einem Dokument, das er auf seiner Pressekonferenz wenige Tage vor Eröffnung des Pariser Prozesses verteilte, als Unterstützer seiner Position zitierte. Boubakeur ist gewiss kein Fundamentalist und Republikfeind, sondern ein sehr staatstragender Herr, der dem amtierenden Präsidenten Chirac eng verbunden ist und ansonsten auch der Regierung der (nicht islamistischen) Republik Algerien nahe steht. Zugleich steht er einer der drei wichtigsten muslimischen Klägervereinigungen vor, die gegen Charlie Hebdo prozessieren, neben der oben zitierten und stockreaktionären "Islamischen Weltliga" sowie der mindestens rechtskonservativ zu nennenden UOIF (Union des organisations islamiques de France).

Neben den dreien klagten noch zwei bedeutungslose Vereinigungen, von denen die eine sich als Initiative und zugleich als politische Partei zum Schutze der Minderheiten versteht und die andere Strafgefangene muslimischer Konfession vertritt. Der Vertreter der letztgenannten Vereinigung, der als Nebenkläger am Prozess teilnehmen konnte, schwankte freilich zwischen einer Rechtfertigung seiner Klage und einer Unterstützung für Charlie Hebdo hin und her. Ihrem Vertreter schien es in seiner Prozessführung hauptsächlich darum zu gehen, sich nicht in seiner Zelle langweilen zu müssen, sondern bei der Verhandlung mitreden zu dürfen.

Boubakeur verkörpert in diesem Spektrum unter den drei größeren Klägerparteien den moderaten Flügel, der sich nach Auffassung vieler Beobachter auch deshalb an der Klage beteiligt hat, damit es zum Prozess anstatt zu Straßendemonstrationen komme. Ihm ging es also auch darum, die im vergangenen Jahr steigende Spannung zu kanalisieren. Aber als religiösem Oberhaupt wäre es ihm zugleich auch recht, die von ihm vertretene Gemeinschaft möglichst vor Kritik und Anfeindungen gefeit zu sehen - wobei eine allgemeine Bestimmung, die ihren Glauben vor jeglichen Schmähungen schützt, diesem Anliegen zweifelsohne in besonderem Umfang Geltung verschaffen würde. Nur begibt Boubekaeur sich an diesem Punkt in eine Grauzone, wo es schwierig wird zu unterscheiden, ob die Anklage sich vorwiegend gegen einen Rassismus gegenüber der muslimischen Minderheit und Einwanderern oder aber hauptsächlich gegen "Blasphemie" richtet. Letzteres bestreitet Boubekauer selbst übrigens, der in dem auf seiner Pressekonferenz verteilten Dokument ausdrücklich betont, er wolle nicht den längst abgeschafften Gotteslästerungsparagraphen wieder einführen. Daraufhin hätte er aber besser nicht den Abgeordneten Roubaud, der eine gegenteilige Auffassung vertritt, zugunsten seiner "Sache" zitieren sollen.

Charlie Hebdo verteidigt sich

Gegenüber diesen Anklagepunkten, bei denen sich de facto der Vorwurf der Diskriminierung gegenüber einer minoritären Bevölkerungsgruppe und jener der Entweihung des Religiösen miteinander vermengen, verteidigte sich Charlie Hebdo unter Berufung auf ihre Grundpositionen.

Dem Vorwurf, die beiden von ihr nachgedruckten dänischen Karikaturen böten Anlass zur Bildung eines "Amalgams" zwischen dem Islam als solchem und den extremen Erscheinungsformen des politischen Islamismus, begegnete die Zeitung unter Verweis auf die dritte angeklagte Zeichnung. Da ihr eigenes Titelbild in der Ausgabe vom 8. Februar 2006 einen Propheten darstellt, dem - ausweislich der neben der Karikatur stehenden Überschrift - "die Islamisten über den Kopf" wachsen und der sich bitterlich über die Zuneigung von "Deppen" beklagt, könne noch Zweifel an der erforderlichen Interpretation bestehen.

Ihre mit der Dokumentation der dänischen Karikaturen verbundene Absicht, so die Argumentation der Beklagten, sei notwendig "im Licht dieser Titelseite zu interpretieren". Also in dem Sinne, dass "die Instrumentalisierung der islamischen Religion durch politische Bewegungen, die in ihrem Namen zu handeln vorgeben", kritisiert werde - und nicht alle 1,2 Milliarden Muslime auf der Welt angeprangert würden. In diesem Sinne seien auch die kritischen Artikel zu lesen, die in der inkriminierten Ausgabe von Charlie Hebdo den Abdruck der Karikaturen aus Dänemark begleiteten. Tatsächlich wurden mehrere dieser Textbeiträge von Menschen verfasst, die muslimischer Konfession sind oder aus der Einwandererbevölkerung stammen, aber gegen den konservativen Islam und/oder gegen den radikalen Islamismus opponieren.

Ein Vorwurf der generellen Diskriminierung von Einwanderern aus (mehrheitlich) muslimischen Ländern lässt sich vor diesem Hintergrund schwerlich erheben. Mit der Ausweitung der Anklage auch auf die damalige Titelseite von Charlie Hebdo, die sich in ihrem Text klar auf "die Fundamentalisten" (les intégristes) bezieht, haben die Klägerparteien sicherlich einen taktischen Fehler begangen. Denn gerade an diesem Punkt lässt sich der Vorwurf, eine Gleichsetzung aller Muslime mit Extremisten und Terroristen zu praktizieren, wohl am wenigsten aufrecht erhalten.

Tatsächlich bleibt ansonsten ein Zweifel zurück, was die notwendige Interpretation insbesondere der Karikatur von Kurt Westergaard (Mohammed mit dem Bombenturban und brennender Lunte) betrifft. Mehrere der durch Charlie Hebdo selbst als Zeugen der Verteidigung zum Prozess berufenen Experten bzw. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zeigten sich äußerst reserviert gegenüber dieser umstrittensten Karikatur.

Der Franzose tunesischer Herkunft Abdelwahab Meddeb, Hochschullehrer in Paris, Philosoph und Islamexperte, der sich zum Atheismus oder mindestens Agnostizismus bekennt, etwa erklärt: "Ja, offen gesagt, diese Karikatur kann für manche beleidigend sein." Diese Darstellung des islamischen Propheten verweise auf eine uralte Vorstellung in Europa, die den Islam nur als fanatischen, kriegerischen und grausamen Konkurrenten des Abendlands wahrnehme. Um sich mit dem Islam auseinanderzusetzen, so forderte er, müsse man ihn mindestens kennen und dürfe nicht in Plattheiten verfallen. Er endete jedoch seine Ausführungen damit, dass er klipp und klar feststellte, er verteidige das Recht von Charlie Hebdo auf den Abdruck der Karikaturen, weil dies der Meinungsfreiheit und der offenen Diskussion engtspreche. Der Franzose christlich-libanesischer Herkunft Antoine Sfeir, Journalist und Experte für die arabischen Länder bei vielen bürgerlichen Institutionen, erklärte, er sei selbst beim Anblick dieser Karikatur "bewegt und schockiert" gewesen. Aber auch er wollte keine rassistischen Beweggründe bei Charlie Hebdo erblicken.

Eine Differenzierung, die bisweilen auf Messers Schneide steht

Die Wochenzeitung selbst bemühte sich in ihrer "Sonderausgabe zum Prozess", die am Vormittag der Prozesseröffnung erschien und aktuell noch bis kommenden Mittwoch an den französischen (sowie manchen deutschen) Kiosken zu finden ist, um eine Klarstellung ihres Anliegens. In ihrem Leitartikel beispielsweise bemüht sich Philippe Val, zwischen der Kritik an Ideen und der Attacke gegen Personen zu differenzieren, und macht diesen Gedanken an einem Zitat des Rektors der Pariser Moschee fest. Boubakeur hatte am 1. Februar in einem Wochenmagazin erklärt:

Es gibt keinen Unterschied zwischen der muslimischen Gemeinschaft (in Frankreich) und dem Kultus, der sie repräsentiert.

Eine Aussage, die insofern offenkundig nicht zutrifft, als rund drei Viertel der in Frankreich lebenden Muslime nicht regelmäßig praktizieren, sondern ihr Muslim-Sein sich im Wesentlichen darin erschöpft, kein Schweinefleisch und - mehr oder weniger - keinen Alkohol zu konsumieren.

Chefredakteur Val schreibt dazu:

Also gäbe es auch keinen Unterschied zwischen den Franzosen christlicher Kultur, die eine Mehrheit in Frankreich bilden, und dem katholischen Kultus? (...) Das ist genau, was uns die rechtsextremen katholischen Vereinigungen glauben machen wollen, die in den neunziger Jahren so viele Prozesse wegen 'antifranzösischen Rassismus' gegen uns geführt haben.

Eine Anspielung auf die Vereinigung AGRIF ("Allgemeine Allianz gegen den Rassismus und für den Respekt der französischen Identität") des rechtsradikalen Politikers Bernard Anton, die tatsächlich zahlreiche Verfahren gegen antiklerikale Aussagen und Karikaturen wegen "antifranzösischen bzw. antichristlichen Rassismus" angestrengt hat. Mit geringem Erfolg übrigens.

Einen wesentlichen Unterschied macht freilich aus, dass die französische und jedenfalls der Herkunft nach (nominell) christliche Bevölkerung in Frankreich oder Europa nicht als diskriminierte Minderheit gelten kann. Es ist ein Fakt, dass ein "arabisch klingender" Familienname in Frankreich ein Erschwernis auf dem Arbeits- und dem Wohnungsmarkt darstellt und dass die aus den Zeiten des Algerienkriegs stammenden Fantasmen gegen diese zahlreichste und den meisten Angriffen ausgesetzte Bevölkerungsgruppe weiterhin genährt werden. Grundsätzlich trifft es zu, dass ein Unterschied besteht zwischen Angriffen auf die Personen, die dieser Minderheit angehören, und den (religiösen oder ideologischen) Vorstellungen, die innerhalb einer solchen Bevölkerungsgruppe existieren - die aber nicht "angeboren", sondern kritisierbar und durch die Betroffenen auch abänderbar sind.

Charlie Hebdo macht diese Differenzierung zweifellos, und man wird ihr das Gegenteil nicht nachweisen können. Aber in anderen Fällen ist ebenso klar, dass eine vorgeschobene Kritik "allein der Religion" in Wirklichkeit sehr wohl darauf abzielt, die Personen der Minderheitsbevölkerung anzugreifen, zu provozieren und verächtlich zu machen. So trug der italienische rechtsextreme "Reformminister" Roberto Calderoli, ein Angehöriger der rassistisch-separatistischen Partei Lega Nord, im Februar 2006 im italienischen Parlament ostentativ ein T-Shirt mit der Mohammed-Karikatur von Kurt Westergaard. Bei ihm lässt sich die Rechtfertigung, er kritisiere nur die Fundamentalisten oder die klerikalen Reaktionäre im Islam, nicht aufrecht erhalten: Es wäre das Allerneueste, wären die italienischen Rechtsextremen auf einmal antiklerikal geworden. Der Rassismus der Lega Nord, die in ihrer Aufstiegsphase in den frühen 1990er Jahren noch offen verkündete, südlich von Rom - also schon in Süditalien - beginne "Afrika", wo "die Barbaren" hausten und wohin "keine Steuern mehr verschwendet" werden sollten, steht hingegen außer Zweifel. Aus Gründen der Staatsraison, d.h. aufgrund des befürchteten außenpolitischen Flurschadens, entließ der damalige italienische Premierminister diesen Minister seiner Rechts-Rechts-Koalition daraufhin allerdings binnen 24 Stunden.

Auch die Rechtspopulisten in Dänemark selbst, deren politischer Diskurs vor allem auf der Ablehnung der Einwanderung von Muslimen und außereuropäischen Immigranten basiert, wirken im Streit um die Karikaturen auf ähnliche Weise. Im Herbst 2006 versuchte ihr Jugendverband die Debatte nochmals anzuheizen und erneut Öl aufs Feuer zu gießen, indem er einen Preis für denjenigen auslobte, der die gehässigste, widerwärtigste und feindseligste Karikatur des Propheten Mohammed zeichne. Auch ihnen ging es offenkundig in allererster Linie darum, Folgen für das Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Bevölkerungszugehörigkeit und Glaubensrichtungen zu provozieren. Rassistische Spannungen waren in diesem Falle nicht ein unbeabsichtigt eintretender "Kollateralschaden", sondern das offensichtlich angestrebte Ziel.

Die Tatsache, dass die Regierung in Dänemark von der Unterstützung der Rechtspopulisten in Gestalt der "Dänischen Volkspartei" (DFP) im Parlament abhängt, dass das Land sich eine der härtesten Ausländergesetzgebungen in Europa zugelegt hat und dass die rund 170.000 Moslems im Land eher am Rande der Gesellschaft leben, die auf keine Einwanderungs-Tradition wie etwa die französische Gesellschaft zurückblickt - all dies hat 2006 sicherlich auch zur Eskalation der Spannungen in Dänemark selbst beigetragen.

Es wird also in dieser komplizierten und spannungsgeladenen Situation sehr genau darauf geachtet werden müssen, wer was und aus welchen Gründen äußert oder tut. Dies gilt für die Urheber etwaiger "islamkritischer" Auslassungen, wobei Rechtsextreme mit ihren Beweggründen sicherlich völlig anderes zu bewerten sind als etwa eine Zeitung mit scharf antiklerikaler Tradition wie Charlie Hebdo. Dies gilt aber ebenso auch für die Kritiker oder Ankläger solcher Ausdrücke von "Islamkritik bzw. -schmähungen". Rassistischen Motiven muss nachgegangen werden, notfalls auch mit Mitteln des Strafrechts. Aber ohne jenen nachzugeben, die gern durch die Hintertür die uralten Regeln zur Strafbarkeit der "Gotteslästerung" wieder einführen möchten.

Vor diesem Hintergrund und aufgrund der stattgefundenen Debatten besteht an einem Freispruch für Charlie Hebdo derzeit so gut wie kein Zweifel. Am späten Donnerstagabend forderte auch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft im Prozess einen solchen Freispruch. Das Urteil fällt am 15. März.