Der symbolische Staatsfeind Nr. 1

Gegen den Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski wurde im Vorblick auf die anstehenden Wahlen in Russland ein neues Verfahren eröffnet

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Anfang Februar gab die russische Staatsanwaltschaft bekannt, gegen den schon inhaftierten Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski ein neues Verfahren wegen „Aneignung ihm anvertrauten Eigentums“ und Geldwäsche zu eröffnen. Damit drohen Chodorkowski bis zu 15 Jahre mehr Haft. Doch hinter dem neuen Verfahren dürfte vor allem politisches Kalkül stecken, denn in diesem und nächsten Jahr finden in Russland Wahlen statt, bei denen mit einem Engagement Chodorkowskis zu rechnen gewesen wäre. Gleichzeitig spiegelt Chodorkowskis Schicksal auch das der in Russland tätigen NGOs wieder, die vom Kreml bei ihrer Arbeit behindert werden. Aus einem simplen Grund: Hhinter jeder unabhängigen Organisation vermutet der Kreml eine Gefahr für die eigene Macht.

Einst war Michail Chodorkowski der reichste Mann Russlands und ein gerngesehener Gast im Kreml. Doch der Gründer der Menatep-Bank und spätere Öl-Tycoon machte einen gewaltigen Fehler – er entwickelte eigene politische Ambitionen und träumte davon, selber Hausherr in der altehrwürdigen Machtzentrale an den Ufern der Moskwa zu werden, in die er oft eingeladen wurde. Dies missfiel dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Gemeinsam mit seinem Gefolge inszenierte er erfolgreich einen Prozess gegen den Oligarchen und machte ihn somit zum Staatsfeind Nummer 1, wegen angeblicher Steuerhinterziehung. Trotz hochbezahlter Anwälte und Proteste aus dem Ausland wurde Chodorkowskis Unternehmen Jukos aufgelöst und er selber zu einer achtjährigen Strafe verurteilt.

Im Mai 2005 trat Chodorkowski diese im fernen Sibirien an. Zusammen mit der Untersuchungshaft hat Chodorkowski mittlerweile die Hälfte seiner Haftzeit abgesessen. Nach russischem Strafrecht hätte er im Oktober dieses Jahres einen Antrag auf vorzeitige Entlassung stellen können.

Aus einer vorzeitigen Rückkehr aus Sibirien dürfte vorerst aber nichts werden. Bereits im Dezember letzten Jahres kündigte die russische Staatsanwaltschaft an, Chodorkowski erneut befragen zu wollen und verlegte ihn deswegen aus dem Straflager in das Untersuchungsgefängnis von Tschita. Am 5. Februar verkündeten die Nachrichtenagenturen, dass gegen den inhaftierten Unternehmer nun eine weitere Anklage erhoben wird, wegen „Aneignung ihm anvertrauten Eigentums“ und Geldwäsche. Eine gigantische Summe von 23 Milliarden Dollar soll Chodorkowski durch phantasievolle Steuersparmodelle mit Tochterfirmen und dubiosen Offshore-Firmen hinterzogen haben. Nach russischem Recht ein erheblicher Straftatbestand, der mit 10 bis 15 Jahren Haft bestraft wird. Problematisch daran ist nur, dass die staatsnahen russischen Energiekonzerne selber diese Praxis mit Billigung des Kremls anwenden.

Im Radiosender "Echo Moskwy" bezeichnete Chodorkowski-Anwalt Jurij Schmidt diese Vorwürfe als „total absurd“. Eine Feststellung, mit der er Recht haben könnte, denn in erster Linie dürften hinter den neuen Vorwürfen politische Gründe stecken. Im Dezember dieses Jahres finden in Russland Parlamentswahlen statt, im März 2008 die mit Hochspannung erwarteten Präsidentschaftswahlen. Bei beiden Wahlgängen wären die Interviews, die der regimekritische Chodorkowski westlichen Medien hätte geben können, ein Horror für Putin und seine Bürokratie, vor allem auch deshalb, weil man sich im Kreml bisher nicht auf einen Nachfolger Putins einigen konnte. Zudem hätten die bisherigen Machthaber auch mit einem erneuten Engagement von Michail Chodorkowski bei den Wahlen rechnen müssen, da der ehemalige Milliardär bereits in der Vergangenheit mit seinem Geld russische Oppositionelle unterstützt hat und es indirekt immer noch tut.

Die Aktivisten der von Chodorkowski gegründeten Organisation "Offenes Russland" arbeiten eng mit der Oppositionsbewegung "Anderes Russland" zusammen, dessen führende Köpfe der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow und der ehemalige Ministerpräsident Michail Kassjanow sind. Diese geraten aber durch die neu erhobenen Vorwürfe gegen Chodorkowski selber in ein negatives Licht, denn ein Teil der 23 Milliarden Dollar, die der Beschuldigte unterschlagen haben soll, ist nach Angaben der russischen Staatsanwaltschaft in die von Chodorkowski gegründete NGO geflossen. Ein Tatbestand, der die politischen Ambitionen von Kasparow und Kassjanow bremsen könnte, denn die vorwiegend gleichgeschaltete russische Presse würde dies im Wahlkampf sicherlich immer wieder betonen.

Angst vor den NGOs

„Demokratie ist die Macht des Geldes“, sagte einmal der seit 2001 im Londoner Exil lebende Ex-Oligarch Boris Beresowski. Diesen Satz müssen sich die Herren im Kreml tief in ihrem Gedächtnis eingeprägt haben, denn sie fürchten die von Spenden abhängigen NGOs wie der Teufel das Weihwasser. Anders wären die neuen Vorwürfe gegen Chodorkowski nicht zu erklären, auch nicht der, dass ein Teil der angeblich unterschlagenen Summe in die Organisation "Offenes Russland" geflossen sein soll. Schon in der Vergangenheit gab es immer wieder Klagen, die russischen Behörden behindern die Arbeit der in Russland engagierten Non-Government-Organisations, egal ob es sich um ausländische oder russische Stiftungen handelt. Selbst Treffen westlicher Politiker mit russischen Aktivisten, wie es sie zum Beispiel zwischen Angela Merkel und mehreren NGO-Vertretern während ihres ersten Russlandbesuchs als Kanzlerin gab, konnten die Lage der regimekritischen Organisationen nicht ändern.

Dies ist nicht verwunderlich. In einem wenig beachteten Teil seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz äußerte sich Wladimir Putin auch zu den in Russland tätigen NGOs. Dabei machte er Aussagen, die in der Aufregung um seine außenpolitischen Äußerungen untergingen, seine Furcht vor den NGOs jedoch auf den Punkt bringen:

These organisations (NGO’s) are formally independent, but they are purpose fully financial and therefore under control.

Diese Äußerungen richten sich an die aus dem Ausland finanzierten Organisationen, hinter denen Putin die Einmischung ausländischer Kräfte in die inneren Angelegenheiten Russlands vermutet. Die Politik jedoch, die Putin gegenüber russischen NGOs betreibt, wird von denselben Ängsten genährt. In den Augen des Kremls ist jede Organisation oder Institution, die sich nicht unter seiner Kontrolle befindet, eine Gefahr. Und wenn sie, wie "Offenes Russland", auch noch Oppositionsparteien unterstützt, dann erst Recht.

Die politischen Entwicklungen in den Nachbarländern bestätigen Putins Befürchtungen. Sowohl an der Orangenen Revolution in der Ukraine, wie auch am Sturz von Eduard Schewardnadse in Georgien, hatten NGOs, von denen einige aus dem Ausland finanziert waren, einen erheblichen Anteil. Tragisch war für Russland vor allem der Umsturz in der Ukraine, denn dieser hatte auch einen außenpolitischen Verlust zur Folge. Als Leonid Kutschma noch Präsident war, nahm Russland immer wieder Einfluss auf die innenpolitische Entwicklung der Ukraine. Den Machthabern im Kreml zeigte die Orangene Revolution jedoch auch, dass selbst Regime, von denen man meinte. sie seien gefestigt, egal ob durch Korruption, Wahlfälschung oder einer vom Staat kontrollierten Presse, nicht sicher sind. Eine Wiederholung der Ereignisse im eigenen Lande wäre aus der Sicht der Kremlbürokratie also auch möglich und sogar zu befürchten.

Um dieser Entwicklung entgegenzutreten, versucht der Kreml das Problem schon im Keim zu ersticken. In Russland bekommen es die NGOs und Regimekritiker jeden Tag zu spüren. Wenn sie dabei noch von Oligarchen unterstützt werden wie die Stiftung "Offenes Russland", dann sogar noch ein bisschen mehr.

Ob Chodorkowski und seine Sympathisanten nun ein besseres Russland haben möchten, kann man nicht sagen. Aber Chodorkowskis Schicksal ist ein Symbol für die momentane politische Situation in Russland, aus doppelter Sicht. Einerseits symbolisiert sein Schicksal die Unterdrückung von Regimekritikern, was schon jetzt andeutet, mit welchen Schwierigkeiten die Opposition bei den anstehenden Wahlen zu rechnen hat, einerseits ist seine mögliche Haftverlängerung auch ein Signal an die Oligarchen, sich weiterhin aus der Politik fernzuhalten und sich nur dem Reichtum hinzugeben – zum eigenen Wohle und zu dem des Kreml.