Aus Ernst soll Spaß werden

Die Bundeszentrale für politische Bildung plant, bildungsferne Jugendliche durch Multimedia und ein Serious Game zu erreichen - Teil 2

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23 Prozent der deutschen Gesellschaft fallen, gemäß den soziokulturellen Sinus-Milieus, unter die Definition von Bildungsferne. Die sogenannten "Hedonisten" und "Konsum-Materialisten", beides vorwiegend jugendliche und junge Milieus, haben negative Erfahrungen mit Bildung gemacht, die sie als Druck empfinden und nur instrumentell, zum Erreichen eines materiellen Ziels einsetzen. Ihre Mediennutzung dagegen ist überdurchschnittlich hoch. Fernsehen, Computer und Multimedia genießen große Anerkennung und bestimmen das Freizeitverhalten. Da liegt es auf der Hand, Medien auch für die Distribution politischer Bildung zu nutzen. Allerdings sind die Zielgruppen im Internet auf Unterhaltung, Kommunikation sowie Konsuminformationen aus, nicht aber auf Bildung im klassischen Sinn.

Schon im vergangenen Dezember hatte die Bundeszentrale für politische Bildung eine Expertise-Kommission zusammengetrommelt, an der Medienwissenschaftler, Pädagogen, Spieleentwickler und Fachjournalisten teilnahmen. Ziel war es, Ideen und Vorstellungen für ein Serious Game zu entwickeln, ein Computerspiel mit ernsthaftem Anliegen (Wie würde ich handeln, wenn ich israelischer Premierminister wäre?). Hintergrund dieses Engagements ist zum einen die Feststellung, dass die klassischen Formate der politischen Bildung an den genannten Milieus vorbeizielen. Und zum anderen die Hoffnung, dass Computerspiele per se als attraktiv wahrgenommen werden und somit auch ein Serious Game der Bundeszentrale als cool.

Die Botschaft ist das Spiel

Serious Games verzeichnen derzeit große Konjunktur. Eines der erfolgreichsten ist das 2005 entwickelte Spiel Food Force, welches das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen simuliert und trotz seiner Größe von 230 Megabyte schon vier Millionen Mal heruntergeladen worden ist.

Die Wirtschaftssimulation McDonalds Videogame stellt den kompletten Produktionsablauf der mächtigen Fastfood-Kette nach, vom Abroden des südamerikanischen Urwalds über Massentierzucht bis zum Hamburger auf dem Grill. Selbst Proteste von Globalisierungsgegnern geraten ins Kalkül. Hinter der "digitalen Parodie" steckt keineswegs die Fastfood-Kette, sondern das italienische Entwicklerteam von LaMolleIndustria. Ähnlichkeiten mit realen Konzernen und deren Geschäftspraktiken wären rein zufällig.

Auch Peacemaker, ein Spiel, das vom Konflikt im Nahen Osten handelt und den Spieler in die Position des israelischen Premierministers versetzt, hat viel Lob erhalten. Entwickelt wurde es an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, USA. Einer der Spieleentwickler, Asi Burak, erklärt sich den Erfolg von Serious Games mit einem Vergleich zum Dokumentarfilm: "Die Leute schauen sich keine Dokumentationen an, weil sie aus der Realität flüchten wollen, sondern gerade weil es Realität ist." Auf Spiele bezogen heißt das wohl, dass Serious Games von jenen genutzt werden, die den fiktiven Strategie-, Simulations- und Kampfspielen der Unterhaltungsgenres überdrüssig geworden sind und sich stattdessen für die Wirklichkeit (im Spiel) interessieren.

Auch Gonzalo Frasca, der Entwickler von September 12th und Madrid, zwei Flash-basierten Serious Games, argumentiert ähnlich: "Spiele können uns zum Nachdenken darüber anregen, was in der Welt geschieht."

Trojanische Pferde und unterschwelliges Lernen

Damit dürfte klar sein, welche Grundvoraussetzung ein Spieler für ein Serious Game mitbringen muss: dezidiertes Interesse und intrinsische Motivation. Wer sich nicht für das Problem der Welternährung interessiert, wem der brasilianische Urwald egal ist, solange die Hamburger schmecken, und wer das Gefühl hat, terroristischen Anschläge ohnehin ohnmächtig ausgeliefert zu sein, wird von sich aus kaum auf entsprechende Websites gelangen oder sich von derartigen Spielen belehren lassen. Es sei denn, das Spiel weiß seine didaktischen Impulse geschickt zu kaschieren.

Die meisten Serious Games sind daher auf Unterhaltung programmiert und weisen ein Gameplay mit mehreren Levels auf, wie man es von industriellen Spielen gewöhnt ist. Hinter reinen Unterhaltungsspielen müssen sich Serious Games kaum verstecken. Sie verbinden Bildungsziele mit Spaßfaktor und verzichten, im Gegensatz zu Edutainment-Titeln, auf den erhobenen Zeigefinger. Stattdessen setzen sie darauf, dass sich die Moral der Geschicht' über die Spielfreude vermittelt. Das nennt sich "stealth learning", getarntes, unterschwelliges Lernen. Man kann sich die gewünschte Mechanik als ein trojanisches Pferd vorstellen, das in einer falschen Verpackung ins Bewusstsein dringt und dort erst seine wahren Absichten entfaltet. Soweit die Theorie.

Didaktisch oder sexy?

In der Praxis muss sich ein Spiel allerdings als besonders attraktiv bewähren, attraktiver noch als reine Unterhaltungs-Games, die vom Marketing hochgejazzt werden. Für ein Serious Game der Bundeszentrale würde sich deshalb das vorderste Problem stellen, vom unter bildungsfernen Jugendlichen sicher als unsexy wahrgenommenen Image der Organisation ablenken zu können. Noch steht die Bundeszentrale mit ihrer Idee zu einem Serious Game ganz am Anfang. Völlig offen ist beispielsweise, ob ein Computerspiel entstehen soll oder ein Web- oder Mobile Game. Vielleicht ließe sich auch ein Serious Game innerhalb von "Second Life" ansiedeln? Werber und französische Politiker haben ihre Chancen längst erkannt. Warum sollten da politische Bildner keine Avatare mit didaktischem Auftrag unters digitale Volk entsenden?

Mit einem konkreten Vorschlag wartete Medienwissenschaftler Christoph Klimmt auf der Berliner Tagung auf. Seinen Vorstellungen zufolge könnte ein Serious Game eine "Lerneinheit Föderalismus" abbilden und "tief einsteigen in den Matsch der Landespolitik". Nach dem Motto "Jeder darf mal in die Haut von Stoiber oder Wulff schlüpfen" müssten die Spieler sich den Vorzügen und Fährnissen des Föderalismus aussetzen - in direkter Konkurrenz zu den Landesfürsten aus den anderen Bundesländern. Mal abgesehen vom hohen kommunikativen Aufwand, den ein solches Game sicher evozieren würde, fällt es schwer, sich einen "bildungsfernen Jugendlichen" auszumalen, den ein Föderalismus-Game begeistern könnte.

Auch von "hoher Anschlusskommunikation im Unterricht" war die Rede, und der Beobachter reibt sich verdutzt die Augen, wie das Serious Game nun plötzlich in die Schule gelangen konnte. Bestand nicht das Problem darin, dass die Zielgruppen einen Maximalabstand zu Bildungsinstitutionen halten, also auch zur Schule? Es wäre eine Fingerübung für die Bundeszentrale, ein Serious Game als Lernmittel zu entwickeln und über die Schulpflicht bildungsfernen Jugendlichen zu verordnen. Ein billiger Erfolg. Den annoncierten neuen "Modi der Ansprache" in "neuen sozialen Räumen" (Thomas Krüger) entspräche das aber wohl ebenso wenig wie einer "Entgrenzung der politischen Bildung als Disziplin". So beißt sich nur die Katze in den Schwanz.