"Zum Kotzen böse"

Berlin und wie man in ihm lebt und stirbt: Titus Kellers Krimi "Aussortiert"

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„Zu unsauber für Gott. Aussortiert. Hallelujah“ – solche und ähnliche, mit lila Tinte geschriebene Nachrichten finden Kommissar Kai Nabel und sein Ermittlungsteam immer wieder bei Ermordeten. Ist im Hochsommer in Berlin ein Serienmörder unterwegs, der den biblischen Racheengel gibt? Oder ist alles viel simpler?

Nach mehreren Morden spricht die Lokalpresse schon von der „lila Serie“, der anscheinend jeder zum Opfer fallen kann, der gewissen christlichen Moralvorstellungen nicht genügt. Die Mode geschehen im Pornokino, auf dem Straßenstrich oder im Fastfood-Restaurant. Erst als es auch den High-Society-Reporter Jimmy Kistner trifft, schwant es dem Berlin-Kreuzberger Kriminalhauptkommissar Nabel, dass es auch um etwas ganz anderes gehen könnte. Denn Kistner und Koks gehören so eng zusammen wie Mord und Grab.

Ab hier entwickelt sich eine Kriminalgeschichte voller gut inszenierter Überraschungen. Bis kurz vor dem Schluss bleibt man als Leser im Unklaren, man muss also rätseln, was wo und wie zusammengehört und liegt dann doch daneben. Hübsch ist die Figur Kai Nabel, der auch schon mal bessere Zeiten hatte und stetig zwischen Vollsuff und der Erfüllung seiner Dienstpflicht schwankt; oder anders, in seinen Worten gesagt, zwischen Depression und „dem vermaledeiten Preußentum des Lebens“. Die Welt erscheint ihm als „zum Kotzen böse, irreparabel“ und „an der Mordkommission gefiel ihm besonders, dass die Opfer tot waren und ihm nicht auf die Nerven gehen konnten.“

Das passt zur Umgebung, in der „Aussortiert“ über weite Strecken spielt. Die Berliner Stadtteile Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln werden in einer exakten und liebevoll-abseitigen Art beschrieben. Nach einem Mord im Schnellrestaurant etwa fragt einer der Zeugen die Polizei, „ob es für diese Aussage ein bisschen Zeugengeld gebe. Neuköllner Verhältnisse eben.“ Endlich einmal werden spannende Orte wie die Stadtteilpark Hasenheide oder das Neukölln und Kreuzberg trennende Paul-Linke-Ufer zu Schauplätzen von Spannungsliteratur.

Keller hat ein durch und durch realistisches Buch geschrieben; er zeichnet ein düsteres Bild von Berlin, ist dabei jedoch nie abfällig oder hämisch. Es wimmelt nur so von Klischees, aber der Umgang mit ihnen ist spielerisch. Wo Drogen, Geld und Konkurrenz im Spiel sind, kann für die Morde jeder verantwortlich sein: die Mafia - wahlweise bestehend aus Ukrainern, Türken, Arabern, Deutschen oder allen zusammen -, ein Einzeltäter oder die Polizei selbst. Wer in Krimis Überschaubarkeit sucht, sollte zu einem anderen Buch greifen, wer Verwirrung und Verstrickung mag, wird hier fündig.

„Aussortiert“ ist so leicht, unterhaltsam und spannend wie ein guter Tatort. Spannend bleibt das Buch auch nach der Lektüre. Titus Keller sei das Pseudonym eines bekannten deutschen Schriftstellers, erfährt man aus dem Klappentext. Hier sind nun auch wieder Detektive gefragt – mit sachdienlichen Hinweisen wenden Sie sich bitte an den Autor und die Redaktion von „Telepolice“.

Titus Keller: Aussortiert. Eichborn Berlin, Berlin 2007. 276 S., 18,90 Euro

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