Jederzeit auf Druckmittel zurückgreifen

Die Krise um die 15 festgehaltenen Marinesoldaten: Annäherungen zwischen Iran und England. Eine gescheiterte Entführungsaktion von US-Soldaten als Hintergrund für die Gefangennahme der britischen Seeleute?

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Kommen die 15 gefangenen britischen Marineangehörigen (vgl. Erpressung und Rechthaberei) bald frei? Und was werden sie erzählen? In einem Interview mit dem britischen Fernsehsender Channel 4 signalisierte der iranische Chef-Unterhändler Ali Laridschani gestern abend Entgegenkommen in der Krise zwischen den beiden Ländern. Das englische Außenministerium hat die diplomatische Offerte offensichtlich aufgenommen: Man bekräftigt seinerseits den Willen zum Verhandeln, zu bilateralen diplomatischen Gesprächen. Ob man, so die Bedingung Laridschanis, im weiteren Verlauf auf die "language of force" verzichten wird, wird sich noch zeigen. Die nächsten 48 Stunden seien „ziemlich entscheidend“ gab Premierminister Blair heute zu verstehen und deutete an, dass man jederzeit auf verfügbare Druckmittel zurückgreifen könne. Nach einem Bericht des Independent könnte eine gescheiterte Aktion von US-Streitkräften in Arbil Anfang des Jahres erst den Anlass für die gegenwärtige Krise gegeben haben.

"Wir sind nicht daran interessiert, dass diese Sache noch komplizierter wird", sagte gestern Ali Laridschani. Die Angelegenheit könne ohne Gerichtsverfahren gelöst werden, mit diplomatischen Mitteln, so der vorsitzende Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates in Iran: "Our priority is to solve the problem through diplomatic channels." Das englische Außenministerium ließ in einer ersten Reaktion wissen, dass man sich mit den Antworten Laridschanis noch eingehend befasse, bekräftigte aber, dass man "die Präferenz für bilaterale Gespräche" teile: Signale der Annäherung und Entspannung in der Affäre der 15 von Iran gefangen genommenen britischen Marineangehörigen, so wird es heute von vielen Kommentatoren gewertet.

Der wichtige Mann, so hat sich auch in diesem Konflikt herausgestellt, ist Laridschani, von dem andere Töne kommen als vom viel zitierten Ahmadinedschad, dem man Machtkompetenzen und Repräsentationsreichweiten unterstellt, die er nicht hat. Feststellen läßt sich, dass Ahmadinedschad für die westliche Öffentlichkeit immer wieder neues Eskalationsfutter ausstreut, das von westlichen Medien jedes Mal dankbar angenommen wird.

Verantwortlich für die eskalatorische Abweichungen ist aber auch die Öffentlichkeitspolitik der iranischen Regierung. Man kann zwar wie der Iran-Kenner Martin Ebbing den Standpunkt geltend machen, dass die iranische Führung in der Krise durchaus rational und berechenbar handelte und bis zum Zeitpunkt der Beweisvorlage durch die Royal Navy eine „Beilegung der Kontroverse auf 'technischer Ebene'“ anbot. Doch hat diese versöhnliche Sicht einen „blinden Fleck“, wie Ebbing selbst einräumt: die offensichtlich unter Druck erzwungenen Geständnisse der Gefangenen.

Was will man damit erreichen? Es kann dem Iran nicht entgangen sein, dass dies nicht nur gegen internationales Recht verstößt (womit der Iran sehr lax umgeht), sondern auch weltweit Empörung auslöst (was dem Iran wiederum nicht egal ist). Niemand glaubt, was die Gefangenen da sagen oder schreiben. Nach ihrer Freilassung werden sie allemal erzählen, wie es wirklich war, und jedes Bild und jeder Brief isolieren das Regime nur noch weiter. Den Vortrag, man habe mit allem Recht gehandelt, weil sich die Briten in iranischem Gewässer aufgehalten haben, mag niemand mehr zuhören.

Wem hat die demütigende Zurschaustellung genützt? Dem internationalen Ansehen Irans jedenfalls nicht, die Videos, die viele mit Geiselvideos aus dem Irak assoziierten, waren für Irans Ansehen sehr schädlich und bescheren dem Land im fortlaufenden Konflikt um sein Atomprogramm keine bessere Position.

So sehr Bush und Blair ihre Glaubwürdigkeit mit Spins und falschen Behauptungen im Vorfeld des Irak-Krieges verspielt haben – und im Falle Bush mit den Schauprozessen von Guantanamo weiter verspielen – so sehr haben die für die TV-Ausstrahlungen verantwortlichen Machthaber in Teheran dem ohnehin ramponierten Image des Landes zugespielt. Man darf gespannt sein, wie sich die iranische Regierung aus dieser Situation, welche die Isolation nur erhärtet hat, heraus manövriert.

Davon abgesehen bleibt nicht nur das Aufheizen der Gefangenen-Krise durch die Fernsehausstrahlungen unverständlich, sondern auch die überzogene Reaktion Irans , welche die Krise erst herbeigeführt hat. Musste man die 15 britischen Marineangehörigen tatsächlich gleich festnehmen und längere Zeit festhalten, ohne ihnen Kontakt zu konsularischen Vertretern zu gewähren? Weshalb dieser provozierende Akt? Man musste doch auch die Möglichkeit ins Kalkül ziehen, dass sich die Briten unabsichtlich auf die falsche Seite verirrt haben, sollte die Behauptung der Iraner denn richtig sein.

Gescheiterte Entführung von iranischen Führungsmitgliedern durch US-Truppen

Eine mögliche Antwort darauf liefert heute der Irak-Korrespondent des Independent Patrick Cockburn. Nach dessen Quellen, immerhin ein namentlich genannter Stabschef von Massud Barzani, dem Regierungschef der kurdischen Provinzregierung im Irak, hatten US-Streitkräfte am 11. Januar in Arbil versucht, zwei hochrangige Iraner zu entführen: Mohammed Jafari, den Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates in Iran und General Minojahar Frouzanda, den Geheimdienstchef der iranischen Revolutionsgarden. Keine unbedeutenden Männer also, nach Informationen von Cockburn, sondern Topleute aus der iranischen Führung. Beide sollen an diesem Tag offiziell zu Besuch beim irakischen Präsidenten Talabani gewesen sein. Der Versuch der amerikanischen Streitkräfte scheiterte, statt der Topleute wurden sie nur fünf jüngeren Offizieren habhaft, von denen in letzter Zeit mehrfach die Rede war.

Das Ziel der amerikanischen Aktion, sollte sie so geplant worden sein, wie Cockburn berichtet, verblüfft in seiner Kühnheit:

The attempt by the US to seize the two high-ranking Iranian security officers openly meeting with Iraqi leaders is somewhat as if Iran had tried to kidnap the heads of the CIA and MI6 while they were on an official visit to a country neighbouring Iran, such as Pakistan or Afghanistan.

Für den englischen Journalisten besteht kein Zweifel daran, dass die iranische Führung sehr wohl wusste, dass Jafari und Frouzanda Ziel einer amerikanischen Entführungsaktion waren. Er stützt dies u.a. auf Meldungen der iranischen Nachrichtenagentur IRNA, wonach Jafari angab, dass er zum Zeitpunkt der Aktion in Arbil war, und auf eine Aussage des iranischen Außenministers Mottaki gegenüber IRNA:

In a little-noticed remark, Manouchehr Mottaki, the Iranian Foreign Minister, told IRNA: "The objective of the Americans was to arrest Iranian security officials who had gone to Iraq to develop co-operation in the area of bilateral security.“

Weshalb US-Soldaten eine derartig brisante Mission unternahmen, darüber kann Cockburn auch nur spekulieren. Aufklärende Antworten aus Washington wird es dazu nicht geben. Feststeht allerdings, dass dieser Überfall stattgefunden hat und von Iran registiert worden ist. Der Schluss, den Cockburn daraus zieht, erscheint in diesem Licht nicht unplausibel:

Die gescheiterte Aktion in Arbil provozierte eine gefährliche Eskalation zwischen den USA und Iran, die letztendlich zur Gefangennahme der 15 britischen Marineangehörigen führte, die der Koalition angehören und offensichtlich als leichter erreichbares, weniger geschütztes Ziel betrachtet wurden als ihre amerikanischen Kameraden.