Sind Links Diebstahl?

Über einen Präzedenzfall des "Rechts zum Verlinken".

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Das Web hat für die Benutzer einen großen Vorteil: es ist mehr oder weniger dicht verlinkt. Das macht gerade seinen Netzcharakter aus und hat die Metapher des Surfens entstehen lassen. Manche sprachen wegen der vielen Hyperlinks gar von einem sich entwickelnden globalen Gehirn oder einer kollektiven Intelligenz, das sich durch die Verlinkung allmählich bilde. Links sind ein Ausdruck der netzspezifischen "Kultur des Schenkens", jedenfalls einer wechselseitigen Öffnung, von der alle Beteiligten - so glaubte man bislang - nur profitieren können, weil man dadurch die Aufmerksamkeit weiterleitet und überdies dem Nutzer die Möglichkeit eröffnet, sich selbständig weiter informieren zu können. Jetzt aber geht es nicht mehr nur darum, ob Links zu inkriminierten Inhalten selbst strafbar sind, sondern inwieweit man sie überhaupt legen darf, ohne möglicherweise des Diebstahls angeklagt zu werden.

Siehe auch den Beitrag über einen aktuellen Fall in Deutschland: Ab wann ist ein externer Link auf strafrechtlich relevante Inhalte selbst strafbar?

Links sind ein Beitrag zur Transparenz, zur Transformation der exklusiven Macht der Experten und gewissermaßen auch zur Demokratisierung, denn sie können zu den Kleinen und Großen gleichermaßen führen, die nur einen Klick weit voneinander entfernt sind. Natürlich, diese Egalisierung hat die großen Anbieter schon länger gestört. Man will seine Prachtbauten und Cybermalls nicht gerne in unmittelbarer Nachbarschaft der kleinen Heime oder gar der Slums wissen. Daher bauen jetzt viele ihr Angebot aus, um die Menschen exklusiv an sich zu binden, versuchen es mit Push-Techniken und legen möglichst keinen Link mehr nach außen. Viele der alten Zeitungen und Nachrichtenagenturen haben überdies ihren Stil beibehalten: sie geben die Informationen, aber legen keine Links zu den Quellen, als hätten sie Angst, dadurch ihre privilegierte Stellung zu verlieren.

Der Kampf um die Bindung der Aufmerksamkeit und Nutzer wird desto heftiger geführt, je mehr das Web kommerzialisiert wird und endlich Einkünfte einspielen soll. Auch die Metatags für die Suchmaschinen waren bereits ein Anlaß zur Klage, weil dadurch Konkurrenten geschützte Markennamen benutzen und sich dadurch bei der Suche besser plazieren könnten. Jetzt aber spielt die Werbung eine wesentliche Rolle, die meist dort plaziert wird, wo am meisten Menschen sich einklicken, also auf der Homepage. Noch aber hat das Web die "unerfreuliche" Seite, daß einzelne Inhalte auf einer Site auch direkt von außen verlinkt werden können. Der Nutzer, der einem Link folgt, muß dann nicht über die mit Werbung beladene Homepage, warten, daß sie endlich hochgeladen wird und schließlich suchen, was er eigentlich haben wollte (siehe auch Douglas Rushkoffs Kolumne über Online-Werbung), sondern er kann direkt zu der gewünschten Information gelangen. Das aber gefällt manchen nicht, die sich dadurch ausgetrickst fühlen und Angst haben, Werbeeinkünfte zu verlieren. Parasitär seien Links, mit ihnen stehle man sich etwas, was einem nicht gehöre.

Gerade gab es in Schottland eine richterliche Entscheidung über so einen Fall, bei dem sich eine etablierte Zeitung mit einer Online-Ausgabe - The Shetland Times Online - dagegen zur Wehr setzte, daß eine kleine Regionalzeitung - The Shetland News - frecherweise einfach die Titel von Beiträgen nahm und Links zu diesen setzte, ohne über die Homepage zu gehen. In erster Linie ging es dabei um den möglichen Verlust durch Werbeeinnahmen, begründet wurde die Klage seitens der Times aber durch die Verletzung des Copyright, schließlich seien auch Überschriften "originale literarische Werke". Letztes Jahr im Oktober verbot ein schottisches Gericht in dieser wichtigen Präzendenzfrage zunächst einmal vorläufig der Shetland News bis zur endgültigen Gerichtsentscheidung, weiterhin Links zu legen.

In der Begründung heißt es:

"Auch wenn literarischer Verdienst kein notwendiges Element eines literarischen Werkes sein muß, kann die Frage entstehen, ob Artikelüberschriften, die wesentlich kurze Hinweise auf die Themen der Beiträge sind, auf die sie verweisen, durch das Copyright geschützt sind. Gesteht man jedoch zu, daß eine Headline ein literarisches Werk sein könne, und weil die zur Verhandlung stehenden Headlines (oder zumindest einige von ihnen) acht oder mehr Worte lang sind sowie zum Zweck der Informationsmitteilung zusammengestellt wurden, erschien es mir diskutierbar, daß, zumindest in einigen Fällen, eine Verletzung des Copyright vorliegt."

Am 11. November 1997 wurde schließlich das Urteil - ein gefährlicher Link! - bekanntgegeben, das einerseits einen Kompromiß darstellt, aber, würde es sich allgemein durchsetzen, die Tür für weitere Beschränkungen öffnet. Die Beschuldigten dürfen zwar weiterhin Links direkt auf Beiträge auf der Website des Anklägers legen, aber nur unter der Bedingung, daß neben oder unter jedem Link die Legende "A Shetland Times Story" erscheint, die in genauso großen Buchstaben wie die verlinkte Headline veröffentlicht und dabei stets ein Button oder Icon mit dem Logo der Shetland Times plaziert und mit deren Homepage verlinkt werden muß.

Auch in den USA steht ein Prozeß über das "Recht zum Verlinken" an. Diesmal allerdings ist kein Kleiner angeklagt, sondern Microsofts Sidewalk. Ticketmaster beschuldigt Seattle Sidewalk, so die New York Times, daß die Links in das Angebot auf Kosten von Ticketmaster gingen. Direkte Verlinkung auf Unterseiten eigne sich etwas an, was jemand anderem gehöre. Ticketmaster hat damit begonnen, die Links auf seine Site von Sidewalk zu blockieren. So wird man das vielleicht neben Gerichtsprozessen in Zukunft technisch lösen.

Mag ja sein, daß das Web möglicherweise der Welt Frieden bringt, wie der Digerati Nicholas Negroponte unlängst auf einer Konferenz in Brüssel den Europäern erzählte, um ihnen einzuschärfen, vor allem die Telefongebühren zu senken. Der Nationalismus könnte vielleicht, obgleich wenig dafür spricht, weniger attraktiv werden, wenn man sich ohne große Mühen Informationen über jedes Land aus dem Netz holen kann, aber die Sicherung der Marktanteile könnte dann doch wieder zu neuen Mauern führen, durch die kein Link mehr hindurchführt. Schließlich ginge es nach Negropontes eigenen Worten um einen Markt von über 300 Milliarden Dollar im Jahr 2001. Aber ob dieser Markt seine Schätze preisgeben wird, wenn man eine seiner wesentlichen Eigenschaft, die Links, abzukappen beginnt, scheint doch fraglich zu sein. Fernsehen, Radio und Zeitungen haben wir schon - und das neue Medium wird nur an Attraktivität verlieren, wenn man es den alten nur anpaßt, läßt man einmal das eher kulturelle und politische Moment des Zugangs zu Informationen ganz außer Acht.

Und möglicherweise haben wir uns mit diesem Beitrag und den Links, die tief ins "Herz" von anderen Informationsanbietern führen, schon des Diebstahls strafbar gemacht.