Regionalisierung als Kehrseite der Globalisierung

Von einem neuen Vorschlag, die Solidarität der Gemeinschaft in der "unternehmerischen Wissensgesellschaft" aufzubrechen.

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Wir sprechen immer von Globalisierung, die heute alles verändert. Die Rede von der Globalisierung erweckt den Eindruck, als ginge es vornehmlich um die Überschreitung bislang bestehender Grenzen zu größeren Gebilden und einem freieren Fluß von Daten, Menschen oder Gütern. Aber das ist nur eine einseitige Perspektive, die durch zunehmende Regionalisierung und Balkanisierung unterhalb der Ebene der Nationalstaaten ergänzt wird.

Die Trends für den Prozeß der Bildung kleinerer, aber global vernetzter Einheiten sind unübersehbar. Regionen, Städte oder Stadtviertel lösen sich aus ihrem Umfeld, schließen sich ein und versuchen, vornehmlich aus ökonomischen und Sicherheitsgründen, sich als attraktiver Standort zu präsentieren. Extreme Formen dieser Herauslösung aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang sind die bewachten Wohnsiedlungen, Malls, Einkaufszonen und Freizeitzentren, aber auch Projekte, unabhängige Kleinststaaten zu schaffen, während auf der anderen Seite, auf der Seite der Globalisierungsverlierer, die Neigung besteht, sich in ethnisch oder kulturell "gesäuberten" Gebieten und Vierteln einzuschließen, oder der Zwang entsteht, in solchen Slums leben zu müssen, die wie schwarze Löcher sind und möglichst von niemandem mehr betreten werden, der dort nicht wohnt.

Separatistische Bewegungen der Globalisierungsgewinner sind mittlerweile an der Tagesordnung. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien etwa nahm seinen Anfang, weil sich die reicheren Regionen Slowenien und Kroatien unter anderem auch deswegen aus dem Staatenbund herausgelöst haben, weil sie nicht mehr bereit waren, die ärmeren Regionen mit zu finanzieren. In Norditalien oder bei den Katalanen ist eine ähnliche Tendenz zu bemerken, und in vielen Mega-Cities der Welt ist diese Wirklichkeit bereits Alltag.

Die USA, das führende Land der Informationsgesellschaft, in dem die Informationstechnologie bereits zur führenden Industriebranche und das jetzt in einer Untersuchung als "Cybernation" getauft wurde, sind auch in der westlichen Welt führend, was die Segmentierung der Gesellschaft angeht. Das liegt auch an der Politik. Wenn Steuereinnahmen nicht einer nationalen Umverteilung unterliegen, wachsen die Gefälle zwischen Gemeinden, Regionen, Ländern und Stadtvierteln. Und die wachsende Kluft führt zu einer immer größeren Entsolidarisierung der Gesellschaft, was sich auch daran zeigt, daß etwa die Sozialhilfe gekürzt und den Ländern anheimgegeben wird, so daß in der Konkurrenz ein Dumping stattfindet - und die ärmeren Menschen von den reicheren Standorten gewissermaßen out-gesourct werden.

Bislang war Deutschland noch eine Oase: eine Gesellschaft mit einem Sozialvertrag, der Umverteilung und Lastenausgleich einschloß. Die Wiedervereinigung mag die Belastung, zusammen mit der allgemeinen Tendenz zur Steuerflucht von Unternehmen und Einzelnen, verstärkt haben. Wahrscheinlich ist die Aussicht auf ein enger zusammenrückendes Europa auch ein Motiv, die Regionalisierung zu favorisieren, da das Wohlstandsgefälle immer noch recht groß ist. Die reicheren Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg haben die Wohlstandsregionalisierung schon länger auf ihr Banner geschrieben, aber jetzt scheint es allmählich ernst zu werden.

Noch ist es nur ein Vorschlag gewesen, den der CSU-Generalsekretär Porzner vorgetragen hat, die Sozialbeiträge nicht mehr bundesweit festzulegen, sondern deren Höhe den einzelnen Ländern zu überlassen. Aber dieser Vorschlag liegt im Trend der Zeit. Stoiber hat auf dem CSU-Parteitag nachgezogen, und auch Sachsens Biedenkopf sieht das Heil in der Regionalisierung, d.h. der verschärften Konkurrenz der Standorte. Das Tabu bröckelt. Regionalisierung heißt für Porzner, daß die "Länder, die eine gute Wirtschaftspolitik machen, viel niedrigere Beiträge als schlecht regierte Länder" haben.

Gut, daß Sachen und Bayern schon vor langem eine "Kommission für Zukunftsfragen" eingesetzt haben, die am 25. 11. 1997 - werden ausführlicher darüber berichten - ihren Abschlußbericht vorgestellt hat und gleich nachhakt. Nachdrücklich wird betont, daß man eine weitere "Spreizung" von Vermögens- und Einkommensanteilen in der "unternehmerischen Wissensgesellschaft" - ein schöner Ausdruck - gefälligst hinzunehmen habe, damit es uns dadurch irgendwann allen besser gehe. Man könne die Wohlhabenden immer weniger "packen", daher ginge es um mehr "Eigenverantwortung" der einzelnen und eben auch um größere Regionalisierung. Nur so können bestmögliche Problemlösungen geschaffen werden, und würden sie nicht durch Ausgleich verwischt. Nur für Ostdeutschland schlägt man, wohl dank Sachsens Beteiligung, das allerdings nicht gesichert zu den "Gewinnern" zählen muß, einen zeitlich befristeten Sonderstatus vor. Man wird also weiterhin darum feilschen, wer vor der Konkurrenz der Standorte geschützt werden soll.

Die Standortkonkurrenz wird, egal ob nun die Politik wirklich dabei eine Rolle spielt, von den reicheren Regionen betrieben, die auf den Egoismus der Wähler setzen und vor allem voraussetzen, daß die Bereitschaft sinkt, einen Solidarausgleich zu leisten. Reich ist man halt stets durch eigene Leistung, und arm ebenso. Das ist der Zynismus oder vielleicht bloß die Naivität der Reichen, die, endlich vom sozialen Gewissen befreit, das Ihre ungeschmälert in Anspruch nehmen und unter sích bleiben wollen.

Käme eine derartige Regionalisierung zum Zuge, so würde die Abwärtsspirale erst recht einsetzen: Mehr Arbeitslose und weniger industriell entwickelt heißt, höhere Renten- und Krankenkassenabgaben, höhere Sozialhilfe, was zum Sinken des Lebensstandards führt, während die reicheren Regionen weniger Abgaben anbieten können und dafür einen besseren Service leisten. Das allerdings könnte dann zu einer neuen Migration der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger zwischen den Bundesländern führen. Aber Bayern würde sich dann wohl schon auch etwas einfallen lassen, um für diese unerwünschten Zuwanderer neue Grenzen zu errichten. Geht die Regionalisierungsspirale aber erst einmal los, so ist ihr nach unten keine Grenze gesetzt. Wie kommen Stoiber oder Biedenkopf nur darauf, daß sie meinen, die Regionalisierung würde an den Grenzen der Bundesländer haltmachen. Dann heißt es München gegen Nürnberg, Passau oder Würzburg, München gegen die Gemeinden des Umlandes oder Grünwald oder Bogenhausen gegen Hasenbergl oder Laim am Berg.

Siehe auch:
Der Bau der neuen Mauer
Die soziale Utopie des Neoliberalismus
Über das Ziehen von Grenzen
Grenzen - ein Gespräch mit Ernst Ulrich v. Weizsäcker
Europäische Städte, die Informationsgesellschaft und die globale Ökonomie
Die neue Zentralität Cyber Paulista
Tendenzen der Stadtentwicklung