Behinderte und das Internet

Ein Überblick

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Behinderte haben es ohnehin schon schwerer als nichtbehinderte Menschen. Meist müssen sie große Anstrengungen unternehmen, um die normale Arbeitsleistung von Nicht-Behinderten zu erreichen. Das Medium Internet bietet sich nun an, herkömmliche Probleme etwa in der Informationsbeschaffung zu umgehen und dem Körperbehinderten die Chance zu eröffnen, leistungsstark arbeiten zu können. Doch stimmt das wirklich?

Siehe auch das Interview mit K. Warnke und A. Bethke vom Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten.

Ist einmal die entsprechende PC-Lösung besorgt, kann der PC als Arbeitsmittel auch Körperbehinderten gute Dienste erweisen. Vor allem Telearbeitsplätze sind hier besonders interessant, denn die Investitionskosten für Zusatz-Hard- und Software sinken konstant bei gleichzeitiger Leistungserweiterung.

Die Programmierservice GmbH, eine Tochter der Rehabilitationseinrichtung Pfennigparade beschäftigt mehr als 150 Körperbehinderte als Programmierer, die per Standleitung mit der Zentrale verbunden sind. Weitere Standorte neben München, Augsburg und Stuttgart sind geplant, wofür neue Mitarbeiter gesucht werden. Mit zum Erfolg dieser Firma trägt bei, daß sie als gemeinnützig anerkannt ist und somit Dienstleistungen kostengünstiger anbieten kann. Auch die auftraggebenden Firmen (BMW, Siemens) profitieren davon, denn sie können 30% der Auftragssumme auf ihre eigene, gesetzlich vorgeschriebene Schwerbehindertenquote anrechnen.

Auch das Telehaus "Wetter" bei Marburg bietet körperbehinderten Frauen Arbeitsplätze und eine fundierte Ausbildung an. Fernarbeitsplätze für Behinderte als Integrationsmöglichkeiten des Berufslebens werden in einem Forschungsprojekt an der TU Hamburg-Harburg untersucht. Diese Studien sollen öffentliche Einrichtungen ermuntern Fernarbeitsplätze für körperbehinderte Akademiker zu schaffen. (Forschungsprojekt Harburg. Hier sind mehrere Links versammelt, die zu behindertenrelevanten Sites führen, etwa zu Siemens, zum Förderverein Technologie Behindertenhilfe, der mit dem gleichnamigen Forschungsinstitut an der Fernuni Hagen verwurzelt ist. Ein Online-Magazin für Behinderte liefert aktuelle Infos.)

Blinde und Sehbehinderte

Diese Behinderten haben größere Probleme im Umgang mit dem Internet als andere, da das Internet längst nicht mehr nur aus Text besteht, sondern inzwischen zunehmend graphisch gestaltet wird. Auch Frames machen es Sehbehinderten nicht einfacher.

Im Juni 1997 hat der deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) in Marburg zusammen mit IBM eine Internetseite kreiert, die Blinden als Startseite dienen kann, wenn sie rund um ihre Behinderung weitere Informationen suchen. So ist hier die Vereinszeitschrift Marburger Beiträge und Horus zu finden, eine Übersicht von Fachliteratur auf Tonkassetten und Mailinglisten. Der DVBS bietet auch Internet-Workshops an, der nächste wird Mitte Januar in Marburg stattfinden. Eine größere Auswahl an blindenrelevanten Netzseiten hat der DVBS auf seiner Homepage zusammengestellt. Hier finden sich beispielsweise Links zur Behindertenberatung des ASTA der FU Berlin, zu Aktion Sorgenkind, zur deutschen Blindenstudienanstalt in Marburg, zur Stiftung Blindenanstalt in Frankfurt/Main, etc.

Dem Gang ins Internet gingen bereits zwei Jahre Secondment (Hilfe zur Selbsthilfe) von IBM voraus. Man spendete nicht nur Server, sondern eben auch Know-How. In dem Projekt "ERBUS" ging es darum, graphische Oberflächen für Blinde zu erschließen. Daraus entwickelte sich das Unterprojekt EASY, das als Informations- und Dialogsystem den Internetzugang für Blinde explorierte.

Hardware und Software

Körperbehinderte benötigen neben dem üblichen Equipment zusätzlich technische Hilfsmittel zur Texteingabe, zum Navigieren und bei Blinden auch für die Sprachausgabe. Zusätzlich ist die entsprechende Software nötig, um die Verbindungen herzustellen. Die individuellen Erfordernisse variieren und müssen immer ganz genau abgestimmt werden.

Ein großes Problem für viele Behinderte sind die normalen Tastaturen. Menschen mit schweren motorischen Störungen brauchen Großfeldtastaturen, Contergangeschädigte und Einhänder etwa sind auf Kleintastaturen angewiesen, Muskeldystrophiker benötigen Minitastaturen, die mit geringstem Kraftaufwand bedient werden können.

Siemens Nixdorf bietet als Tastaturersatz auch die Kommunikationshilfe Lucy an, die mit einem Laser, einer Maus, einem Joystick, einem Trackball oder mit verschiedenen Schaltern bedient wird. Die Bedienerseite besteht aus 88 Feldern, die mit Leuchtdioden bestückt sind und Buchstaben und/oder Steuerzeichen enthalten. Die Eingabe mit dem Laser ist für Menschen gedacht, die den Kopf besser bewegen können als die Hand und so Befehle übermitteln können. Über einen optischen Sensor werden horizontale wie vertikale Kopfbewegungen verfolgt und in direkte Bewegungen des Mauszeigers auf dem Bildschirm umgesetzt.

Als Alternative zu der herkömmlichen Maus gibt es sogenannte Tastenmäuse, die acht Richtungstasten sowie linke und rechte Maustaste und eine für drag and drop aufweisen. Eine weitere Möglichkeit stellen Taster und Sensoren dar (Berührungs- oder Akkustiksensoren). Diese Geräte erfordern jedoch eine zusätzliche Übersetzungseinrichtung, etwa einen Maussimulator, der die Tastenbetätigung in Mausbefehle transformiert. In der Forschungsphase befinden sich noch bioelektrische Interfaces, die Körpersignale direkt in Computerbefehle umwandeln. Damit könnten Schwerstbehinderte alleine mit ihren Augen sich im Internet fortbewegen.

Eine weitere Option in der Texteingabe ist Spracherkennungssoftware. IBM gilt als international führendes Unternehmen in diesem Bereich und bietet mit seinem neuesten Produkt "Via Voice 4.1" eine intelligente Software an, bei der man kontinuierlich diktieren kann, ohne Pausen zwischen den Wörtern machen zu müssen, die eine 95%ige Spracherkennungsrate hat und neben Deutsch auch in Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Chinesisch bedient werden kann. Die Spracherkennungssoftware setzt allerdings leistungsfähige Rechner voraus (32 MB). Wenn IBM noch eine Navigationszentrale in diese Software integriert, wie auch vorgesehen, bietet diese Softwarelösung eine wirkliche und relativ kostengünstige Option für Sehbehinderte und Blinde an, die keine Sprechprobleme haben.

Blinde und Sehbehinderte benötigen - falls ein größerer Monitor und eine größere Schrift nicht ausreichen - zusätzlich eine Sprachausgabe oder eine Braillezeile. Sprachausgabegeräte können über die Tastatur eingegebene Texte aussprechen und bieten so eine Korrekturhilfe. Andere Sprachausgabesysteme, etwa "Pro Verbe" von Etex, lesen ganze Bildschirminhalte vor und ist auch gut für die Arbeit mit dem Internet geeignet. Etex bietet überdies Komplettlösungen für Behinderte an, wozu ein Scanner gehört, der Textdokumente automatisch digitalisiert und anschließend vorliest. Die Kosten liegen allerdings bei knapp 3000 DM.

Die Alternative ist die Braillezeile, die bis zu 80 Zeichen des Bildschirminhaltes in Brailleschrift darstellt, also in Blindenschrift. Jedes dieser 80 Zeichen besteht aus bis zu acht Piezo getriebenen feinen Nylon- oder Metallstiften, die von den Blinden ertastet werden. Die Brailleschrift setzt die Buchstaben des Alphabets und andere Schriftzeichen in bis zu sechs Punkte um (beim Computer bis zu acht). Moderne Braillezeilen ermöglichen auch die Steuerung des Cursors oder Simulationen der Maus.

Bei der Arbeit mit dem Internet arbeiten Blinde mit rein textorientierten Browsern (etwa LYNX unter DOS). Je nach graphischer Gestaltung der Homepage gelingt die Übersetzung mehr oder weniger gut. Schwierig sind Homepages mit Frames, Tabellen oder graphischen Buttons. Das Design für einen bestimmten Browser läßt diese Zielgruppe außen vor.

Große Computerkonzerne wie IBM oder Siemens Nixdorf entwickeln nicht nur Hard- und Software für Behinderte, sondern bieten auch Dienstleistungen, Beratung, Konfiguration, etc. an. Bei Siemens heißt dieses Projekt Computer helfen heilen