Nie wieder Lügen?

Ein Lügendetektor für jedermann und für jede Gelegenheit.

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Man weiß ja, daß viele Menschen lügen, schwindeln oder zumindest gerne etwas hinterm Berg halten. Geben Politiker Pressekonferenzen oder werden in einem Interview befragt, so kann man jetzt Zuhause in Echtzeit überprüfen, ob sie die Wahrheit sagen. Liebespartner, die anrufen, weil sie noch dringend einen Arbeitstermin haben und daher später kommen, lassen sich auf Unsicherheiten testen. Ruft man irgendwo an, um sich ein Angebot für einen Kauf geben zu lassen, hört man gleich, wie der Verkäufer es meint. Meldet man sich beim Arbeitgeber krank, dann muß man sich in Zukunft vielleicht anstrengen, wenn man nur etwas daneben ist oder anderes vor hat.

Wir treten in ein "neues Zeitalter" ein, meint die israelische Firma Makh-Shevet, die jetzt ihren Online-Lügendektor "Truster" für 149 US-Dollar auf den Markt gebracht hat. Im März 1998 soll die deutsche Version kommen und unsere Kommunikation beeinflussen.

In Verbindung mit einem Computer und einer Soundkarte können mit "Truster" in Echtzeit Gesprächspartner am Telefon und mit einem Mikrophon Äußerungen im Fernsehen oder Radio oder alle, mit denen man Face-to-face spricht, auf ihre Glaubwürdigkeit mit einer angeblichen Trefferquote von 85 Prozent überprüft werden.

Die Soundkarte digitalisiert die Stimme und speichert sie ab. Dann wird die "versteckte Botschaft" von "Truster" anhand einer Stimmanalyse auf Wahrheit, Unsicherheit, Verwirrung, Übertreibung, Ungenauigkeit oder Aufgeregtheit überprüft. Die Ergebnisse über den emotionalen Zustand der Person werden am Monitor angezeigt. Rote und grüne Lichter geben etwa Unterschiede im Grad von Wahrheit oder Lüge an. Leuchten alle auf, so ist das der Hinweis, daß der Gesprächspartner aller Wahrscheinlichkeit nach gelogen hat.

Eingesetzt werden könnte er bei Verhandlungsgeprächen, Personaleinstellungen, Meldungen von Kreditkartenverlust oder Versicherungsschäden, an Grenzen oder anderen Kontrollen wie am Flughafen. Aber jetzt können eben nicht nur Behörden oder Firmen, sondern jedermann kann zu jeder Zeit und an jedem Ort - mit einer tragbaren Version, die gerade entwickelt wird und die Analysen über einen im Ohr versteckten Hörer - seinen Wahrheitstest an seinen Mitmenschen ausführen, wenn er diese nur zum Sprechen bringt. Die Antworten müssen allerdings ein wenig länger als nur Ja oder Nein sein, denn sonst werden sie von Truster nicht erfaßt. Vielleicht werden daher die Telefongespräche kürzer und die Antworten knapper, weil man ja nie wissen kann, ob einen der andere gerade abcheckt.

Wir werden eine leichte Veränderung der Welt erleben. Wir wissen, daß das Produkt umstritten ist, aber jetzt liegt es an jedem selbst zu entscheiden, wie er es auf die sinnvollste Weise einsetzt.

Tamir Segal, CEO von Makh-Shevet

Truster könnte wegen seines geringen Preises tatsächlich ein Renner werden, wenn er sich als einigermaßen verläßlich erweist. Die Hersteller empfehlen nicht, den Liebespartner oder Freunde damit zu überprüfen. Das würde sie selbst auch nicht machen - oder vielleicht doch manchmal? Sie preisen "Truster" als Entscheidungshilfe an, wenn man beispielsweise ein "wichtiges Geschäft abschließen, ein neues Auto kaufen, einen Babysitter oder Personal für das Büro einstellen will." Man werde jeden Tag neue Einsatzmöglichkeiten finden.

Wer sowieso nicht an die Ehrlichkeit der Menschen glaubt, für den könnte Truster, so die Hersteller, gar ein Mittel sein, um das Vertrauen zu den anderen Menschen wieder zu finden: "Wir haben entdeckt, daß die Menschen normalerweise die Wahrheit sagen und nur dann lügen, wenn es für sie wichtig ist. Aber wenn sie lügen, dann ist genau der Zeitpunkt gekommen, wo man das wissen will." Sie versichern natürlich, daß jeder den "Truster" letztendlich nur benutzen wird, um sich zu schützen, und nicht, um andere zu schädigen: "Wir glauben, daß es da draußen Wahrheit gibt."

Egal, wie man "Truster" einsetzt, so wird die Kommunikation mit anderen, vor allem dann, wenn man ihn nicht wie beim Telefonieren sieht, von einem wachsenden Mißtrauen begleitet werden. Dieser erste alltägliche Einsatz von "Affective Computing" erweitert die panoptische Gesellschaft, bislang bewehrt mit Videokameras, Lauschmikrophonen, Bewegungsmeldern, Identifizierungsmechanismen jeder Art, Überwachungssatelliten, Insektenrobotern, virtuellen Agenten oder Censorware fürs Internet, um ein bedenkliches Ausmaß. Nicht Big Brother ist die Gefahr, sondern die Verwandlung aller in Little Brothers, die sich gegenseitig abchecken und nach Möglichkeiten suchen, der unerwünschten Aufmerksamkeit zu entgehen. Das Zeitalter der Transparenz könnte endgültig zum Zeitalter der großen Verstellung und der permanenten Vorsicht werden.

Fürs erste aber werden die Telekoms über Truster nicht glücklich werden. Wer weiß oder glaubt, daß der andere einen überprüft, wird möglichst auf Sprechen verzichten. Das könnte zu einer Renaissance des Schriftlichen führen, zumindest aber Emails wieder wichtiger machen. Die lassen sich zwar auch mit neuen KI-Methoden überwachen, aber man hat doch noch die Chance, mit semantischen Tricks die "versteckte Botschaft" nicht zu offenbaren.

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