Hacker und der Staat

Die Welt ist einfach kompliziert.

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Es war wie eine konzertierte Aktion, die natürlich Verschwörungstheorien entstehen ließ, als nach der Bekanntgabe, daß Hacker mit einem der "am besten organisierten Angriffe", wie der amerikanische Vizeverteidigungsminister John Hamre sagte, in viele Netzwerke des amerikanischen Militärs eingedrungen seien. Zwar seien sie nicht an geheime Informationen gelangt, aber die Attacke genügte offenbar, daß Janet Reno kurz darauf die Absicht bekanntgab, eine neue nationale Behörde zur Verfolgung von Cyberkriminalität zu schaffen. Der Eindruck konnte also leicht entstehen, es handele sich um ein abgekartetes Spiel mit der Angst, die in dem altbekannten Schema der politischen Strategie von Law and Order den Ausbau der staatlichen Macht legitimiert. Wahrscheinlich aber ist alles, wie meist, ein wenig komplizierter.

Verdächtigt werden zwei amerikanische Teenager, in die Computer des Militärs eingedrungen zu sein. Schaden hatten sie offenbar keinen verursacht, bislang wurden sie auch nicht festgenommen. Für sie sei es ein Spiel, ein Abenteuer gewesen, in die Computersysteme des amerikanischen Militärs einzudringen, bekannte Makaveli, einer der beiden, in einem Chat. Das verleihe Macht. Aber als der Fall in den amerikanischen Medien Aufmerksamkeit fand, meldete sich gleich ein weiterer Hacker, der sich Analyzer nennt und behauptet, der eigentliche Kopf hinter dieser Attacke zu sein, der den Verantwortlichen die Kenntnisse beigebracht habe.

Analyzer erzählte, daß er 18 Jahre alt sei und zu mehr als 400 Servern des amerikanischen Militärs einen Zugriff auf der Ebene eines Systemadministrators habe. Er bekannte überdies den delikaten Sachverhalt, daß er einer Internet-Underground-Gruppe in Israel zugehöre, also kein Amerikaner sei. Über seine Motive ließ er sich nicht groß aus. Es eine Herausforderung, in die Systeme einzudringen und die Schwachstellen zu zeigen. Das käme doch schließlich den Betroffenen zugute, da er dabei nichts lösche oder verändere, auch wenn er behauptet, jeder Zeit durch die Einrichtung von "Trojanischen Pferden" Zugang zu diesen Systemen zu haben.

Vor kurzem gab Analyzer einem Journalisten der israelischen Zeitung Walla News ein weiteres Interview in einem McDonalds Restaurant in Tel Aviv. Dort meinte der 18-Jährige, daß er jemand gebraucht habe, der ihm folge, weil es eine Verschwendung sei, wenn sein ganzes Wissen einfach verloren gehe. Er habe Makaveli gewarnt, seine IP zu benutzen. Aber die beiden seien nicht, so betont er, in einen Computer eingebrochen, sondern hätten nur einmal seine umfangreiche Liste von Passwords durchprobiert. Insgesamt habe er einen Systemadministrator-Zugang zu 1000 Internet Servern und auf diesen 120000 Accounts. Er zerstöre niemals etwas, es gehe ihm nur um eine Herausforderung: "Normalerweise leiste ich einen guten Dienst, weil ich jedes Sicherheitsloch schließe, das ich finden kann. Das ist das erste, was ein Hacker macht, wenn er eingedrungen ist." Das mache er, damit keine anderen Hacker mehr eindringen können und den Hack für sich beanspruchen können. "Damit dokumentiere ich meinen Besitz an diesem Server und markiere mein Territorium." Ihm gehe es nicht um Politik oder Geld, sondern nur darum, bis an die Grenzen seines Könnens zu gehen. Mit seiner Gruppe IIU - Israel Internet Underground - sei er auch in den Knesset-Server eingedrungen, habe aber nur auf der Page von Weitzman die Bemerkung hinterlassen, wann diese denn einmal aktualisiert werde. Jetzt aber habe er vom Hacken genug und würde gerne als Sicherheitsberater für Firmen, eventuell auch für das FBI arbeiten, wenn er denen nur trauen könne, daß sie ihn nicht einsperren.

Nach dem ersten Outing von Analyzer haben sich Mitglieder einer Gruppe mit dem Namen Enforcers gemeldet, zu denen auch die Beschuldigten gehören sollen. Sie traten an, ihre Kollegen zu verteidigen, und versuchten sich zu rechtfertigen, da sie vor allem die Absicht haben, Kinderpornographie und Rassismus im Internet zu bekämpfen. Sie würden ja gerne, wie sie in einem Chat mit Wired News beteuerten, dem FBI helfen, Kinderpornographie zu verfolgen, und sie gäben auch entsprechende Tips an das FBI weiter, aber jetzt seien sie doch überrascht, wie die Behörden die Hacker darstellen. Wenn man sie nur als Kriminelle bezeichne, dann mißbrauche man sie, um die Sicherheitspolitik der Regierung zu legitimieren, während sie doch nur Löcher aufspüren und keine Files stehlen.

Wenn Analyzer tatsächlich der Kopf der Gruppe und ein Bürger Israels sein sollte, wie Walla News zu bestätigen scheint, dann würde er der Strafverfolgung der amerikanischen Behörden vermutlich entgehen, solange er im Lande bleibt, denn Israel liefert nicht aus. Analyzers provokative Einstellung ist daher: Sucht mich doch. Aber das ist eigentlich nebensächlich. Offenbar geht es allen verwickelten Parteien um Aufmerksamkeit. Die einen wollen als Stars und rechtschaffene Bürger oder wie Analyzer als eine Art Robin Hood des Internet anerkannt werden, die anderen wollen ihre Legitimation sichern und ausbauen, wobei sie die jugendlichen Spieler benötigen, um ihre Strategie durchzusetzen. Die Enforcers wollen die Freiheit im Internet sichern, aber zugleich die symbolträchtigen staatlichen Behörden herausfordern und ihr Können demonstrieren. Abenteuer finden heute nicht mehr im Dschungel statt, sondern in der neuen Wildnis des Cyberspace. Hier kann man sich nicht nur wie mit den Graffitis einen Platz in einem Stadtviertel aneignen und seine Präsenz demonstrieren, sondern hier geht es um weltweite Anerkennung, indem man sein Cyber-Territorium am besten in möglichst prestigeträchtigen Servern absteckt.

Kompliziert, wie die Welt ist, helfen die neuen Abenteuerer gleichzeitig dabei, die staatliche Kontrolle zu fördern und Sicherheitslöscher zu schließen. Warum also stellt das FBI nicht gleich die Hacker ein, anstatt sie zu verfolgen? Früher hätte man das dialektisch genannt. Wie auch immer, das Geschehen zeigt, daß es keine richtige Position im Falschen gibt und daß sich die Unschuld befleckt. Die Subversion ist, sofern sie denn noch eine in der Ökonomie der Aufmerksamkeit sein will, systemerhaltend und ein Komplize der Macht. Aber auch das wußten wir eigentlich schon längst. Die Welt ist kompliziert - daran ändert auch der Cyberspace nichts.