Comdex spamt

Infowar um die Aufmerksamkeit

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Falsch verstandene Informationspolitik beim Veranstaltungsteam der Comdex Enterprise in Frankfurt, auf der sich alles um die virtuellen Geschäftswelten drehen soll. Die Grundregeln im Umgang mit dem Medium E-Mail gingen im PR-Fieber baden.

Die Herbst-Comdex in Las Vegas gehört genauso zum Kongreß- und Messekalender eines Computerfreaks wie die Cebit im März. Doch die Comdex ist längst nicht mehr nur ein Stammtischtreffen für die Computerbranche, sondern eine Marke, die weltweit für Messen und Konferenzen erschlossen wird: Seit der digi-orientale Medien- und Softwarefürst Masayoshi Son die "Comdex" 1995 in sein Imperium Softbank, zu dem unter anderem der Ziff-Davis-Verlag, Finanzunternehmen und Softwarefirmen gehören, eingegliedert hat, ist die Marke letztlich in einer Art Franchisesystem "mietbar" – das Prinzip funktioniert ähnlich wie im System McDonalds. Eine Comdex gibt es deswegen nicht nur mehrmals im Jahr in den USA, sondern unter anderem auch in Kanada, in Frankreich, Indien, Japan oder Ägypten.

Das Geschäft mit dem Markennamen Comdex blüht genauso wie das Messewesen rund um Internet und Computer insgesamt. Noch ist die Unsicherheit der Anwender der neuen Medien und Geschäftsmöglichkeiten gerade im Mittelstand groß, der Beratungsbedarf hoch. Gleichzeitig klingen den Unternehmern die Verheißungen der Propheten des elektronischen Geschäftsverkehrs in den Ohren, einem potentiellen Milliardenkuchen, von dem jeder eine Scheibe abhaben will. Daß die Themen und Aussteller bei den meisten "Events" dieser Art immer wieder die gleichen sind, spielt dabei kaum eine Rolle: die Nachfrage bestimmt das Angebot.

Auf die Mund-zu-Mund-Propaganda und den guten Namen allein wollten sich die Veranstalter der Comdex Enterprise, die bis Mittwoch in Frankfurt stattfindet, allerdings nicht ganz verlassen. Im vergangenen Jahr war die Comdex Internet & Object World noch ein recht beschauliches Treffen von Software-Entwicklern und Managern, das in einem Hotel am Frankfurter Flughafen Platz fand. Dieses Jahr standen die Zeichen auf Expansion: der Name wurde in Comdex Enterprise umgewandelt, der Umzug unter den Frankfurter Messeturm war von langer Hand geplant. Endlich sollte die deutsche Comdex ihrem Namen alle Ehre machen, die Massen in die Messe ziehen und zwischen all den Internet Worlds zu einem ähnlichen Event aufgebaut werden wie das Spektakel (Bericht über die Comdex 97) in der glitzernden Wüstenmetropole Nevadas.

Das Programm wurde deshalb zunächst auf Massenattraktivität gestylt. Von relationalen Datenbanken und CORBA ist zwar auch dieses Jahr noch die Rede, aber im Mittelpunkt steht nun – wie könnte es anders sein – der E-Commerce. Cisco muß dabei wieder einmal als Paradebeispiel herhalten, aber es geht auch um die Businesstauglichkeit von Linux oder Wege zum Venture-Capital. Doch ein Programm allein reicht noch nicht aus, um Hallen und Konferenzräume zu füllen. Werbung muß sein, dachten sich die Veranstalter von der LogOn Technology Transfer GmbH, und kamen auf die naheliegende Idee, bereits mit über einem halben Jahr Vorlauf Hinweise auf die Konferenz in Mailinglisten zum Thema Electronic Commerce wie etwa die vom Server des Information Society Project Office der Europäischen Kommission zu streuen.

Rasch bastelten sich die hessischen Comdexianer zusätzlich eine Mailingliste, auf die sie alle E-Mail-Adressen von Autoren setzten, die irgendwann und irgendwo in einem Artikel das Stichwort E-Commerce hatten fallen lassen. Die einzelnen Adressaten fanden sich dabei einfach unter CC im E-Mail-Header wieder: eine praktische Sache, wenn man endlich mal mit verehrten Kollegen oder Redaktionen Kontakt aufnehmen und seine eigene Adreßbücher um einige Kontakte anreichern wollte.

So weit, so gut. Jeder Journalist freut sich über Einladungen zur Berichterstattung über interessante Kongresse, auch wenn kein Mensch mehr die gesamte Palette an vergleichbaren Ereignissen abdecken kann. Auch in einer thematisch passenden Mailingliste werden Hinweise auf Veranstaltungen als potentielle Treffs mit anderen Listenteilnehmern meist dankbar aufgenommen oder zumindest akzeptiert. Doch wie schnell überliest man auch kilobyteschwere E-Mail-Messages oder hatte man beim ersten Mal den Terminkalender nicht parat. Das dachte sich auch Roberto Zicari, Chairman Advisory Board der Comdex Enterprise, und so setzte er munter und in rund zweiwöchigen Abständen seine "Einladungen" an die ausgemachten Listen ab. Einmal erging die Aufforderung, sich doch auch am "Comdex Application und Object Award" – die deutsche Konjunktion scheint ein Zugeständnis an den Veranstaltungsort zu sein – zu beteiligen, es folgte die mehrmalige Erinnerung an den Einsendeschluß; regelmäßig wurde auch über den Stand der Programmplanungen und jede Änderung des Ablaufs informiert.

This is to inform you that Monday, Sept. 28, is the opening day of COMDEX/Enteprise in Frankfurt...

Best Regards

Roberto Zicari COMDEX Enterprise Frankfurt

Auszug aus der vorläufig letzten Spambotschaft vom 26.9.98. Freudsche Verschreiber aus dem Original übernommen

Gründe fanden sich immer wieder, die Comdex.de ins Gedächtnis der Listenteilnehmer zurückzurufen und so manche Mailbox mit vollendeter – wenn auch kurzsichtiger – Strategie vollzuspammen. Und gab es innerhalb des 14-Tage-Rhythmus wirklich mal überhaupt nichts "Neues" zu vermelden, wurden die Massenmails nach Plan B unter die Netzgemeinde gebracht: "Im Namen von Dr. Zicari darf ich Sie zur Comdex Enterprise..." Anderer Absender, gleiches Thema. Insgesamt steigerten die E-Mail-Marketer während der Werbemonate ihre "Professionalität" deutlich: Die anfänglich etwas laienhaft wirkenden Journalistenmailings wurden beispielsweise bald über einen Listserver der Universität Frankfurt abgewickelt, was nicht nur die Kosten für einen kommerziellen Provider sparte, sondern anscheinend auch die wissenschaftliche Bedeutung der Comdex unterstreichen sollte.

Doch welche Einblicke in die Geschäftsmöglichkeiten des Internet mögen auf einer Veranstaltung vermittelt werden, deren Veranstalter nicht einmal die allereinfachsten Grundregeln des Online-Marketings verstanden haben?

Die Literatur zu diesem Thema füllt inzwischen ganze Bibliotheken, und wenn es sich um einen einigermaßen seriösen Titel handelt, erfährt man dort manch Wissenswertes über den Einsatz von E-Mail.

"Du sollst kein Spamming betreiben!" führt Vince Emmery etwa als erste Regel in seinem Buch "Internet und Unternehmen" unter dem Kapitel zu den "10 Geboten" im Marketing mit E-Mail auf. "Der Begriff Spamming, worunter das Versenden von unerwünschter Werbung verstanden wird, stammt aus einer Monthy-Python-Sendung, in der bei jedem Gang eines Menüs in einem Restaurant auch Spam (dt.: Frühstücksfleisch) enthalten ist, ganz egal ob es paßt oder nicht", erfährt der Leser dort. "Genauso unpassend ist es, wenn Sie Werbung per Email an Personen verschicken, die dies nicht wünschen."

"Unerwünschte Werbung" ist natürlich ein weiter Begriff, die Grenzen zwischen "Hinweis" und "Spam" sind schwer zu ziehen. Das strategisch geplante Absetzen von Nachrichten mit höchstens leicht variiertem Inhalt über Mailinglisten zählt aber eindeutig zur Kategorie des Spams, auch wenn es sich dabei nicht um zweifelhafte "get rich"- oder "get sex"-Botschaften handelt. Genauso widerspricht es klar der Netiquette, E-Mail-Adressen ohne Rückfrage auf eine eigene Mailingliste zu setzen. Da viele Marketer aber anscheinend immer nur das Buch von Canter und Siegel – den beiden amerikanischen Anwälten, die zu Beginn des kommerziellen Booms das gesamte Usenet mit Werbepostings für ihre kostenpflichtige "Green-Card-Beratung" überschwemmten – aus dem Schrank ziehen, wird die Inbox des normalen Users immer häufiger durch unangeforderte Tips und Tricks zugemüllt. Dadurch steigen nicht nur die Übertragungskosten des einzelnen Nutzers, auch die Leitungen der Provider werden unnötig beansprucht. Weltweit nehmen sich daher immer mehr Gerichte der Spammer an, das Thema ist längst zum Politikum geworden, das nicht länger der Selbstregulierung der Wirtschaft überlassen werden soll.

Zunächst bleibt aber zu hoffen, daß die Verantwortlichen bei der LogOn Technology Transfer einsehen, daß zuviel des Guten nicht unbedingt weiterhilft. Wer sich nicht für die Comdex interessiert, wird auch nach dem zwanzigsten Hinweis auf die Veranstaltung nicht nach Frankfurt fahren. Aber selbst potentielle Interessenten werden ab einer gewissen Anzahl von Mailings dichtmachen, Filter auf zicari@ltt.de programmieren oder verärgert immer wieder den Delete-Button drücken. Die Comdex 99 droht so an der Aufmerksamkeits-Schutzschwelle vieler potentieller Besucher und Multiplikatoren von vornherein zu scheitern.