Eine kurze Geschichte der Evolution

Richard Dawkins neues Buch über die Evolution

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Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins hat ein faszinierendes Buch über die Grundlagen, Probleme und Mechanismen der Evolution geschrieben. Die mit den ersten Replikatoren gezündete Informationsexplosion entfaltet sich in verschiedenen Schritten und wird vielleicht irgendwann die Grenzen unserer Welt überschreiten. Ein anregendes Buch, das zugleich eine kurze und prägnante Einführung in die Evolutionstheorie und ein ebenso verstörendes wie beeindruckendes Weltbild schildert.

Die Theorie der Evolution, obgleich noch immer aus weltanschaulichen Gründen gelegentlich befeindet und abgelehnt, hat sich seit Darwin weit über die Biologie hinaus zu einem der fruchtbarsten Denkansätze entwickelt, der nun auch zu neuen technischen Anwendungen führt. Furchtbares wurde mit einigen Versatzstücken aus ihr politisch in diesem Jahrhundert veranstaltet und gerechtfertigt, doch als wissenschaftliche Theorie für die Entwicklung von komplexen Systemen, die mit ihrer Umwelt interagieren, hat sie sich als unabweisbar, wenn auch mit einigen beunruhigenden und vom gesunden Menschenverstand schwer nachvollziehbaren Aspekten versehen, herausgestellt.

Die DNA weiß nichts und sorgt sich um nichts. Die DNA ist einfach da. Und wir tanzen nach ihrer Pfeife.

Richard Dawkins

Der englische Evolutionsbiologe Richard Dawkins, bekannt für die Brillianz seiner Darstellung, gibt in seinem neuen Buch sozusagen eine leicht verständliche Schnelleinführung in den Ansatz und die Mechanismen der biologischen Entwicklung. Sein Buch ist zugleich das erste einer Reihe, die sich "Science Masters" nennt und populärwissenschaftliche Darstellungen von renommierten Wissenschaftlern über den Stand ihres Forschungsgebietes veröffentlichen will. Der Anfang jedenfalls verspricht Gutes.

Wie stets in seinen Schriften versucht Dawkins nicht nur den schwer nachvollziehbaren graduellen Entwicklungsprozeß von Organismen, Verhaltensweisen oder Organen verständlich zu machen, er will den Lesern auch das von der Evolutionstheorie begründete Weltbild näherbringen. Ein von "blinden physikalischen Kräften und genetischer Verdopplung" bestimmtes Universum wird zwar von Gesetzen und Prinzipien regiert, aber es gibt in ihm nichts als eine "blinde, erbarmungslose Gleichgültigkeit". Es gibt keinen Zweck hinter der Evolution, einzig den der Maximierung des egoistischen Gewinns und daher des eigenen Überlebens von Genen.

Stören wird manche Dawkins einschränkungslose Erklärung der evolutionären Prozesse durch Egoismus. Alle Lebewesen, die je existiert haben, sind stets die Nachkommen der Überlebenden, wobei die individuellen Organismen nichts weiter als Reproduktionsmaschinen der Gene darstellen. Der Fluß der Evolution besteht für Dawkins nicht aus den individuellen Körpern und deren nachkommen, sondern lediglich aus genetischen Informationen, die nur abstrakte Anweisungen für den Aufbau von Körpern und deren Verhaltensprogramme für das Kopieren und Weitergeben der genetischen Informationen sind. Im Fluß der sich selbst replizierenden Gene bleiben jene erhalten, die in ihrer Umwelt überleben konnten. Und einer der wichtigsten Aspekte dieser Umwelt sind die anderen Gene, die sich selben Körper befinden.

Alle Gene entfalten ihre Wirkungen in einem chemischen Umfeld, das durch die Gesamtheit der Gene in einer Zelle geschaffen wird.

Richard Dawkins

Weitaus stärker als in früheren Publikation betont Dawkins diesen Aspekt der Kooperation oder der Gemeinschaft auf allen Ebenen. Nicht nur ist das Genom ein komplexer Verband von unzähligen Genen, jeder Organismus ist auch eine riesige Gemeinschaft von Gemeinschaften, die miteinander interagieren. Kooperation widerspricht keineswegs dem prinzipiellen Eigennutz, denn das Wohlergehen einer Gruppe - eines Genoms, einer Zelle, eines Organismus, eines Sozialverbands, einer ökologischen Nische - wird von Dawkins stets als zufällige Folge gesehen, die Vorteile mit sich bringt, und nicht als "Antrieb" verstanden. Selektiert wird weiterhin zwischen konkurrierenden Genen, aber offensichtlich haben, so Dawkins, jene Gene im Lauf der Evolution einen Vorteil erworben, die "in Gegenwart der anderen Gene gut gedeihen, welche sich gleichzeitig gegenseitig stützen."

Das biologische Leben verdankt sich einer einzigartigen Fähigkeit zur Selbstreplikation. angelegt ist diese bereits auf der Ebene der chemischen, sich selbst verdoppelnden Moleküle. Doch erst die unbegrenzte Speicherkapazität der Nucleinsäuren DNA und RNA haben zu einer Informationsexplosion in unserem Sonnensystem geführt, die, nachdem die Schwelle des ersten Replikators überschritten, zu einem exponentiellen Wachstum geführt hat. Dawkins unterscheidet verschiedene Schwellen der Informationsexplosion, ausgehend vom Startpunkt eines selbstverdoppelnden Systems. Nach den ersten konkurrierenden Repliktoren werden Phänotypen geschaffen, mit denen die Replikatoren Wirkungen auf die Umwelt ausüben können. Dann kommt die Bildung der Zelle, in derem Inneren durch das Zusammwirken vieler Gene ein internes chemisches Umfeld geschaffen wird. Die vierte Schwelle ist die Entstehung von Vielzellern, die dann durch die Bildung von Nervenzellen und schließlich von Gehirnen zur Verarbeitung von Informationen, eine neue Geschwindigkeit in die Welt bringen, die weitaus schneller ablaufen als die Aktivitäten von Genen. Daraus entsteht die "Bewußtseinsschwelle", vermutlich bedingt durch den Erwerb der Sprache, und dank ihrer ein neues System der Vernetzung der sprachfähigen Gehirne, die - Schwelle Nummer 8 - zur Entwicklung einer gemeinsamen Technologie geführt hat. Möglicherweise, so Dawkins Vorschlag, der in der Cyberkultur starken anklang gefunden hat, wurde durch die Sprache und die Vernetzung der Gehirne auch eine neue Sphäre eröffnet: die Infosphäre, belebt von neuartigen selbstverdoppelnden Entitäten, die er Meme genannt hat.

Unsere technischen Möglichkeiten erlauben es, die Anwesenheit von Leben auch durch Radiowellen ins Weltall zu senden: der erste Schritt der Informationsexplosion über die Grenzen der Erde hinaus. Die ultimative Schwelle läge für Dawkins darin, Leben tatsächlich in das Weltall zu bringen - durch Weltraumkolonien, die von Menschen und/oder Robotern bewohnt werden: "Solche Tochterkolonien kann man als Keime oder Infektionen betrachten, als neue Zentren der sich selbst vermehrenden Information; sie können sich später selbst wieder explosionsartig ausweiten und zu neuen Replikationsbomben werden, die Gene und Meme aussäen."

Richard Dawkins: Und es entsprang ein Fluß in Eden. Das Uhrwerk der Evolution. Bertelsmann Verlag 1996, 189 Seiten.