Produktionen von Öffentlichkeiten

Ein Plädoyer für verschiedene Ausstellungsformate

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Von dem Künstler Vito Acconci stammt die grundlegende Einsicht, dass öffentlicher Raum durch die Dialektik zwischen materieller Konstruktion, sozialer Praxis und politischer Repräsentation erst geschaffen wird: "Was man in einer Stadt, als öffentlichen Raum bezeichnet, wurde von einer Behörde [...] geplant. [...] Was gebaut wurde, ist eine Produktion: ein Spektakel, das das Unternehmen oder das den Staat verherrlicht bzw. beide gleichzeitig. Der Raum ist also nur an die Bevölkerung verliehen, nur geborgt - an Menschen, die als eine organisierte Gesellschaft, als Angehörige des Staates und als potenzielle Konsumenten angesehen werden."1 Öffentlicher Raum, verstanden als geborgter Raum, zeigt an, wie sehr seine Strukturen und Sedimente prozesshaft und situational sind. Sie sind materiell und diskursiv von unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten umkämpft. Bereits die Standorte der Kunstwerke machen die sich im urbanen Raum überlagernden und aufeinander einwirkenden Dispositive sichtbar.

Über die aktuellen Überlagerungen wird besonders die in diesem Juni zum vierten Mal stattfindende Ausstellung Skulptur Projekte Münster Aufschluss geben. Seit 1977 werden im zehnjährigen Rhythmus internationale Künstler eingeladen, ihre Werke in der Stadt entstehen zu lassen. Der Titel "Skulptur Projekte Münster" ist Programm. Künstler loten aus, was zeitgenössische Skulptur heute sein kann, wie sie die Stadt Münster, in der sie aufgeführt wird, verändern kann.

"The Head" von Laura Beloff. Alle Bilder: Daniela Friebel

Die Süddeutsche Zeitung hat dazu ein Cartoon-Projekt initiiert. Das erste Cartoon wurde im April abgedruckt und zeigt von einer Überfülle von Skulpturen umstellt Kuratoren mobil auf Fahrrädern, geschäftig paradierende Kunstfreunde und andere beim Skateboardfahren oder Telefonieren. Angesichts der Fülle von Kunstwerken rufen sie orientierungslos und multilingual "Was?", "What?" oder "Que?" aus. In der Mitte des spektakulären Kunsttreibens ist ein winkendes Skelett zu entdecken, das sich mit einer Hand an einer Kirchturmspitze festhält. Der Tod ist in der Stadt. Doch bezieht er sich auf die Kunst oder die Stadt selbst, die durch die Kunst und ihre eifrigen Besucher reanimiert werden soll?

Das munter-makabre Bild von der "Kunst in der Stadt" markiert den Ausnahmefall Münster, wohin alle zehn Jahre Kulturproduzenten und Kunsttouristen pilgern und die Kassen klingeln lassen. Das steht im Gegensatz zur sonstigen Praxis der öffentlichen Geldgeber für Projekte im urbanen Raum: In den letzten Jahren fällt auf, dass immer weniger Geld aus öffentlichen Mitteln für Kunst ausgegeben wird und gleichzeitig immer mehr freie Kuratoren dafür gewonnen werden konnten, mit einem geringen Ausstellungsbudget ein zeitintensives, kommunikationsreiches Projekt im urbanen Raum, in dem viele Teilöffentlichkeiten involviert sind, zu realisieren. Wie lässt sich die Diskrepanz zwischen Anspruch auf die künstlerischen Produktionen von Öffentlichkeiten und die Möglichkeit auf Einlösung erklären? Wann begann sie?

Spätestens seit Arnold Bode und Werner Haftmann zur documenta 2 die Ausstellung hin zum Außenraum geöffnet haben, werden Künstler unter der Tarnung "Kunst für alle", bevorzugt mit Drop-Sculptures und Kunst am Bau im urbanen Raum eingesetzt. Wo immer die Architektur versagt hat, sollen sie - bekannt als Spezialisten für nicht angenommene Plätze, zugige Kreuzungen, einfallslose Fassaden - das Ungestaltete gestalten und das Unbelebte beleben. Dass sich diese Erwartungen nicht immer erfüllen, darauf weisen ironisch der Park für unerwünschte Skulpturen von Michael Elmgreen & Ingar Dragset hin ebenso wie der im April in Berlin eröffnete Parcella_Skulpturenpark, der durch seinen Titel an eine Entsorgungsstelle von Skulpturen im öffentlichen Raum gemahnt.

Der reprivatisierte Nicht-Ort in Berlin-Mitte an der Kommandantenstraße, der aus den Brachen ehemaliger Mauergrundstücke aus dem Nachlass der Nationalen Volksarmee besteht, soll im Rahmen von "Parcella_Skulpturenpark" ein Jahr lang durch künstlerische Projekte als öffentlicher Raum reklamiert werden. Den Anfang machten im April die Künstler Daniel Knorr und Miklós Mécs. Der Auftakt zur Ausstellungsreihe lässt Arbeiten erwarten, die sich mit den Narben der urbanen Situation auseinander setzen. Knorr hat den Aktionsradius des Projekts allerdings bereits zu Beginn in den Stadtraum ausgeweitet, indem er auf Häuser, Zäune und Plakatwände "Daniel Knorr, 1 Jahr Garantie, Öffentlicher Raum", gesprüht hat. Mit seiner Intervention bringt er die nicht einfach zu durchschauenden Verhältnisse vom privaten zum öffentlichen Raum ins Taumeln. Dieser Taumel wird von den ständig zunehmenden Privatisierungen aber auch von Netz-Plattformen wie YouTube und MySpace befeuert.

Dislozierung

Das sich wandelnde Verständnis von Öffentlichkeit und Privatheit steht im Zentrum der bis zum 6. Mai in den Berliner Ortsteilen Mitte, Wedding und Gesundbrunnen stattfindenden ersten Aufführung der Reihe urban interface. Um dem Wandel nachzugehen, setzt die Kuratorin der Ausstellung, Susanne Jaschko, bei der Konzeption des Projekts auf den erweiterten Raum, wie er unter dem Einfluss von aktuellen Kommunikationstechniken, digitalen Medien, mediatisierten Wahrnehmungen und interaktiven Strukturen entsteht. Dass die öffentliche Sphäre nicht etwas ist, das ausschließlich als Baumaßnahme oder als Drop Sculpture herstellbar wäre, lehrt schließlich der Rückblick. Vielmehr scheint es so zu sein, dass der Einsatz von neuen Medientechnologien eine Überlagerung der Sphären der Öffentlichkeit und Kunst eröffnet.

Dieser Sichtweise stimmt Oliver Marchart indirekt zu, wenn er in seinem Essay "Hegemonie und künstlerische Praxis - Vorbemerkung zu einer Ästhetik des Öffentlichen" hervorhebt, dass gerade der öffentliche Raum in einer demokratischen Gesellschaft eine sich ständig entwickelnde prozesshafte Erneuerung ermögliche und bedürfe. Mit Bezug auf die Theoretiker Ernesto Laclau und Chantal Mouffe fordert er eine Offenheit und Instabilität, die erst den Raum für eine Demokratie biete, deren Voraussetzung der Dissens und die Debatte sei. Dabei unterscheidet er zwischen Interventionen, die im öffentlichen Stadtraum stattfinden, und solchen, die eine Öffentlichkeit im politischen Sinn erzeugen. Der öffentliche Raum im politischen Sinn entstehe genau dort, wo es Momente der Unterbrechung, der Sedimentierung und der Reaktivierung von "Geistern" gebe, wo unsere erworbenen Vorstellungen ins Wanken geraten, Ernesto Laclau würde sagen: disloziert werden.

"The Head" von Laura Beloff

Das Verhältnis von öffentlichem und privatem Raum ins Trudeln zu bringen, war zentral für die Beschäftigung der eingeladenen Kulturproduzenten zu urban interface I berlin. Viele der auf Partizipation und Interaktion setzenden Arbeiten wenden sich dabei explizit gegen eine lokalisierte Kunst im Außenraum. Laura Beloffs tragbares, vernetztes Objekt The Head ermöglicht Interaktion und wechselt ihre Nutzer. Innerhalb der Ausstellungsdauer kann das technisch komplex ausgerüstete Objekt - das auf den ersten Blick eine tragbare durchsichtige Kunststoffkugel ist, in die ein Puppenkopf eingelassen wurde - ausgeliehen werden. Schickt jemand eine SMS an "The Head", so macht die darin installierte Handy-Kamera Bilder von der Umgebung und zeichnet den Ton auf. Der Sender erhält wiederum die visuellen Aufzeichnungen als MMS. Über eine Webseite werden alle entstandenen Aufnahmen - unabhängig davon ob sie privaten oder öffentlichen Charakter haben - für jeden zugänglich gemacht.

"Die persönliche Meinung als öffentliche Erscheinung" vom Department für öffentliche Erscheinungen

Eine andere Arbeit, die ebenfalls auf eine Öffnung der Öffentlichkeit setzt, fängt mit der Frage an: "Wie sehen Sie Ihre Zukunft?" Damit wendet sich das Department für öffentliche Erscheinungen an die Anwohner. Bei einer Teilnahme bekommen sie verschiedenfarbige Transparente, die Antwortslogans wie "Gute Aussichten", "mal sehen", und "aussichtslos" für sie bereithalten. Die Größe und Farben der Meinungsträger erinnert an das seit der Fußballweltmeisterschaft verbreitete "Flagge zeigen", ein Phänomen, das am Übergang von Mitte zu Wedding häufig anzutreffen ist. Die Meinungsträger sind somit camouflageartig dem spezifischen Ort der Wohnblocks an der Müller- / Chausseestraße angepasst.

Wie sich an dieser Arbeit zeigt, bietet das Ausstellungsprojekt urban interface I berlin auch Gelegenheiten, sich in den Arbeiten mit der transistorischen Situation von Mitte, Wedding und Gesundbrunnen auseinanderzusetzen. Wedding, in den 1950er Jahren größtes Sanierungsgebiet Berlins, später Trope für soziale Missstände, heute synonym für eine geringe Kriminalitätsrate, einen hohen Ausländeranteil und multikulturelles Nebeneinander. Weddings aktuelle Veränderungen führen aber bisher noch nicht dazu, dass die Kreuzung von S-Bahn und U-Bahn Wedding nicht von hastigen Passanten durchquert und von orientierungslosen Touristen schnell wieder zugunsten der Stadtmitte mit ihren Weltstadt- und Regulierungsphantasien verlassen würde. Auch wenn der soziale Raum, wie ihn Pierre Bourdieu definiert, weniger topographische Bedeutung hat und eher als eine Bedingung von Kunst denn selbst als künstlerischer Raum begriffen werden kann, bringt dessen Herstellung und Lokalisierung gerade durch die unterschiedlichen räumlichen Setzungen eine ortsspezifische Besonderheit mit gesellschaftlicher Relevanz hervor.

"Die persönliche Meinung als öffentliche Erscheinung" vom Department für öffentliche Erscheinungen

Um die während des Projekts gesammelten Informationen und Erfahrungen öffentlich zu machen, dokumentiert die Website den Prozess der Projektentwicklung und der Ausstellung. Grundlegende Abläufe zwischen Künstlern, den städtischen Genehmigungsstellen und dem Ausstellungsteam werden auf ihr veröffentlicht. Der Ausgangsfrage nach der Schnittstelle von Öffentlichkeit und Privatheit angemessen, begleitet ein Blog die Ausstellung. Als öffentliches Forum konzipiert, ermöglicht er, eigene Beiträge zum Thema zu veröffentlichen. Wie wenig Jaschko an einer statischen Präsentation gelegen ist, zeigen auch Kommunikationsmöglichkeiten, die sie in den Räumen von SPARWASSER HQ anbietet. Hier gibt es Vorträge, Film-Screenings und Diskussionsrunden, in denen die historisch aufgeladenen Orte wie die künstlerischen Projekte auf ihren öffentlichen Kern, ihren privaten Charakter und auf ihre künstlerischen Potenziale hin befragt werden.

Die häufig im urbanen Raum gestellte Frage, ob das Gesehene Kunst sei, bekommt - jenseits einer rahmenden Institution - ein anderes Gewicht. Walter Grasskamp hat die Bedeutung von Kunst im Außenraum, die einen unfreiwilligen Betrachter mit ihrer Produktion konfrontiert, immer wieder hervorgehoben: Sie besitze den "von Adorno bestimmten Doppelcharakter, zugleich fait social und autonom zu sein, ein Tatbestand, der in seiner politischen Bedeutung leicht unterschätzt werden kann"2.

Die Brisanz seiner Überlegung zeigt sich auch im Umkehrschluss: Insofern eine Arbeit als Kunstwerk nur in dem Maße existiert, als sie als solche wahrgenommen wird. Umso mehr bleibt Kunst "auch in ihren expansiven Formen, ob als Medien-Aktivismus, als öffentliche Intervention oder als diskursiver Prozess - immer an Verfahren der rhetorischen [und praktischen] Vermittlung gebunden und erreicht ohne diese kontrastierende Mediatisierungsleistung kaum das öffentliche Interesse"3. Verschiedene Ausstellungsformate, die das Verhältnis von Kunst, Medien und Öffentlichkeit im urbanen Raum erweitern und hinterfragen, sind daher auch in Zukunft notwendig. Sie sollten jedoch nicht länger so stiefmütterlich grundfinanziert werden wie bisher.