Bald eine Millionen Namen auf der US-Terrorliste

Jährlich schwillt die Terrrorliste des Terrorist Screening Center um 200.000 Namen an und wird dadurch zunehmend unbrauchbar

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Wenn man einmal mit einer präventiven Strategie der Antiterrorbekämpfung beginnt und damit oft auch einen höchstens mäßig begründeten Verdacht zum Ausgang nimmt, schwillt das Misstrauen an und gerade immer mehr Menschen ins Visier. Das schafft keine größere Sicherheit, sondern unterminiert das Vertrauen in den Rechtsstaat und überfordert trotz oder wegen aller technischen Aufrüstung die Sicherheitskräfte. Beobachten lässt sich dies in den Post-9/11-USA, wo die Terrorliste immer weiter anschwillt und bald eine Million Einträge enthalten wird. Im Oktober 2007 enthielt die Liste bereits 860.000 Namen, im Mai waren es noch 755.000.

Nach einem Bericht des Government Accountability Office (GAO), der für eine Anhörung des Heimatschutz-Senatsausschusses vorgelegt wurde, haben das FBI und die Geheimdienste mittlerweile mehr als 755.000 Einträge bzw. mehr als 300.000 Personen (Stand: Mai 2007) in die Antiterrorliste eingespeist, die seit Ende 2003 vom Terrorist Screening Center (TSC) betreut wird (Das Terrorist Screening Center der USA). Hier wird die "Master-Liste" erstellt, die dann in unterschiedlichen Versionen wieder an die Behörden zur Überprüfung von Personen beispielsweise an Flughäfen ausgegeben wird. Das TSC erhält die Daten aus der vom (National Counterterrorism Center) NCTC betreuten zentralen zentrale Datenbank Terrorist Identities Datamart Environment (TIDE), in der seit 2003 alle geheimen Informationen von allen Quellen wie der CIA, der DIA, dem FBI oder der NSA gesammelt und analysiert werden. Anfang März des Jahres hieß es, dass in TIDE Informationen zu 435.000 Namen (mit Aliasnamen) von Terroristen oder Terrorverdächtigen bzw. Dateien von über 300.000 Einzelpersonen, während in der Datenbank des TSC 235.000 Personen gespeichert seien. (Die Mutter aller Terror-Datenbanken quillt über).

Wer sich auf der TSC-Liste befindet, kommt nur schwer wieder von ihr herunter, sofern er dies überhaupt erfährt. Wer auf sie kommt und vor allem warum, ist nicht weniger undurchsichtig. Das TSC behauptet, es würden nur "bekannte oder offensichtlich verdächtige Terroristen" auf ihr eingetragen. Bei 860.000 Namen - Glenn A. Fine, der Generalinspektor des Justizministeriums sprach von mehr als 725.000 Einträgen im April 2007, der GAO-Bericht nennt über 755.000 im Mai 2007 - würden die "offensichtlich verdächtigen Terroristen", selbst wenn viele Namen aufgrund variabler Schreibweise mehrfach oder fälschlich auf ihr stehen, schon ein beachtliches Terroristenheer ergeben. Fine spricht beispielsweise von mehr als 300.000 Personen.

Anstatt die Namen, die im Überschwang noch unter dem Eindruck des 11.9. schnell gesammelt wurden, durch Nachprüfung auszudünnen, scheint der Erfolg darin zu liegen, immer weitere Verdächtige anzuhäufen. Angeblich würde man aber, wie es heißt, den Heimatschutz-Präsidentenerlass 6 beachten, nämlich nur "richtige und aktuelle Informationen über Personen" zu sammeln, die sich terroristisch verhalten, sich auf Terrorismus vorbereitet oder diesen unterstützt haben. Aber es reicht auch schon aus, irgendwie mit dem Terrorismus "verbunden" zu sein. Von Nachweisen liest man nichts, ein vernünftiger Verdacht reicht aus. Der GAO-Bericht hält überdies fest, dass es keine einheitliche Definition für Terrorismus gibt.

Seit 2004 (Juni 2004: 158.000 Namen) ist die Liste jährlich um 200.000 Namen angewachsen. Das belegt, man ist fleißig, zumindest im Hinblick auf den Verdacht, wohl aber weniger auf die Bestätigung von diesem, was auch bedeuten würde, dass Namen auch wieder ausgetragen werden. Die exponentielle Vermehrung der Datenbankeinträge spricht nicht dafür. Von einem Knick ist im Bericht der GAO auch nicht die Rede. Das TSC folgt, wie alle anderen Sicherheitsbehörden, der systemeigenen Logik, sich zu vergrößern und das Aufgabengebiet – hier: die Zahl der potenziellen und damit fast unabsehbar vielen Verdächtigen – zu erweitern, wenn nicht von außen Grenzen gesetzt werden.

Die USA reichen die überquellende Terrorliste auch an alliierte Staaten weiter

Joe Lieberman, dem Vorsitzenden des Senatsausschusses für Heimatsicherheit – sollte eine neue Regierung nicht vielleicht doch zur Abrüstung einen anderen, weniger martialischen Begriff wählen, z. B. department of home affairs? -, ist das schnelle Wachstum der Liste verdächtig. Der demokratische Senator fragt sich, ob die Quantität auch für Qualität spricht.

Nach dem GAO-Bericht sind seit 2004 53.000 Personen aufgrund des Eintrags in der Terrorliste befragt worden, teilweise auch mehrmals. Das Heimatschutzministerium teilt allerdings nicht mit, wie vielen Menschen nach den Befragungen die Einreise verwehrt wurde. Leonard Boyle vom TSC sagte, 2006 sei 269 Ausländern die Einreise in die USA verwehrt worden. Die Transportation Security Administration (TSA), die aus der TSC-Datenbank die wesentlich kleinere No-Fly-Liste erhält, räumt ein, dass eine "Reihe von Personen", die auf der Liste stehen, unentdeckt durch die Kontrollen gekommen sind. Gerügt wird, dass die Terrorliste nicht von allen Behörden verwendet werde. Vor allem habe das Heimatschutzministerium es versäumt, dass die Unternehmer bei der Einstellung von neuen Angestellten diese anhand der Liste überprüfen. Gefordert wird auch, die Namen auf der Terrorliste mit biometrischen Daten zu verbinden.

In der Anhörung verwies TSC-Chef Boyle darauf, dass die USA bereits mit sechs alliierten Staaten Vereinbarungen zum Austausch von Informationen getroffen haben. Das TSC stehe mit seiner Terrorliste an der "Spitze der Front im Globalen Krieg gegen den Terrorismus" und biete so seinen Alliierten den Zugriff auf "das umfassendste Mittel zur Identifizierung von Terroristen":

The TSC has also become a premier entity on the forefront of the global war on terrorism by establishing formal information sharing partnerships with our allies. The TSC has thus far signed agreements with six nations. These agreements provide our allies with access to the world’s most comprehensive tool to identify terrorists, and we are the beneficiaries of their terrorist identity information. We continue to work with our allies to share information more efficiently, and those information gaps are shrinking rapidly. As a result, it is becoming much more difficult for terrorists and their supporters to hide. By teaming up with our foreign counterparts, we have effectively broadened the net with which known and suspected terrorists are identified and caught.

Leonard Boyle

Selbst die republikanische Senatorin Susan Collins fordert, dass die Terrorlisten genauer geführt werden müssten. Überdies müssten Personen, die irrtümlich auf die Liste geraten sind, auch bessere Möglichkeiten eingeräumt werden, von ihr gelöscht zu werden. Paul Rosenzweig vom Heimatschutzministerium kämpfte in der Anhörung jedenfalls dafür, dass man das Heimatschutzministerium mitsamt der Erstellung der Terrorlisten und anderen Überwachungsmaßnahmenstärken müsse und im Kampf gegen den Terrorismus nicht nachlassen dürfe:

Over the past six years, we have disrupted terrorist plots within our own country and we’ve turned away thousands of dangerous people at our borders. We’ve also witnessed damaging terrorist attacks against some of our staunchest allies in the war on terror. I believe the reason there have been no additional attacks against our homeland is because we’ve successfully raised our level of protection and we’ve succeeded in frustrating the aims of our enemies. That’s not to say our efforts have been flawless or that our work is done. On the contrary, we must move forward aggressively to build on our success to keep pace with our enemies.

Our improvements to passenger and cargo screening, critical infrastructure protection, and intelligence fusion and sharing must continue. While no one can guarantee we will not face another terrorist attack in the next six years, if we allow ourselves to step back from this fight, if we allow our progress to halt, if we don’t continue to build the necessary tools to stay ahead of terrorist threats, then we will most certainly suffer the consequences.