Bilder im Staatsdienst oder: Der ePass kommt

Am 1. November startet die zweite Stufe der Digitalisierung der Sicherheitsdaten von Bundesbürgern

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Der so genannte ePass speichert dann nicht nur die Bilddaten des gar nicht mehr so klassischen Passfotos auf dem integrierten Chip, sondern mit den Abdrücken der Zeigefinger beider Hände weitere biometrische Merkmale. Das ist ein Anlass, sich einmal einige Gedanken zur Rolle von Bildern im aktuellen sicherheitspolitischen Diskurs zu machen.

Herrschaftszeichen, portrait parlé, Passfoto: Eine kurze Geschichte der Gesichtererkennung

Für die Identifizierung von Personen stehen heute zahlreiche ausgefeilte Methoden zur Verfügung: Die Möglichkeiten reichen von Stimm- und Haaranalysen über den Iris-Scan bis hin zum DNA-Test. Trotzdem zeigen unsere Personalausweise und Reisepässe noch immer die traditionellen Gesichtsbilder. Diese Verbindung von Pass und fotografischem Porträt datiert in Deutschland aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Die Geschichte unserer Ausweisbilder reicht allerdings noch wesentlich weiter zurück – etwa bis zu mittelalterlichen Herrschaftszeichen. Der Historiker Valentin Groebner hat in diesem Zusammenhang angemerkt, „dass sich moderne Personalausweise auch als Kombination [von] Techniken beschreiben lassen, die zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert entwickelt wurden: als ein mit Wasserzeichen, Siegeln und Unterschrift versehenes Papier, das ein Porträt“ zeigt1.

Pässe werden also bis heute bestimmten Körpern mit Hilfe von Gesichtsbildern zugeordnet, obwohl es sich dabei um eine vergleichsweise unsichere Methode handelt. Die Verwechslungen, die beim Identifizieren per Gesicht entstehen können, haben längst ihre Spuren in Romanen und Filmen hinterlassen: In „Sommersby“ (1993) spielt Richard Gere einen Hochstapler, der sich für einen vermissten Soldaten ausgibt und eine Zeitlang mit dessen Frau lebt, aber schließlich enttarnt und hingerichtet wird. Diese Doppel­gängerstory wurde ein gutes Jahrzehnt zuvor bereits mit Gérard Depardieu verfilmt und ist unterdessen auch Gegenstand eines Musicals. Sie bezieht sich auf die historische Figur des Martin Guerre (alias Arnaud du Tilh), der im 16. Jahrhundert lebte.

Gesichtserkennung entscheidet also bisweilen über Leben und Tod, in weniger drastischen Fällen auch über Freiheit und Gefangenschaft. Eine bildgeschichtliche Wurzel unserer Passbilder liegen deshalb nicht zufällig im Verbrecherporträt des 19. Jahrhunderts. Damals war die Identifizierung rückfällig gewordener Straftäter ein drängendes Problem, für dessen Lösung die vermeintlich objektive Fotografie ein Schlüssel sein sollte. Heute haben wir die Objektivität des Objektivs als Illusion erkannt – aber die Fotos in unseren Pässen sind uns doch geblieben. Mitverantwortlich dafür ist der französische Erkennungsdienstspezialist Alphonse Bertillon, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine dreifach abgesicherte Identifizierungsmethode entwickelte. Zu jedem Straftäter entstand so eine Karteikarte mit einer standardisierten Beschreibung (portrait parlé), wobei auch besondere Kennzeichen aufgeführt waren, zudem mit einer Reihe von Zahlen zu den Körpermaßen sowie mit einer zweiteiligen Personenaufnahme, bestehend aus Frontal- und Profilbild. Diese beiden Fotografien basierten auf standardisierter Brennweite, Beleuchtung und Abstand. Ihre Vorläufer wiederum sind in der anthropologischen Fotografie des 19. Jahrhunderts zu suchen.

Ein Ausschnitt der Foto-Mustertafel zum ePass

Trotz aller Standardisierungsversuche blieb Bertillons Methode ein eher unsicheres Instrument der Identifizierung. Auch die anthropometrische Messung von Ohren, Füßen und anderen Körperteilen bot keine letzte Sicherheit. Zum Beispiel wurden die Messungen häufig ungenau durchgeführt und die Maße des menschlichen Körpers können sich durch Krankheiten wie Skoliose auch im Erwachsenenalter noch stark verändern.

Vermessung des rechten Ohrs nach Alphonse Bertillon/Arthur Chervin, Anthropologie métrique. Conseils pratiques aux missionnaires scientifiques sur la manière de mesurer, de photographier et de décrire des sujets vivants et des piéces anatomiques, Paris 1909

Deshalb war es für die Kriminalistik eine wichtige Entwicklung, dass die Bertillonage schon nach wenigen Jahren zunehmend durch die Analyse von Fingerabdrücken (Daktyluskopie) abgelöst wurde. Sie lieferte eine einfachere, billigere und vermeintlich unfehlbare Identifizierungsmethode – beruhend auf der (nicht ganz unproblematischen) Behauptung, dass die Papillarleistenmuster eines jeden Menschen einzigartig seien. Zwar hat die Polizei seit Bertillon stets systematisch fotografiert: Heute werden bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung in Deutschland nicht nur die Fingerab­drücke gespeichert, sondern u.a. auch ein dreiteiliges Gesichtsbild (Frontal-/Profil-/Dreiviertelporträt). Doch blieben solche Porträts und Körpermessungen im 20. Jahrhundert zweitrangige Mittel der Personenidentifizierung, weil die Daktyluskopie (im digitalen Zeitalter als Automatisiertes Fingerabdruckidentifizierungssystem, kurz: AFIS) und erst recht die aktuellen biometrischen Verfahren wie etwa der Iris-Scan sich besser dafür eignen. Trotzdem wird im aktuellen ePass der Übergang von der Fotografie zum Fingerabdruck, der ja in der Kriminalistik eigentlich schon ein Jahrhundert früher stattgefunden hatte, erst jetzt nachvollzogen.

Bilder und Biometrie im Staatsdienst: Outsourcing Security?

Der kurze Blick auf die Geschichte des Gesichtbildes als Instrument von Erkennungs- und Sicherheitspolitik zeigt zunächst, dass die Identifizierung von Personen durch Gesichtsbilder trotz einer Verwissenschaftlichung der Methoden nicht unerhebliche Defizite aufweist. Auch künftig wird daran festgehalten, trotz überlegener Verfahren. Jedoch stößt die Nutzung weiter gehender biometrischer Daten auf deutlich größere Vorbehalte in der Bevölkerung – die Abnahme von Fingerabdrücken oder gar Speichelproben gilt als weit stärkerer Eingriff in die Privatsphäre. Dazu trägt auch der lange Gewöhnungsprozess an den Vorgang der Pass- als Gesichtskontrolle bei: In den beinahe hundert Jahren seit Einführung von Fotos in Pass-Dokumenten hat sich eine soziale und kulturelle Akzeptanz dieses Verfahrens zur gesichtsorientierten Grenzkontrolle ausgebildet (und auch zuvor waren z.B. Visitenkartenporträts schon eine sozial anerkannte Praxis gewesen). Die Einführung verschärfter Kontrollen bei der Einreise in die USA nach 9/11 stellt einen markanten Bruch in dieser Entwicklung dar, der die Rolle des Bildes als staatlich gefordertes Identitätskritierum einerseits stärkt (Standardisierung der Aufnahmen, zusätzliche Digitalfotografie beim Grenzübertritt), andererseits durch die Hinzufügung weiterer Kontrolldaten (Fingerabdrücke, Iris-Scan) zum Passdokument schwächt.

Der gewohnte, menschliche Blick auf die Abbildungen von Personen verliert an Bedeutung – in Zukunft dominieren jene Bilder im Sicherheitsdiskurs, die von Maschinen gelesen werden. Voraussetzung dafür sind die neuen Technologien der Bildspeicherung, denn durch ihren elektronischen Produktionshintergrund lassen sich Digitalbilder in zwei Ebenen aufspalten: Sie können zugleich als konkrete, visuelle Bildprozesse und als abstrakte, nicht-visuelle Datenmengen verstanden werden.

Beide Bildebenen finden sich auch auf dem neuen ePass wieder – das konventionelle, für menschliche Betrachter sichtbare Bild ebenso wie das digitale, für maschinelle Lesegeräte verständliche Bild als Zahlencode, der auf einem Chip gespeichert ist. In einer stärker sicherheitstechnologischen Perspektive bedeutet dies, dass die maschinelle Bild- bzw. Datenerkennung immer wichtiger wird. Das spiegelt sich auch in der Anreicherung von Pass-Dokumenten mit weiteren Daten: Ab dem 1. November 2007 werden zwei Fingerabdrücke im ePass-Chip gespeichert, künftig könnten Iris-Scans sowie weitere Daten zu Gesichts- und Handbiometrie folgen. Für den Bürger als Objekt der Kontrolle heißt das, dass er verstärkt Sorge tragen muss, seinem gespeicherten Digitalabbild ähnlich zu bleiben – die Fehlertoleranz der Maschinen wird geringer sein als die menschlicher Kontrolleure.

Als Konsequenz aus dieser Entwicklung gerät auch die ökonomische Dimension mit einer rasch wachsenden Biometrie- und Sicherheitstechnik-Branche in den Blick: Optimistische Prognosen sehen binnen fünf Jahren einen satten Anstieg der Branchenumsätze von derzeit etwa 3 Milliarden auf 7,4 Milliarden US-Dollar voraus. Einrichtung sowie Aufrüstung staatlicher Identifizerungs- und Kontrollsysteme spielen den Unternehmen in die Hände und lassen den Biometrie-Sektor aus staatlicher Perspektive gleichzeitig als förderfähige Innovationsbranche erscheinen. Dabei bergen die steigenden Kosten für Anschaffung, Unterhalt und auch Nutzung der komplexer werdenden Sicherheitstechnologie die nicht zu unterschätzende Gefahr einer Auslagerung staatlicher Sicherheitskompetenzen an kommerzielle Anbieter: „Outsourcing Security“.

Der Greifswalder Politologe Hubertus Buchstein hat für einen ähnlichen Prozess des Eindringens kommerzieller Akteure in einen genuinen Leistungsbereich staatlicher Akteure den Begriff „Outsourcing Democracy“ verwendet: Im Blick hatte Buchstein dabei die Durchführung demokratischer Wahlen, bei denen immer häufiger kommerzielle Anbieter die notwendige Technologie wie Wahlmaschinen oder Internet-Abstimmungsroutinen bereitstellen und staatliche Akteure sukzessive aus einem zentralen Aufgabengebiet verdrängt werden könnten.

Beschränkt man die Aufmerksamkeit jedoch zunächst einmal auf den unmittelbar bevor stehenden Einsatz neuer Funktionen des ePasses, so zeichnet sich in der Einführung bildgestützter Identifikationssysteme vor allem aber eine Umkehrung in Sicherheitsverständnis und Sicherheitsverhältnis zwischen Staat und Bürger ab. Staatliche Akteure haben in sicherheitspolitischer Hinsicht längst nicht mehr primär den Schutz unbescholtener Bürger im Sinn, sondern sprechen einen Generalverdacht gegen die gesamte Bevölkerung aus. Auch wenn Bilder bzw. biometrische Personendaten nicht in einer zentralen Datei gespeichert werden dürfen, ist der ePass doch ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung der Machtphantasie vom kollektiven Verbrecheralbum.