Mexiko: Betreten verboten!

Der Süden Mexikos hat sich auf Initiative der Vereinigten Staaten zu einer vorgelagerten US-Grenze entwickelt

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. Menschenrechts-organisationen beklagen die brutale und entwürdigende Behandlung mittelamerikanischer Migranten durch die mexikanischen Behörden

Mexikos Präsident Felipe Calderón lässt kaum eine Gelegenheit aus, für die inzwischen 29 Millionen Menschen mexikanischer Herkunft in den USA eine bessere Behandlung durch den nördlichen Nachbarstaat zu fordern und kritisiert vehement den weiteren Ausbau der gemeinsamen Grenze durch die US-amerikanische Regierung. Erst kürzlich erklärte der rechtskonservative Politiker angesichts der gestiegenen Zahl von Razzien gegen illegale Einwanderer in den Veinigten Staaten der New York Times : „Ich bin sehr besorgt, weil dies ein Klima von Befangenheit erzeugt hat, eine Anti-Einwanderer-Stimmung mit gewissen anti-mexikanischen Untertönen, von denen niemand profitiert. Ich bestreite nicht das Recht jeden Landes seine eigenen Gesetze zu haben und diese auch anzuwenden. Ich möchte betonen, dass die Menschenrechte einer Person unabhängig von ihrem Migrationsstatus gültig sind.“

Für die mehreren Hundert, vorwiegend aus den mittelamerikanischen Staaten Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua stammenden Menschen, die auf ihrem Weg in die USA täglich ohne gültige Papiere die mexikanische Grenze überqueren, scheint diese Aussage jedoch nicht zu gelten. Alleine zwischen Januar und Dezember des vergangenen Jahres wurden nach Angaben des Nationalen Migrationsinstitutes (INM) 69.816 Staatsangehörige der oben genannten Länder aus Mexiko in ihre Herkunftsstaaten deportiert. Nichtregierungsorganisationen wie Sin Fronteras (SF) oder das Menschenrechtszentrum Fray Matías de Córdova (CDHFMC) berichten von zahllosen und systematischen Überfällen, Erpressungen und Vergewaltigungen, die die Migranten vor ihrer Abschiebung zu erleiden hatten. Die Täter - in der Regel Angehörige der Bundespolizei (PFP) und des INM, sowie Mitglieder der für ihre Brutalität gefürchteten Bande Mara Salvatrucha – agieren in einem Klima weitgehender Straflosigkeit und selbst Mordfälle werden von den Justizbehörden geflissentlich ignoriert.

Trotz aller Gefahren unternehmen viele der Abgeschobenen mehrere Versuche, doch noch auf dem Landweg die USA zu erreichen. Erneut überfallen und ausgeraubt, sehen sie sich schließlich gezwungen auf fahrende Güterzüge aufzuspringen um ihre Reise nach Norden fortsetzen zu können. Viele der Migranten bezahlen diesen Versuch mit ihrem Leben oder bleiben schwerverletzt neben den Gleisen liegen. Schaffen sie es dennoch, warten an Bord der Züge bereits die „Maras“ um ihnen auch noch den Rest ihrer Habe abzunehmen und sie einfach von den Waggons zu stoßen, falls sie sich wehren sollten.

Nach Aussage von Oscar Chacón, Direktor der US-amerikanischen Migrantenorganisation Nationale Allianz Lateinamerikanischer und Karibischer Gemeinschaften (NALACC) hat sich die südliche Grenzregion Mexikos in eine „Zweigstelle der Hölle“ verwandelt und es „sei naiv“ zu glauben, dass die Duldung der permanten Verstöße gegen die Menschenrechte der Transmigranten durch den mexikanischen Staat ohne Wissen und Billigung durch die US-Regierung in Washington stattfinden würden.

Vorgelagerte Kontrolle

Bereits 1986 rief die US-Regierung im Rahmen des Gesetzes zur Reform und Kontrolle der Einwanderung (IRCA), die „Kommission zum Studium der internationalen Migration und der kooperativen wirtschaftlichen Entwicklung“ ins Leben, um Vorschläge zu erarbeiten wie die Zuwanderung aus Mexiko, sowie den mittelamerikanischen und karibischen Staaten begrenzt werden könne. Die Empfehlungen der Kommission mündeten 1989 in den „Plan zur Stärkung der südlichen Grenze“, der eine verstärkte Zusammenarbeit mexikanischer und US-amerikanischer Polizei- und Migrationsbehörden an der gemeinsamen Staatsgrenze zum Ziel hatte. Mit Inkrafttreten des zwischen den Vereinigten Staaten, Mexiko und Kanada ausgehandelten Nordamerikanischen Feihandelsabkommens (NAFTA) am ersten Januar 1994 wurde auch Mexikos Südgrenze stärker in die strategischen Überlegungen Washingtons über eine effektivere Steuerung der Migrationsströme mit einbezogen.

Mit finanzieller Unterstützung der USA und gegen die Zusicherung eines Gastarbeiterprogramms für mexikanische Staatsbürger begann die mexikanische Regierung unter Präsident Vicente Fox mit der Vorbereitung des „Plan Sur“, eines Programms zur weitgehenden Abschottung der 962 Kilometer langen Grenze zwischen Mexiko und Guatemala, das am 4. Juni 2001 offiziell in Kraft trat ("Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten"). Angehörige der bereits 1996 gegründeten Sondereinheit „Beta Sur“ verhafteten und deportierten bereits in den ersten beiden Juniwochen des Jahres 2001 ca. 6000 Migranten ohne gültige Papiere und alleine zwischen Oktober und Dezember jenes Jahres starben 68 Menschen bei dem Versuch sich der Festnahme durch die mexikanischen Sicherheitsbehörden zu entziehen.

Nach den Anschlägen des 11. September gerieten die die Verhandlungen zwischen US-Präsident George W. Bush und seinem Amtskollegen Vicente Fox über das in Aussicht gestellte Gastarbeiterprgramm ins Stocken, die Verfolgung der Transmigranten auf mexikanischem Boden wurde im Rahmen des Programms "La Repatriación Segura" ("Sichere Rückführung in die Heimatländer) jedoch noch einmal intensiviert. Finanziell unterstützt wurden die Massendeportationen von der US-amerikanischen Regierung und der weltweit operierenden und von über 100 Mitgliedsstaaten getragenen Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Seit Mexikos amtierender Präsident Felipe Calderón, die am 11. Juni 2005 von seinem Vorgänger Vicente Fox unter dem Namen „México Seguro“ („Sicheres Mexiko“) gestartete Operation gegen das „organisierten Verbrechen“ auch auf den Süden des Landes ausgeweitete, hat sich die Situation der Migranten noch weiter verschlechtert. Die alltägliche Gewalt an Mexikos „Vergessener Grenze“ hat inzwischen ein solches Ausmaß erreicht, dass die Direktorin der Organisation Sin Fronteras, Fabienne Venet, der mexikanischen Regierung bereits das Recht abspricht, die USA wegen der Diskriminierung mexikanischer Einwanderer zu verurteilen. In einem Interview mit der Tageszeitung „La Jornada“ sagte sie: „In Mexiko haben wir nicht die moralische Qualität die Politik der Vereinigten Staaten zu kritisieren, weil hier der Missbrauch der Migranten und die schwerwiegenden Verstöße gegen ihre Rechte weitergehen.“

Kampf um Jobs

Im letzten Jahr überwiesen die ca. 11,5 Millionen in den USA lebenden Mexikaner - von denen rund die Hälfte keinen legalen Aufenthaltsstaus besitzt - nach Angaben der Weltbank rund 25 Milliarden US-Dollar in ihr Heimatland. Nach den Einnahmen aus dem Erdölverkauf sind die „Remesas“ damit die zweitgrößte Devisenquelle des mexikanischen Staates und verweisen wie der zu 84,7 Prozent mit den Vereinigten Staaten abgewickelte Außenhandel auf die starke ökonomische Abhängikeit Mexikos von seinem nördlichen Nachbarn (Emigranten sind Mexikos wichtigster Exportartikel).

Für den Analysten Joydeep Mukerji, von der Ratingagentur Standard and Poor’s, haben sich angesichts des schwachen Wirtschaftswachstums die hohe Ölrente und die Überweisungen der Auslandsmexikaner zu einem „Überdruckventil“ für die mexikanische Gesellschaft entwickelt, verbunden mit der Gefahr einer „chronischen Abhängigkeit“. Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund erklärt sich die harte Haltung der Regierung Calderón und seines Vorgängers Vicente Fox gegen die Migranten aus Zentralamerika, die auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt mit den in der Regel nur gering qualifizierten mexikanischen Migranten um die gleichen – nach US-Standard – schlecht bezahlten Arbeitsstellen im Dienstleistungs-, Bau- und Agrarsektor konkurrieren und deren Überweisungen lebenswichtig für die gesellschaftliche Stabilität ihres Heimatlandes sind.

Für den mexikanischen Universitätsprofessor und Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für Migrationsfragen, Jorge Bustamante, ist für die Diskriminierung der oft indigenen und marginalisierten Migranten aus Zentralamerika auch der historisch gewachsene und in den staatlichen Institutionen verankerte Rassismus der mexikanischen Gesellschaft verantwortlich. Er bezeichnet das Verhältnis zwischen Ausländern und Mexikanern als eine „Asymmetrie der Macht“, in der sich der Fremde mit hoher Wahrscheinlichkeit in einer untergeordneten Position wiederfinden wird, was seinen Zugang zu öffentlichen Ressourcen und die Durchsetzung seiner Rechte deutlich erschwert.

Dies gilt besonders für jene Migranten, die sich in ihrer Verzweiflung schließlich dazu entschließen, in Mexiko zu bleiben, weil sie ohne Geld und Papiere weder in die USA gelangen können, noch in die bedrückende Armut ihrer Herkunftsländer zurückkehren wollen. Für viele der mittelamerikanischen Frauen bedeutet dies eine Zukunft als rechtlose Hausangestellte in einer mexikanischen Familie oder als Prostituierte in einem der zahlreichen Bordelle in der südchiapanekischen Grenzstadt Tapachula. Und auch die Männer sehen sich, ebenso wie die Saisonarbeiter aus Guatemala, mit Lebens- und Arbeitsbedingungen konfrontiert, die von der Nationalen Menschenrechtskomission (CNDH) als „sklavenähnlich“ beschrieben werden.

Angst vor Überfremdung

In den letzten Jahren hat sich Mexiko formal den Vereinigten Staaten und Kanada immer weiter angenähert und beiden Ländern nicht nur seine Märkte über das NAFTA-Abkommen geöffnet, sondern - vor allem den USA - im Rahmen der am 23. März 2005 vereinbarten Allianz für Sicherheit und Prosperität in Nordamerika (ASPAN) und der im März vergangenen Jahres zwischen George W. Bush und Felipe Calderón ausgehandelten „Initiative Mérida“ weitgehende innen- und sicherheitspolitische Zugeständnisse gemacht.

Trotz dieses Entgegenkommens der mexikanischen Regierung hat sich die Lage der mexikanischen Migranten in den Vereinigten Staaten nicht verbessert. Im Gegenteil, nach dem erneuten Scheitern einer umfassenden Einwanderungsreform im Herbst letzten Jahres im US-amerikanischen Senat und den immer deutlicheren Anzeichen für eine Rezession in den USA bringt die weiße Mehrheitsgesellschaft den hispanischen Arbeitsmigranten immer weniger Sympathie entgegen. Besonders jene Menschen, die über keinen legalen Aufenthaltstatus verfügen, sehen sich zunehmend von den US-Behörden kontrolliert und verfolgt, und auch Arbeitgeber müssen mit empfindlichen Strafen rechnen, wenn ihre Angestellten gegen die Einwanderungsgesetze der USA verstoßen.

Eine grundlegende Reform der US-amerikanischen Migrationspolitik ist in naher Zukunft wenig wahrscheinlich. Zwar scheiterte der Republikaner Mitt Romney in den Vorwahlen mit dem Versuch, politisches Kapital aus der fremdenfeindlichen Stimmung in den USA zu schlagen – er hatte die illegalen Immigranten als eine „Plage“ bezeichnet -, doch wie Michael Chertoff, Chef des Heimatschutzministeriums Ende Januar erklärte, fordert US-Präsident George W. Bush für das Haushaltsjahr 2009 eine 19prozentige Erhöhung des Etats für die „Grenzsicherheit“, um weitere 2200 Stellen für die „Border Patrol“ zu schaffen und die Grenze zu Mexiko im Laufe von zwei Jahren und für eine geplante Gesamtsumme von 2 Milliarden US-Dollar weiter technisch aufzurüsten. Weitere 550 Millionen US-Dollar in dem Haushaltsentwurf sind für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Mexiko im Rahmen der Initiative Mérida bestimmt, was auf eine weitere Militarisierung von Mexikos Südgrenze schließen lässt.

Ob der Ausgang der US-Wahlen am 4. November einen radikalen Richtungswechsel dieser Politik bedeutet ist eher fraglich. Wahrscheinlich müssen die hispanischen Einwanderer noch ein paar Jahrzehnte warten und auf die demographische Entwicklung hoffen, bis sie in der US-Gesellschaft willkommen sind. Einer aktuellen Studie des Pew Research Center zufolge, dürfte es ungefähr im Jahre 2050 soweit sein. Dann werden die „Hispanics“ 29 Prozent der dann auf 438 Millionen geschätzten Bevölkerung ausmachen und die Weißen werden sich mit 47 Prozent zum ersten mal in der Geschichte der USA mit der Rolle der größten ethnischen Minderheit zufrieden geben müssen.