Die Würde der Pflanzen wird in der Schweiz zum Problem

Nach der Verfassung und dem Gentechnikgesetz muss die "Würde der Kreatur" geachtet werden, eine Kommission hat einen ersten Bericht zur Pflanzenwürde vorgelegt und wenig Klarheit geschaffen

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Die Schweiz ist ein Ausnahmeland, möglichwerweise auch ein Land, das im Bereich der Biotechnologie eine ethische Pionierrolle spielt. In der Schweizer Bundesverfassung, Artikel 120, geht es um "Gentechnologie im Außerhumanbereich". Darin heißt es, dass der Mensch und seine Umwelt vor Missbräuchen der Gentechnik geschützt seien, zudem müsse allgemein die "Würde der Kreatur" geachtet werden. Nun wird in der Schweiz diskutiert, inwiefern auch die Würde von Pflanzen geachtet werden müsse – und was dies bedeuten könne.

Zu dem Artikel in der Bundesverfassung gibt es noch weitere Erläuterungen im Bundesgesetz über die Gentechnik im Außerhumanbereich, das Anfang 2004 in Kraft getreten ist. Dort heißt es in Artikel 8:

Achtung der Würde der Kreatur

Bei Tieren und Pflanzen darf durch gentechnische Veränderungen des Erbmaterials die Würde der Kreatur nicht missachtet werden. Diese wird namentlich missachtet, wenn artspezifische Eigenschaften, Funktionen oder Lebensweisen erheblich beeinträchtigt werden und dies nicht durch überwiegende schutzwürdige Interessen gerechtfertigt ist. Bei der Bewertung der Beeinträchtigung ist dem Unterschied zwischen Tieren und Pflanzen Rechnung zu tragen.

Ziemlich sicher ist die Schweiz das einzige Land, das nicht nur bei Menschen und auch Tieren, sondern auch bei Pflanzen von deren Würde spricht, also einen Eigenwert der Pflanzen annimmt. Mit den "schutzwürdigen Interessen" werden natürlich Eingrenzungen vorgenommen, schließlich könnte sonst auch Anbau, Ernte und anderweitige Nutzung von Pflanzen problematisch werden. So soll die Gesundheit von Menschen und Tieren der Sicherung der Pflanzenwürde übergeordnet sein. Auch muss die Würde der Sicherung einer "ausreichenden Ernährung" weichen. Die Wissenschaft soll nicht behindert werden, ein "wesentlicher Nutzen für die Gesellschaft auf wirtschaftlicher, sozialer oder ökologischer Ebene" geht ebenfalls voran, und auch wenn es um "die Verminderung ökologischer Beeinträchtigungen" oder "die Erhaltung und Verbesserung ökologischer Lebensbedingungen" geht, kann die Würde von Pflanzen verletzt werden.

Das Problem ist nur, dass mit allen gesetzlichen Formulierungen Möglichkeiten der Interpretation auftreten. Was heißt etwa "ausreichende Ernährung" oder was ist ein "wesentlicher Nutzen"? Das muss geklärt werden, u.a. deswegen wurde die Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) eingerichtet, die Mitte April einen Bericht zur Würde der Pflanzen vorgelegt hat.

Der Bericht der Kommission kommt zu dem Schluss, dass die Schweizer Bürger – und damit wohl auch alle moralisch verantwortlich handelnden Menschen – auch mit Pflanzen nicht beliebig umgehen können. So bestehe eine Grenze darin, Pflanzen "willkürlich" zu schädigen. Deutlich wird gemacht, dass der Geltungsbereich auf Tiere und Pflanzen beschränkt sei, also beispielsweise Mikroorganismen nicht einbezogen werden, allerdings gehören zu Pflanzen auch beispielsweise einige Grünalgen.

Allerdings hebt die Kommission in ihrem Bericht hervor, dass schon die Fragestellung Neuland betritt, weil es im Hinblick auf Pflanzen kaum "moralische Intuitionen" gebe, an denen man sich orientieren könne. Überdies würden die meisten Menschen die Frage nach der Würde von Pflanzen als unsinnig ablehnen. Auch innerhalb der Kommission erklärten einige Mitglieder, dass Pflanzen nicht Teil der "moralischen Gemeinschaft" sein können, weil ihnen selbst jeder Ansatz für moralisches Handeln fehle.

Einigen habe man sich – einstimmig - nur darauf können, dass Pflanzen nicht willkürlich beschädigt werden dürfen, was dies aber bedeute, sei unklar geblieben, weswegen man zu einer Güterabwägung gekommen ist, die mit einem Entscheidungsbaum dargestellt wurd, der allerdings alles offen lässt. Hier geht es beispielsweise darum, ob man davon ausgeht, ob Pflanzen etwas empfinden können oder ob etwas nur dann einen Eigenwert hat, wenn es Vernunft besitzt – und ob es eine Rolle spielt, ob wir das wissen oder nicht. Man kann einen instrumentellen und einen relationalen Wert annehmen oder einen Eigenwert. Dabei kommt es nach Ansicht Kommission auch darauf an, ob der Wert dem Kollektiv, der Art oder dem Individuum zukommt.

Diskutiert wird dabei beispielsweise, ob ein Bauer, der seine Wiese gemäht hat, auf dem Heimweg ohne vernünftigen Grund Blumen mit der Sense köpfen darf. Man müsste sich natürlich auch fragen, ob nicht schon die Bezeichnung und viel stärker noch die Eliminierung von Unkraut vereinbar mit der Würde der Pflanzen ist, zumal Monokulturen ökologisch nicht unbedingt "gut" sind, also sowieso auch den Menschen langfristig schaden?

Der Bericht über das zweifellos exotisch anmutende Thema hangelt sich an dem Entscheidungsbaum entlang und sagt, für welche Positionen es Mehrheiten und Minderheiten gibt. Ein Beispiel:

Im Umgang mit einzelnen Pflanzen vertritt die Mehrheit die Position, dass es weniger starke Gründe braucht, um deren Nutzung zu rechtfertigen, als es bräuchte, um dieselbe Nutzung von (Wirbel-)Tieren (Tieren i.S. des Tierschutzgesetzes) zu rechtfertigen. Die Minderheit ist der Auffassung, dass über eine solche Hierarchisierung nur im Einzelfall entschieden werden kann.

Bei allen Überlegungen waren die Kommissionsmitglieder doch auch sehr pragmatisch. Das eine ist die Moral, das andere die Interessen. So dürfen ohne moralische Bedenken Pflanzen weiterhin genetisch verändert werden. Einzige Einschränkung ist, dass ihre "Eigenständigkeit, d.h. Fortpflanzungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit gewährleistet" ist. Das müsste den Einbau von Terminatorgenen, gleich ob zum Schutz vor unkontrollierter Verbreitung oder des Eigentums, verhindern. Man müsse dabei aber auch auf die "natürlichen Beziehungsgefüge" achten, was immer das heißen soll. Und obzwar Pflanzen nicht einem "absoluten Eigentumsbegriff" untergeordnet werden können, dürfen sie dennoch für die Mehrheit der Kommission ohne Probleme patentiert werden. Damit etwa stößt der Bericht auf Kritik:

Die Patentierung von Pflanzen verstösst nach meiner Ansicht gegen deren Würde. Pflanzen wie Chemikalien oder Mikrowellenherde zu patentieren – das macht Pflanzen zu lebenden Maschinen und kommt einer totalen Instrumentalisierung gleich.

Was heißt Pflanzenwürde konkret?

Wie auch immer, es herrscht Unsicherheit in der Schweiz darüber, was die Achtung der Pflanzenwürde bedeutet. Markus Schefer, ein Verfassungsrechtler und Mitglied der Kommission, so Nature, sagt, dass die Wissenschaftler nicht wissen, welche Konsequenzen dies hat. Letztlich müsse dies von Gerichten geklärt werden. Ob dies der angemessene Ort ist, über solche Fragen zu entscheiden, ist eine ganz andere Frage.