Die Fahrschule des Bewusstseins

Untersuchungen mit meditierenden buddhistischen Mönchen haben westlichen Forschern erstaunliche Erkenntnisse über die Funktionsweise und gezielte Veränderbarkeit des Gehirns verschafft. Doch noch ist unklar, was daraus folgt.

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Experimente mit meditierenden buddhistischen Mönchen haben westlichen Gehirnforschern in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe hochinteressanter Erkenntnisse beschert. Die Untersuchungen stellen die subjektiv erfahrenen Prozesse während der Meditation auf eine objektiv nachvollziehbare Grundlage – doch vor allem erlauben sie neue Einblicke in den Zusammenhang von Gehirnprozessen und Bewusstsein sowie die Beziehung zwischen Hirnaktivität und Emotionen.

In den Gehirnen der Mönchen, die eine spezielle Form der Meditation ausüben, bei der Mitgefühl erzeugt werden soll, fanden Wissenschaftler ungewöhnliche Aktivitätsmuster: So zeigte sich in ihren Gehirnen während der Meditation ein besonders hohes Maß an synchron schwingenden Gamma-Wellen – ein Aktivitätsmuster, von dem Forscher vermuten, dass es bei konzentrierter Aufmerksamkeit und bewusster Verarbeitung von Informationen auftritt. Die Experimente von Richard Davidson und Antoine Lutz zeigten dabei, dass die Gamma-Oszillationen in Gehirnbereichen zunahm, die nicht auf die Verarbeitung äußerer Reize ausgerichtet ist, sondern die „abstrakte Konzepte, Symbole verarbeiten können und vielleicht auch benötigt werden, um sich Gefühle und Emotionen bewusst zu machen.“1

Eine äußerst bemerkenswerte Erkenntnis der Meditationsforschung ist, dass das Gehirn nicht nur durch das Erlernen praktischer Fähigkeiten, sondern auch durch rein mentale Prozesse dauerhaft physisch verändert werden kann. So sind die Gamma-Oszillationen bei langjährig Meditierenden auch dann erhöht, wenn sie nicht meditieren. Forscher der Harvard-Universität wiesen zudem nach, dass die Großhirnrinde bei Menschen mit großer Meditationserfahrung zunimmt – und zwar ebenfalls in Bereichen, die „für kognitive und emotionale Prozesse und Wohlbefinden wichtig sind“, wie die Psychologin und Forschungsleiterin Sara Lazar feststellte.

Nicht Klavier lernen – sondern positive Emotionen

Eine erst vor kurzem veröffentlichte Studie von Davidson und Lutz enthüllt, auf welch ungewohnte Weise die Beeinflussbarkeit des Gehirns durch den Geist genutzt werden kann. Die Wissenschaftler stellten fest, dass in der „Meditation des Mitgefühls“ erfahrene Menschen sehr viel stärker auf äußere emotionale Signale reagierten als Meditations-Neulinge – und zwar in Gehirnbereichen, die zuständig sind für die Entschlüsselung eigener und das Erkennen fremder Emotionen. Die Folgerungen der Wissenschaftler sind weitreichend: Positive Emotionen wie Glück und Mitgefühl könnten ebenso erlernt werden wie beispielsweise ein Instrument oder eine Sportart. „Wir können die Plastizität unseres Gehirns zu unserem Vorteil nutzen und ihm beibringen, diese (positiven) Qualitäten zu verstärken“, sagte Davidson.

Die aktuelle Untersuchung der Neurowissenschaftler erlaubt zudem interessante Einblicke in den Zusammenhang von individuellem Empfinden und Gehirnvorgängen: Denn es zeigte sich, dass die subjektiv empfundenen Veränderungen während der Meditation mit der Stärke der gemessenen Hirnaktivität übereinstimmten. Wolf Singer , als Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main einer der führenden deutschen Neurobiologen, zeigt sich beeindruckt von der Arbeit der amerikanischen Kollegen:

„Solche Korrelationen zwischen bio-physikalischen Maßen und subjektiver Empfindung sind besonders wertvoll. Wenn sie, wie in diesem Fall, statistisch hochsignifikant sind, wird es wahrscheinlich, dass es sich um kausale Beziehungen handelt und nicht nur um zufällige Übereinstimmungen. Soweit ich das Feld überblicke, sind dies die robustesten und überzeugendsten Hinweise darauf, dass Meditation mit spezifischen Hirnzuständen einhergeht und dauerhafte Modifikationen von Hirnfunktionen bewirkt.“

Automatisiertes Bewusstsein

Davidson und andere unmittelbar an der Meditationsforschung beteiligte Neurowissenschaftler sehen sich aufgrund ihrer persönlichen Beziehung zum Buddhismus und ihrer Nähe zum vom Dalai Lama mit ins Leben gerufenen Mind & Life Institute von Kollegen zum Teil der Kritik ausgesetzt, ihr Glaube und ihre Wünsche würden die Ergebnisse ihrer Experimente mitbestimmen.

Diesen Vorwurf kann man Singer sicherlich nicht machen – auch wenn er in einem gerade erschienenen Buch mit Matthieu Ricard, einem buddhistischen Mönch und studierten Molekularbiologen, der seit fast zwei Jahrzehnten als Französisch-Übersetzer für den Dalai Lama tätig ist, über den Zusammenhang von Meditation und neurobiologischen Erkenntnissen spricht.

Singer zeigt sich darin fasziniert von den Ergebnissen der Meditationsforschung und den Ausführungen Ricards: Der buddhistische Mönch stellt nachvollziehbar dar, dass komplexe Situationen und starke Emotionen mit einem geschulten Geist, der Bewusstheit quasi automatisiert hat, sehr viel müheloser zu meistern sind als mit einem untrainierten, dass also – wie es Singer ausdrückt – Meditation als „Fahrschule für die Bewältigung emotionaler Konflikte“2 dienen kann.

Freier Wille als erlernbare Fähigkeit

Doch trotz seines Interesses ist Singer bestrebt, die Diskussion stets auf bekannte neurologische Phänomene zurückzuführen. So vermutet er – im Gegensatz zu Ricard -, dass es durchaus Grenzen für die qualitative Entwicklung des Geistes durch mentales Training gibt: Wenn alle Neurone in der entsprechenden Struktur mit maximaler Frequenz feuerten und diese Entladungen perfekt synchronisiert seien, sei „keine weitere Steigerung der Wirksamkeit dieser Aktivität vorstellbar“, stellt er mit dem nüchternen Blick des Wissenschaftlers auf die bis jetzt gewonnenen Erkenntnisse fest.3

Zudem wirft Singer die Frage auf, ob vergleichbare Wirkungen wie bei der Meditation nicht auch durch andere Methoden erzielt werden können – Methoden, die der westlichen Gedankenwelt vielleicht näher stehen.

Ungelöst bleibt Singer zufolge auch das Paradox, „wie wir uns das kontrollierende Ich vorstellen, das willentlich versucht, just das Organ zu verbessern, dem es sich verdankt“4. Und auch darüber, woher es die Motivation dafür nehme, sich selbst zu verändern, könne man im Moment nur spekulieren. Denn nach Ansicht Singers gibt es kein vom Gehirn unabhängiges Bewusstsein .

Meditationsforscher Davidson zeigt sich hingegen sehr selbstbewusst, was die Implikationen seiner Untersuchungsergebnisse angeht: „Was meine Arbeit nahe legt, ist, dass unsere Kapazität, freien Willen zu erfahren, eine Fähigkeit ist, die – zumindest in einem gewissen Ausmaß – durch Training erreicht werden kann“, sagte er einem Reporter.