Hungerstreik in deutschen Gefängnissen

Schikanen gegen eine Gefängnisinsassin lösen einwöchigen Hungerstreik in 39 Gefängnissen aus und weisen auf ein in der Öffentlichkeit weitgehend verdrängtes Problem hin

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Seit dem 4. August befinden sich 537 Häftlinge aus insgesamt 39 bundesdeutschen Gefängnissen in einem einwöchigen Hungerstreik. Aus Solidarität mit ihnen verweigern auch einige wenige Gefängnisinsassen aus Belgien, der Schweiz und Belgien für eine Woche die Nahrung.

Es ist die größte Aktion von Gefangenen seit langem. In der Vergangenheit waren Hungerstreiks in Haftanstalten immer eng mit Häftlingen verbunden, die politische Motive hatten. So gab es in den 70er und 80er Jahre mehrere Hungerstreiks von Mitgliedern der Rote Armee Fraktion, die vor allem die Zusammenlegung in größeren Gruppen und die Freilassung von kranken Gefangenen forderten. Ihnen hatten sich auch Haftinsassen angeschlossen, die nicht wegen politischer Delikte verurteilt worden waren. Damals kam die immer umstrittene Unterscheidung in politische und soziale Gefangene auf.

Der letzte Hungerstreik von RAF-Gefangenen fand 1989 statt und hatte eine breitere gesellschaftliche Resonanz erzielt. Damals wurde das Gefangeneninfo gegründet, das bis heute monatlich über Knast und Repression berichtet. Auch dort wird die Unterscheidung in politische und soziale Gefangenen heute nicht mehr für sinnvoll gehalten. Es komme eher darauf an, wie man sich unter Knastbedingungen verhält. „So gibt es den Gefangenentypus, der gegenüber der Gefängnishierarchie sehr unterwürfig ist, aber bei vielen Gefangenen schon deshalb nicht unbedingt beliebt ist und sogar als Denunziant verdächtigt wird. Dann gibt es die Aufmüpfigen, die auch im Gefängnis kein Blatt vor dem Mund nehmen und immer wieder mit Bestrafungen der verschiedenen Art zu rechnen haben“, skizziert ein langjähriger Gefängnisinsasse die aktuelle Situation in den Haftanstalten.

Nadine Tribian gehört zu den Insassen, die kein Blatt vor dem Mund nehmen. Die Frau ist im Gefängnis Bielefeld-Brackwedel inhaftiert und klagt schon lange und immer wieder über besondere Schikanen wie verstärkter Isolation und Postzensur. „Mittlerweile bin ich an einem Punkt angekommen, wo ich leider sagen muss, dass ich definitiv nicht mehr kann“, heißt es in einem ihrer letzten Briefe.

Die Situation von Nadine Tribian ist der Anlass und Ausgangspunkt des aktuellen einwöchigen Hungerstreiks. Dass sich an ihrem Fall eine solch breite Initiative entwickelte erklärt Peter Scherzl, der in der JVA Rheinbach in NRW inhaftiert ist und an der Koordinierung der Proteste beteiligt ist, mit dem zunehmenden Druck im Gefängnisalltag. Tägliche Demütigungen, Zensur kritischer Zeitungen und Briefe, Kontaktsperren, Isolationshaft seien mittlerweile ein alltägliches Instrumentarium in vielen Haftanstalten. Daher war der Fall von Nadine Tribian nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Häftlingsinsassen brauchten keine längeren Erklärungen, sondern konnten die Situation der Frau sofort gut nachvollziehen.

Warnungen gab es schon länger

Für die wenigen Menschen, die sich intensiver mit den Zuständen in den Gefängnissen befassen, kommt die Aktion ebenfalls nicht überraschend. Sowohl Gefängnisgeistliche als auch Mitglieder von Gefangenenhilfsorganisationen warnen schon länger davor, finden aber nur selten Gehör. So sorgte vor über einem Jahr die tödliche Misshandlung eines Häftlings in der JVA Siegburg im Herbst 2007 kurzzeitig für Empörung. Dabei wurde allerdings deutlich, dass es sich hier um keinen Einzelfall handelt. Damals wurde auch auf die Überbelegung und die oft im wahrsten Sinne tödliche Langeweile des Gefängnisalltags hingewiesen. Nach einer kurzzeitigen Empörung war das Thema wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden.

In den letzten Monaten alarmierten mehrere Selbstmorde in hessischen Gefängnissen, darunter mehrere Jugendliche, zumindest Gefängnisgeistliche. Doch schnell werden solche warnende Stimmen von populistischen Diskursen über die angeblich zu liberalen Gefängnisse an den Rand gedrängt. Deshalb ist es auch jetzt nur eine kleine Zahl von Einzelpersonen und linken Organisationen, die den Hungerstreik der Häftlinge außerhalb der Gefängnismauern unterstützt.

Wolfgang Lettow, Redakteur bei dem schon erwähnten Gefangeneninfo, gehört dazu. Er sieht in den Verschärfungen im Gefängnisalltag ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Zustände. Das neoliberale Dogma greife auch in den Gefängnissen und die Insassen seien dem Druck direkt ausgeliefert. „Die Gefangenen machen mit dem Hungerstreik deutlich, dass sie diesen Objektstatus ablehnen“, betont Lettow. Häftlingsaktivist Peter Scherzl sieht in dem Hungerstreik den Auftakt für eine längerfristige Kampagne zur Veränderung der Gefängnissituation. Das Vorhaben wird sich wohl nur umsetzen lassen, wenn es gelingt, außerhalb der Knastmauern mehr Aufmerksamkeit zu erringen.